Wegen Pandemie und Krieg: EU will Notrechte
Wird das Streikrecht nun ausgehebelt?

Um in Krisenzeiten die Versorgung zu sichern, will die EU-Kommission weitgehende Vorschriften machen können. Und kippt dabei das Recht auf Streik. Jetzt schlagen die Gewerkschaften Alarm.

PROTEST-MITTEL: Stahlarbeiter-Streik in Duisburg DE. (Foto: Keystone)

Produktionsvorschriften für die Privatwirtschaft, Verbote von Export-Stops und Zwang zur Offenhaltung von Staatsgrenzen – solche Kompetenzen beansprucht neu die EU-Kommission. Die Exekutive des Staatenbunds will damit sicherstellen, dass strategisch wichtige Güter und Dienstleistungen auch während Kriegen, Pandemien oder Naturkatastrophen allen Mitgliedstaaten zur Ver­fügung stehen. Ihren Vorschlag für ein «Notfallinstrument für den EU-Binnenmarkt» (Single Market Emergency Instrument) hat die Kommission jüngst vorgestellt. Damit will sie künftig verhindern, was während der Coronapandemie passiert war: Staaten schränkten die Personenfreizügigkeit drastisch ein, was zu einem Arbeitskräfte­mangel führte. Und nationale Export-Verbote, etwa von medizinischen Gütern, verschärften die Lieferengpässe. Nun will Brüssel in Krisenzeiten mehr Befugnisse für Marktregulierungen. Konkret will die Kommission Unternehmen vorschreiben können, bestimmte Aufträge voranzutreiben und andere zurückzustellen. Auch sollen Firmen und Branchenverbände einer Informationspflicht über krisenrelevante Güter unterliegen. Verstösse sol­len mit 300 000 Euro zu Buche schlagen.

STREIKS ALS «KRISEN»

Nichts wissen von solchen Eingriffen in die «unternehmerische Freiheit» will freilich die Industrie. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer etwa spricht von einem «No-Go», das «die Reputation des Standorts Europa» und die Wettbewerbsfähigkeit beschädige. Aber auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) schlägt Alarm. Denn die Kommission hat in ihrem Reformvorschlag just jenen Artikel aus dem Gesetz gekippt, der heute das Recht auf Streik ausdrücklich schützt. Laut EGB ist zudem zu befürchten, dass Streiks künftig als «Krisen» definiert und dann mit dem «Notfallin­strument» ausgehebelt werden könnten.

EGB-Präsident Luca Visentini hat daher in Brüssel reklamiert: «Das Streikrecht ist untrennbar mit dem Recht auf ­Tarifverhandlungen verknüpft und kann nicht durch Notfallmassnahmen eingeschränkt werden.» Der EGB anerkenne zwar die Bemühungen um Versorgungssicherheit. Doch Krisenbewältigung dürfe niemals zur Aushöhlung von Grundrechten missbraucht werden.

Die Antwort der EU-Kommission war bei Redaktionsschluss (14. 9.) nicht bekannt.

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