Mit faulen Tricks, dreisten Behauptungen und Behördenhilfe:
So attackiert die Migros den arbeitsfreien Sonntag

Von Zürich her will die Migros das Verbot von Sonntagsarbeit aushöhlen. Freundliche Unterstützung gibt’s dafür aus den höchsten Amtsstuben.

Mehr als nur eine Filiale: Mit dem «Daily»-Laden an der Zürcher Zollstrasse versucht die Migros stur, das geltende Arbeitsrecht auszuhebeln. (Foto: Joël Hunn  | NZZ)

Früher war Peter Aeschlimann Re­daktor beim «Migros-Magazin». Dann wechselte er zum «Sonntagsblick». Doch mehr denn je tönt der Ringier-Mann wie ein zorniger Migros-Manager: «Schafft endlich die Ladenöffnungszeiten ab!» forderte er jüngst. Und sogar dem freien Sonntag will Aeschlimann an den Kragen. Das Arbeitsverbot am letzten Wochentag sei «ein alter Zopf», den man abschneiden müsse. Schliesslich sei der Sonntag weder heilig noch gehöre er der Familie. Und die Gewerkschaften erst! «Täubelen» solle man sie lassen und jetzt einfach alle Shopping-Schranken aufheben. Was war geschehen?

Aeschlimanns Furor beginnt schon 2019 – an der Ecke Zoll-/Konrad­strasse, direkt neben dem Zürcher Hauptbahnhof, wo jahrelang ein tamilisches Quartierlädeli war. Dann musste es dem Expansionshunger der Migros weichen. Der orange Riese eröffnete eine Filiale seiner neuen Linie «Daily». Sie war täglich geöffnet, von 6.30 bis abends um 8 Uhr – auch am Sonntag. Dabei besagt das Schweizer Arbeitsgesetz klar: Verkaufspersonal darf an Sonntagen nur «in» Bahnhöfen beschäftigt werden. Die «Daily»-­Filiale befindet sich aber eindeutig ausserhalb des Bahnhofsperimeters.

Trotzdem erteilte das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) eine Bewilligung. Amtschef war damals der notorische Neoliberale Bruno Sauter (FDP). Unter seinem Schutzpatron, dem SVP-Regierungsrat Ernst Stocker, genoss Sauter weitgehende Freiheiten. Es brauchte deshalb eine Intervention der Unia Zürich-Schaffhausen beim AWA: Zähneknirschend setzte das Amt das Sonntagsarbeitsverbot durch.

«Die Migros sucht krampfhaft nach neuen Schlupflöchern.»

MIGROS-SCHLAUMEIEREI

Die Migros aber griff in die Trickkiste. Der Konzern rüstete den Laden mit Self-Check-out-Kassen auf. Und plötzlich war «Daily» auch sonntags wieder geöffnet – als bargeldloser «unmanned store», also als Laden «ohne Personal». Eine Schlaumeierei: Denn in Tat und Wahrheit waren durchaus Arbeitende am Werk. Ein Security-Mann musste den Laden öffnen, die Kühlschränke einschalten, den Abfallkübel vor die Tür stellen, an der Kasse liegen gebliebene Produkte wegräumen und notfalls auch kleinere Reinigungsarbeiten durchführen. Und um die Regale mit frischen Backwaren aufzufüllen, mussten sonntags Mitarbeitende aus Migros-Filialen des Bahnhofinneren antraben. Wieder verlangte die Unia die Einhaltung des Arbeitsgesetzes – und eine entsprechende Verfügung des AWA. Doch die Behörde sah in den ­Migros-Maschen erneut kein Problem.

Überraschend kam das nicht. Denn zwischenzeitlich hatte FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh das Volkswirtschaftsdepartement übernommeneine – eine Turbolädelerin der Extraklasse (siehe Artikel ­unten). Die Unia sah sich gezwungen, gegen den AWA-Entscheid Beschwerde einzulegen. Das half: Am 12. Mai befand auch das Zürcher Verwaltungsgericht, bei den Zuständen an der Zollstrasse handle es sich um eine «Aufweichung des geltenden Sonntagsarbeitsverbots». Das nahm die Migros zwar zur Kenntnis, liess die Rekursfrist aber verstreichen, womit das Urteil Ende Juni rechtskräftig wurde. Die «Daily»-Filiale hätte seither an Sonntagen geschlossen bleiben müssen. Doch das war nicht der Fall. Erneut schritt die Unia ein und verlangte vom AWA – nun geführt von FDP-Mann Mario Senn – die sofortige Anordnung der Sonntagsschliessung. Aber schon wieder passierte nichts. Also machte die Gewerkschaft den Skandal publik. Das war am 21. Juli. Nun reagierte die Migros prompt – und wie! Via «NZZ» verkündete sie tags darauf, den Laden trotz dem Urteil offen zu halten – und zwar neu mit Verkaufspersonal. Das sei legal, weil die Sachlage inzwischen eine ganz andere sei.

