Die Geschichte der Schokoladenfabrik ist auch ein Stück Schweizer Industriegeschichte

Schoggi Tobler – die wilden frühen Jahre

Clemens Studer

Ein Teil der Toblerone wird künftig in der Slowakei hergestellt. Es ist die neueste Volte der Tobler-Geschichte, die mehr ist als eine Firmen­geschichte. Selbst Bratislava war schon einmal ein Thema.

UNBESCHEIDEN: Die wohl älteste Darstellung der Schokoladenfabrik Tobler in der Berner Länggasse. Zu Werbezwecken überdimensioniert und vor das Alpen­panorama gestellt. 1993 zog die Universität in das alte Fabrikgebäude ein. (Foto: Sammelbilderalben.ch / Koloration: TNT-graphics)

Im Sommer gab der Lebensmittel-Multi Mondelez bekannt, dass er künftig einen Teil der Toblerone-Produktion von Bern in die slowakische Hauptstadt Bratislava auslagere. Und damit auf die Bezeichnung «Schweizer Milchschokolade» für die wohl schweizerischste aller Schweizer Schoggis verzichte (s. vom Adler zum Matterhorn – und zurück).

VERSPÄTETE INDUSTRIALISIERUNG

Der Agrarkanton Bern und besonders die Patrizier der Stadt fremdelten lange mit der Industrialisierung. Man wollte keine «englischen Zustände». Wobei wir getrost davon ausgehen können, dass sie nicht die himmelschreienden Lebensumstände der Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter gestört haben, die Friedrich Engels so eindrücklich beschrieben hat. Sondern die daraus entstehenden revolutionären Ideen und Taten.

Erst ab 1890 holte die Stadt auf. Hochbrücken und die ersten Tramlinien erschlossen die Aussenquartiere. Wobei auch hier nicht alles auf städtischem Mist gewachsen ist. Die Kirchenfeldbrücke etwa wurde von der englischen Erschliessungsgesellschaft Berne Land Company Ltd. gebaut, die das Land im Kirchenfeld gekauft hatte. Sie wollte dort einen neuen Stadtteil bauen für die «vermögliche Bevölkerung, deren täglicher Wirkungskreis in der Stadt liegt, die aber für sich und ihre Familien gerne im Sommer das Landleben geniessen möchte». Mit hohen Landpreisen sollte dafür gesorgt werden, «dass kein Proletarierquartier auf dem Kirchenfeld entstehe». Industrie war ebenfalls verboten.

Schule: Tobler und die Herrensöhnchen

Adeline Tobler, die Frau von Gründer Jean, war energisch und geschäftstüchtig. Und sie wollte ihren Kindern einen Aufstieg in die «besseren Kreise» ermöglichen. Darum schickte sie die Buben in die Lerber-Schule, eine Schule für «aristokratische Herrensöhnchen». Theodor Tobler verlor die Illusion schnell. Besonders bitter: Als er ein einziges Mal einen von May einlanden konnte, ging’s gehörig schief. Die Buben assen zum Zvieri von der vorbereiteten kalten Bratwurst und tranken verdünnten Wein. Weil’s dem Gast so schmeckte, holte Theodor Nachschub. Das Weinverdünnen ging wohl vergessen. Jedenfalls schnitt ihn von May am Folgetag in der Schule. Darauf angesprochen, beschied er Tobler: «Ich war gestern betrunken. Meine Eltern verbieten mir, mit dir zu gehen.» Tobler verliess die Schule früh und stürtze sich ins Arbeitsleben. Später ärgerte er die Berner Aristokraten als bürgerlicher Pazifist, Freimaurer und Paneuropäer. Und mit einer Absage. Denn als Tobler an die Spitze der Berner Wirtschaftelite angelangt war, erreichte ihn eine Anfrage der Burgergemeinde, ob er jetzt nicht das Berner Burgerrecht erwerben möchte. Toblers trockene Antwort: «Vielen Dank, aber ich bin ganz zufrieden, Appenzeller zu sein.» (cs)

