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Kassiererin Kerstin Maurhofer (52) hat nach langer Suche endlich eine Festanstellung gefunden

Katharina Wecker

Am Morgen hat Kerstin Maurhofer stets ein Lächeln auf den Lippen. Im Gespräch mit work verrät die Jumbo-Kassierin, wie sie gestresste Kundschaft zu mehr Menschlichkeit erzieht.

KASSIERERIN Kerstin Maurhofer (52), (Foto: Florian Aicher)

Am liebsten mag es Kerstin Maurhofer, wenn der Laden voll ist. «Dann geht der Tag schnell vorbei», sagt die Jumbo-Kassierin aus Winterthur. Für ein Lächeln und einen kurzen Schwatz hat sie sowieso immer Zeit. Vor allem die älteren Kundinnen und Kunden würden es geniessen, wenn sie noch ein bisschen plaudern und in Ruhe ihr Münz raussuchen können. Die jüngeren Leute seien ebenfalls gesprächig. Nur den 30- bis 50jährigen pressiere es immer. «Einige finden es nicht einmal nötig, grüezi zu sagen. Denen muss man dann ein bisschen die Brisanz rausnehmen», sagt Maur­hofer und lacht herzhaft. Sie verlangsamt das Tempo, verwickelt den gestressten Kunden in ein Gespräch und gibt ihm Zeit, seine Einkäufe einzupacken, bevor sie sich der nächsten Kundin zuwendet.

Ein freundlicher, ja herzlicher Umgang ist der 52jährigen wichtig. Wenn sie morgens zur Schicht kommt, den Laden noch ein bisschen aufräumt und sich dann an die Kasse setzt, hat sie stets ein Lächeln parat. «Die Leute können schliesslich nichts dafür, wenn ich einen schlechten Tag habe. Und wenn man ein Lächeln oder sogar Lob zurückbekommt, freut einen das besonders», sagt sie. «Es sind die kleinen, kurzen Momente, die mich mit dem Beruf im Verkauf versöhnen.»

Seit 2021 gehört Jumbo zur Coop-Genossenschaft, alle Coop-Bau+Hobby-Filialen wurden in Jumbo umbenannt. Für Maurhofer hat sich allerdings nicht viel verändert. Ausser die Uniform, die sie morgens anzieht. Die ist jetzt blau. «Ich mag die Farbe. Es macht mir Freude, wenn ich die Uniform anziehe», sagt Maurhofer.

STUNDENLOHN. Sie lacht gern und viel während des Gesprächs mit work. Dann blitzen ihre Augen. Wegen zweier chronischer Krankheiten gilt sie als Risikopatientin und trägt seit Beginn der Corona-Pandemie bei der Arbeit stets eine Maske. Schon vor der Maskenpflicht in den Läden und auch jetzt noch. Das missfiel ihren ehemaligen Chefs bei Mediamarkt. «Es gab immer Diskussionen, ob die Maske wirklich nötig sei. Auf Dauer war das mühsam.»

Dazu kam, dass sie schon fast ihr ganzes Leben nur im Stundenlohn angestellt war, also kein gesichertes Einkommen hatte. «Dadurch war mein Jahreslohn oft so tief, dass ich gar nichts oder nur ein paar Franken in die Pensionskasse einzahlen konnte.» Als sie fünfzig wurde, merkte sie: So kann das nicht weitergehen. «Ich wollte eine Festanstellung mit Pensionskasse – damit ich mir im Alter wenigstens ab und zu einen Kafi leisten kann.»