AUCH WINTERTHUR IM VISIER

Tatsächlich verändert hatte sich bloss die Verkehrsführung: Just nach dem Gerichtsurteil wurde die Zollstrasse auf Höhe der «Daily»-Filiale «beruhigt», also für den motorisierten Verkehr gesperrt. In der Logik der Migros ist ihre Filiale damit mit dem Hauptbahnhofsgelände «direkt verbunden». Sonntagsarbeit sei daher erlaubt.

Dazu kann Nicole Niedermüller von der Unia Zürich-Schaffhausen nur den Kopf schütteln: «Die Migros sucht krampfhaft nach neuen Schlupflöchern. Doch die Filiale an der Zollstrasse liegt immer noch nicht im Bahnhofsperimeter, egal, ob in diesem Gebiet nun Autos fahren oder nicht.» Ganz anders reagierte das AWA: Es hält der Migros auch diesmal die Stange. Niedermüller hat dafür kein Verständnis: «Es ist ex­trem stossend, dass der Kanton die Profit­interessen eines Grossplayers stets höher gewichtet als die Bedürfnisse der Mitarbeitenden.» Die grosse Mehr­heit der Verkäuferinnen und Verkäufer wolle nämlich einen freien Sonntag. Umfragen zeigten das immer wieder. Ohnehin sei die Branche gerade in Zürich schon extrem dereguliert: «Hier haben wir die Sechs-Tage-Woche mit Öffnungszeiten von 7 bis 23 Uhr – und das bei Tieflöhnen!»

Die Unia hat daher vom AWA eine Feststellungsverfügung verlangt. Darin muss das Amt zur Sonntagsöffnung verbindlich Stellung nehmen. Was aber, wenn es die Migros zum vierten Mal protegiert? «Dann werden wir erneut dagegen vorgehen», sagt Niedermüller, und zwar «womöglich auch mit Aktionen». Schliesslich gehe es um mehr als eine Filiale.

In der Tat verfolgt die Migros dieselbe Strategie auch andernorts – etwa neben dem Bahnhof Winterthur mit einer Filiale der Linie «Gooods». Und auf der Südseite des Zürcher Hauptbahnhofs warten bereits die ­Läden der Europaallee. Auch diese ist verkehrsberuhigt. Gewerkschafterin Niedermüller warnt: «Es droht ein Dominoeffekt!»


Turbolädelerin: Carmen Walker Späh gönnt Verkäuferinnen sonntags auch keine Ruhe

FEINDIN DER ARBEITENDEN: FDP-Frau Carmen Walker Späh. (Foto: Keystone)

Dass Läden am Sonntag zu sind, ist der Zürcher FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh (64) ein Graus. Daher forderte sie letzten Januar vom Bundesrat, er möge die Grundlagen schaffen, damit Läden in Innenstädten das ganze Jahr über am Sonntag offen bleiben können. Was den Zürcher Freisinnigen aber letztendlich vorschwebt, zeigten sie bereits 2012: Ihre Initiative «Der Kunde ist König» verlangte die totale Abschaffung der Ladenöffnungszeiten. Geschäfte sollten an 365 Tagen 24 Stunden öffnen können. Doch dem erteilte die Bevölkerung des Kantons eine deutliche Abfuhr. Über 70 Prozent wollten nichts wissen vom grenzenlosen Konsum auf Kosten des Verkaufspersonals. Sogar in der Zürcher City, wo das Rund-um-die-Uhr-Shoppen zum Trend hochgeschrieben worden war, sagten 7 von 10 Stimmberechtigten Nein.

Schon 2012 sagten in Zürich über 70 Prozent Nein zum Rund-um-die-Uhr-Shoppen.

SCHWEIZER SONDERFALL. Ein ganz anderer Geist herrscht offenkundig in Walker Spähs Wirtschaftsdepartement. Dieses übrigens ist nach wie vor ein Schweizer Sonderfall: Als einzige Kantonsbehörde ist es (zahlendes) Mitglied bei Economiesuisse, der marktradikalen Lobbyorganisation des Grosskapitals.

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