DER AUSWÄRTIGE

Ganz anders im Länggassquartier. Hier siedelten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fabriken und Fabrikationen an. Darunter die Maschinenfabrik von Roll, eine Seidenfabrik, die Druckerei Stämpfli und die Keimzelle der späteren Schokoladenfabrik Tobler, die «Confiserie Spéciale Tobler». Wie die meisten der Berner Fabrikgründer war auch Johann Jakob Tobler ein Auswärtiger, genauer ein Appenzeller, der sich nach einem Aufenthalt in Paris Jean nennt. Ab 1868 produziert und vertreibt er verschiedene Süsswaren. 1894 steigt Sohn Theodor mit erst 18 Jahren ins väterliche Geschäft ein und überzeugt den Vater, eine eigene Schokoladenfabrik zu bauen. Die nimmt 1899 den Betrieb auf und läuft von Beginn weg hervorragend. 1902 wird die «Berner Chocoladen-Fabrik Tobler & Co. AG» gegründet, mit einem Aktienkapital von einer Million Franken, was heute etwa 50 Millionen Franken entsprechen würde.

DER WILDE THEODOR

Tobler jun. ist ein eigenwilliger und teilweise waghalsiger Unternehmer. Er kauft zum Beispiel 1905 die Turiner Schokoladenfabrik Talmone und verdoppelt so den Umsatz auf einen Schlag. Zwei Jahre später übernimmt er auch eine Schokoladenfabrik im Tessin. Doch ab 1909 sinken die Absätze, und die vergrösserten Fabriken sind schlecht ausgelastet. 1912 wird das Unternehmen saniert, in dem 40 Prozent des Aktienkapitals abgeschrieben und 2 Millionen Franken neues Kapital aufgenommen werden. Trotz der Krise ist Tobler mit 600 Beschäftigten 1912 der grösste Industriebetrieb der Stadt Bern.

Die Jahre des Ersten Weltkrieges lassen die Tobler-Umsätze und -Gewinne explodieren. Denn die Inlandnachfrage stieg, und die ausländische Konkurrenz im Export fiel weg. Unterdessen gehören zum Tob­ler-Konzern neben den Schokoladenfabriken auch eine Milchsiederei, ein Sägewerk und eine Grossdruckerei. Und fast wie ein börsenkotierter Konzern neoliberaler Prägung schüttet Tobler zwischen 80 und 90 Prozent der Gewinne aus. Davon profitieren das Aktionariat – und ein bisschen auch die Arbeitenden. Tobler richtet einen Sozialfonds mit einer Million Franken Kapital ein.

KÜMMERN UND KONTROLLIEREN

Theodor Tobler gründete eine ganze Reihe von «Arbeiterfürsorge- und Wohlfahrtseinrichtungen». Viele ­davon erfüllten die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeiterschutzmassnahmen. Andere gingen darüber hin­aus. So etwa die Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenfürsorge, die aus dem Sozialfonds gespeist wurde und durch Beiträge der Arbeitenden. Tobler hatte auch einen eigenen Sanitätsdienst mit Fabrikarzt und Heimpflegerinnen. Wobei hier die Grenze zwischen Fürsorge und Kontrolle fliessend war. Wenn die von der Firma angestellten Pflegerinnen kranke Arbeiterinnen und Arbeiter zu Hause besuchten, war das immer auch ein Kontrollgang. In der Blütezeit der ­Toblerschen Wohlfahrtseinrichtungen konnten sich Arbeiterinnen und Arbeiter rundum durch Tobler betreut vorkommen: Sparkasse, Häuschen, Speiseanstalt, Bibliothek, Ferienhäuser, Kartoffeln und Fleisch zum Sonderpreis – und so weiter und so fort.

DER STREIK

Theodors Toblers erklärtes Ziel: die Leistung der Arbeitenden steigern – und die Gewerkschaften kleinhalten. Denn fernhalten war ihm misslungen. 1919 entliess Tobler vier organisierte Arbeiter, die zusammen mit 100 nichtorganisierten Kolleginnen und Kollegen für die Freilassung des Landesstreikführers ­Robert Grimm demonstriert hatten. Diese gewerkschaftsfeindlichen Entlassungen liessen sich die Tob­ler-Arbeitenden nicht gefallen und streikten für mehrere Tage. Die Firmenleitung musste mit dem VHTL zum ersten Mal eine Gewerkschaft als Arbeitnehmenden-Vertreterin anerkennen.