Also sah sie sich nach neuen Jobs um. Vorher machte sie sich bei der Unia schlau: Muss sie beim Bewerben angeben, dass sie eine Risikopatientin sei? Die Antwort: Nein, muss sie nicht. Kurz darauf fand sie die Stelle bei Coop Bau+Hobby. Zuerst auf Stundenbasis, knapp ein Jahr später dann in Festanstellung. «Der Job war ein toller Glückstreffer, und mit der Festanstellung ist ein Traum wahr geworden», sagt Maurhofer. Der Lohn für ihre 70-Prozent-Stelle beträgt rund 3200 Franken brutto pro Monat, der Mindestlohn gemäss dem Coop-Gesamtarbeitsvertrag. Einen Lohn in solcher Höhe hatte sie vorher nie bekommen. Und trotzdem sagt sie selbstbewusst: «Mit meiner Berufserfahrung und meinen Weiterbildungen könnte es ruhig mehr sein.» Verkauf zählt zu den klassischen Frauenberufen und ist niedrig bezahlt. Das möchte Maur­hofer gerne ändern. Deswegen engagiert sie sich nun selbst bei der Unia. In der Fachgruppe Coop diskutiert sie mit anderen Gewerkschaftsmitgliedern, wie sie den Coop-Mitarbeitenden, aber auch allen im Detailhandel helfen können. Die Hauptthemen: der niedrige Lohn und die Arbeitszeiten. Wenn die Läden immer länger aufhaben, «geht für das Personal die Lebensqualität verloren», sagt sie.

Sie versucht vor allem junge Leute für die Gewerkschaft zu gewinnen. «Je mehr wir sind, die sich einsetzen, umso einfacher wird’s. Man sieht vielleicht nicht sofort eine Veränderung, aber irgendwann schon», sagt sie. «Vielleicht passiert es nicht mehr für mich, aber für unsere Kinder.»

HOLZ STATT STOFF. Auch wenn es Sachen zu verbessern gibt, mag sie ihren Job – und ihre Kolleginnen und Kollegen. Sie helfen sich gegenseitig aus, ob bei technischen Fragen mit der Kassen-Software oder beim Finden von bestimmten Produkten. Wenn es gerade ruhig an der Kasse ist, nimmt sie den Retouren-Korb in die Hand und bringt die Sachen zurück an ihren Platz im Regal. Ein bisschen die Beine vertreten und das Sortiment kennenlernen. So weiss sie auch immer Bescheid, wo alles ist, wenn die Kundschaft Fragen hat.

Eigentlich wollte Maurhofer gerne Schneiderin werden. Doch mit einem Real­schulabschluss fand sie keine Lehrstelle. Also entschied sie sich für eine Lehre bei Coop in der Woll- und Handarbeitsabteilung. Immerhin hatte sie dort mit Stoffen und Wolle zu tun, ihrer Leidenschaft. Vermisst sie das, jetzt wo sie im Bau- und Gartenmarkt arbeitet? «Überhaupt nicht. Es macht mir Spass. Mein Mann ist gelernter Handwerker, ich habe viel von ihm gelernt und auch schon selbst Parkett verlegt», sagt sie.

Aufsteigen wollte sie nie. «Eine Filiale leiten? Nein danke – zu viel Verantwortung. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich weiss, was ich will. Mir ist wichtig, dass ich meine Arbeit gern und ordentlich mache. Und dass ich genügend verdiene, um mir meine Hobbies leisten zu können. So bin ich zufrieden», sagt Maurhofer. Und lacht wieder.


Kerstin MaurhoferKrimi und Mallorca

Kerstin Maurhofers Leidenschaften sind Stricken und Lesen. Am liebsten taucht sie in Krimis von Donna Leon oder Petros Markaris ein, die in Italien und Griechenland spielen. Das sind ihre kleinen Alltagsfluchten. Als Risikopatientin ist sie seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr gereist. Doch bald möchte sie wieder auf Mallorca, ihr Kleinod, wie sie es nennt.

ZWEISAM. Maurhofer hat zwei Kinder, 23 und 28, die letztes Jahr beide innerhalb von ein paar Wochen von zu Hause ausgezogen sind. Am Anfang hatte sie daran zu knabbern, dass die Wohnung plötzlich leer war, doch mittlerweile geniesst sie die Zweisamkeit mit ihrem Mann. «Und Mittwochabend ist Familienzeit. Da kommen mein Sohn und meine Tochter vorbei zum Znacht.»

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