1x1 der Wirtschaft

Firmen profitieren von fehlender Lohntransparenz

David Gallusser

Die Chefs wissen besser über Löhne Bescheid als die Beschäftigten. Sie zahlen die Löhne aus. Sie wissen, wer im Betrieb wie viel verdient. Die wenigsten Beschäftigten kennen umgekehrt den Lohn ihrer Kolleginnen und Kollegen. Der Wissensvorsprung reicht über den Betrieb hinaus. Viele Firmen sind darüber im Bild, was die Konkurrenz zahlt. Unterstützung bekommen sie von Beratungsfirmen. Die Landolt & Mächler Consultants AG ist eine solche Beraterin, die ­unter anderem in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Löhne bei den Firmen erhebt und im Gegenzug die HR-Verantwortlichen über die Löhne der Konkurrenz informiert.

VERDECKTE KARTEN. Die Chefs nutzen Landolt & Mächler oft als Argument, um Lohnforderungen ihrer Beschäftigten als «zu hoch» abzulehnen. Umgekehrt können Lohnvergleiche tiefe Löhne auch verhindern, wenn Arbeitgeber wissen, dass die Konkurrenz besser zahlt. Das Problem dabei: Die Chefs spielen nicht mit offenen Karten. Solange die Beschäftigten keine Einsicht in die Vergleichs­zahlen haben, können Firmen immer noch schlechtere Löhne offerieren als andere Unternehmen – in der Hoffnung, die Beschäftigten fänden sich damit ab. Diese Hoffnung ist nicht unbegründet. Wie eine neue Studie* zeigt, unterschätzt in Deutschland eine Mehrheit der ­Arbeitenden den mittleren Lohn in ­ihrem Beruf. Trotzdem meinen viele, einen mittleren Lohn zu verdienen. Die Beschäftigten gehen oft irrtümlich davon aus, dass sie bei einem anderen Arbeitgeber nicht besser bezahlt würden. Die Studie schätzt, dass rund 1 von 10 Angestellten die Stelle wechseln würde, wäre sie oder er über die Gehaltsmöglichkeiten besser im Bild. Weil sie es nicht sind, werden weiter tiefe Löhne bezahlt. Die Firmen bereichern sich so am Nichtwissen ihrer Beschäftigten.

GEMEINSAM VERHANDELN. Für bessere Löhne braucht es mehr Trans­parenz. Einen Beitrag dazu leisten die Schweizer Gewerkschaften mit der Website lohnrechner.ch. Hier können Beschäftigte den üblichen Lohn für ihr Berufsprofil berechnen. Doch auch gut informierte Beschäftigte können von den Chefs gegeneinander ausgespielt werden. Die besten Löhne gibt es deshalb, wenn alle gemeinsam in einer Gewerkschaft verhandeln – und nicht, wenn jede und jeder nur für sich selbst den besten Abschluss sucht.

David Gallusser ist Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB).

* Jäger, Roth, Rousille & Schoefer (2021): Worker Beliefs About Outside Options.

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