Tobler wollte die Gewerkschaft kleinhalten – was ihm misslang.

SCHON DAMALS: BRATISLAVA

In den Nachkriegsjahren bricht Toblers Umsatz massiv ein, und der Konzern schreibt Millionenverluste, die mit buchhalterischen Tricks kleingerechnet werden. Weil die bisher überreichlich geflossenen Dividenden ausbleiben, werden die Aktionäre unruhig. Sie verlangen den Verkauf der Nebenbetriebe und jammern über die «hohen Steuern». Wie heutige Steueroptimierer verlegt Tobler den Holdingsitz in einen Steuerdumping-Kanton, damals Schaffhausen. Der Kanton Bern will sich das nicht gefallen lassen, klagt und bekommt vom Bundesgericht recht. Tobler im Gegenzug vom Kanton Bern Steuergeschenke.

Theodor Tobler lehnt trotz der schlechten Auslastung der Fabriken eine Verkleinerung des Unternehmens ab. Stattdessen will er Länder mit schwachen Währungen oder hohen Schokoladenzöllen aus Fabriken vor Ort beliefern oder Lizenzen vergeben. Nach der Expansion nach Frankreich, Belgien und England will Tobler 1924 mit dem grossen deutschen Schokoladeproduzenten Stollwerck ein Gemeinschaftsunternehmen gründen. Von Bratislava aus sollen die damalige Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien beliefert werden. Doch an der Generalversammlung stoppen die Aktionäre diese Pläne. Ein aufgebrachter Tobler tritt daraufhin aus dem Verwaltungsrat «seines» Unternehmens zurück. Das erschreckt die widerspenstige Aktionärsgruppe derart, dass sie ihre Vertreter aus dem Verwaltungsrat zurückzieht und ihre Anteile verkauft. Tobler kehrt als gestärkter Sieger ins Unternehmen zurück.

TOBLER OHNE TOBLER

Danach führt Tobler seine Umsatzjagd im Ausland noch wilder weiter. Mit einem unguten Ende. Die Expansion in die USA wird zum teuren Flop. Kurze Zeit nachdem Tobler 1925 eine Vertriebsgesellschaft mit 150 Vertretern gegründet hatte, erhöhten die USA die Zölle auf Schokolade massiv. Die Weltwirtschaftskrise vier Jahre später mit dem Zusammenbruch des Exports trifft Tobler ins Mark. 1931 kann das Unternehmen eine Anleihe von 4 Millionen Franken nicht zurückzahlen. Verhandlungen mit den Gläubigern scheitern, und das Unternehmen muss Nachlassstundung anmelden. Der gesamte Verwaltungsrat tritt zurück, Theodor Tobler bleibt als Direktor in der Firma. Aber nicht für lange. Denn der als Sachwalter eingesetzte Berner Notar Otto Wirz führt ein hartes Regime. Er verkauft alle Auslandsgesellschaften und die Nebenbetriebe. Tobler soll sich auf die Schweiz beschränken. Durch die Verkäufe und eine extrem vorsichtige Geschäftspolitik gelingt die Sanierung. Doch Direktor Tobler fühlt sich durch die straffe Führung – jede Ausgabe über 2000 Franken muss er dem Verwaltungsrat vorlegen – eingeengt. Im Juni 1933 verlässt er, offiziell in «gütlichem Einvernehmen», das Unternehmen – und wird in der Firma ab sofort zur offi­ziellen Unperson. Tobler schreibt seine Geschichte ohne Tobler weiter (siehe Artikel links).

Quelle u. a.: Chocolat Tobler. Zur Geschichte der Schokolade und einer Berner Fabrik. Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 63, 2001, Heft 1. Zum Weiterlesen hier als PDF: www.rebrand.ly/tobler-geschichte.


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1 Kommentar

  1. Widmer Benedikt

    Unsere Familie ist eng verbunden mit Tobler, war doch mein Grossvater Albert Schuler, Spreitenbach bei der
    Tobler angestellt. Er war auch bei der Entwicklung neuer
    Schokoladen, wie Theresina u.a.m. mitbeteiligt.
    Freundliche Grüsse, Beni Widmer

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