Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & der Abschied

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Prächtige Herbsttage, frisch, unter einem leichten blauen Himmel. Die letzte Arbeitswoche der Briefträgerin – sie wagt die Frühpensionierung bei der Post. An­gesichts ihrer Arbeitsbiographie ein finanzielles Abenteuer, aber irgendwie ging’s immer. Geld ­ist oft nicht der Weisheit letzter Schluss, und wo ein Wunsch ist, ist nicht selten auch ein Weg. Die Zeit ist reif. Der Zeitpunkt passt: Eine grössere Reorganisation («Reo») steht an. Die kann auch ohne die Briefträgerin stattfinden … Sie will und muss nun für die verbleibenden eineinhalb Jahre bis zur AHV (64!) auf an­­­­de-ren beruflichen Standbeinen stehen und gehen. Schreiben! Und Deutschstunden mit Andersspra­chigen.

Den Zeitteufel schickt die Briefträgerin jetzt in die Ferien.

ZEITTEUFEL. Auf ihren letzten Touren nimmt sich die Briefträgerin die Freiheit, ruhig zu gehen, ruhig zu denken, den Zeitteufel aus dem Nacken weg und in die überfälligen Ferien zu schicken. Sie erhält eine Ahnung davon, wie Arbeiten auch sein könnte. Ein Fuss vor den andern, bedächtig wie die Bergbäuerin am Hang, die weiss, dass Ghetz nichts bringt ausser frühe Müdigkeit und Fehler. Kein Fluch und keine Verwünschungen trüben ihre Morgen, «shit can happen». Arbeit als reines Vergnügen. Wann in der Menschheitsgeschichte und für wie viele war das je der Fall? Nicht für die Mehrheit jedenfalls. Dabei wäre eigentlich genug da für alle, und Arbeit könnte in einem kreativen Sinn die Menschwerdung der Affen und Äffinnen bedeuten.

DER LETZTE WERKTAG. Einer summt und singt irgendwo am Gestell, wie sie es nie hörte. Der Abschied von den meisten Kolleginnen und Kollegen ist genommen. Später soll es noch eine klei-ne Chilbi geben, der Teamchef mag keine 0815-Adieus. Der Briefträgerin ist’s recht.

Für ihren letzten Arbeitstag als Zustellerin ist nasses Wetter vorausgesagt – es soll gelten. Noch einmal die vertrauten Wege fahren auf dem gelben Dreirad. Zum letzten Mal ins verhasste Gefängnis namens Bundesasylzen­trum. Noch einmal einer Tramführerin zuwinken und den Gruss erwidert erhalten, so als wären beide selbstbewusste Teile eines starken Service public. Den letzten Brief einwerfen. Und dann …

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