Für die Bauleute geht’s bei den Verhandlungen um den neuen Landesmantelvertrag (LMV) um sehr viel: Gesundheit, Familie, Sicherheit – dafür geben sie alles, wie sie an ihrer Gross-Demo in Zürich zeigten. Absurde Töne gab dagegen Baumeister-Präsident Gian-Luca Lardi von sich.
BASTA! «Es reicht!», sagen die Bau-Leute mit ihrer Riesen-Demo in Zürich. (Foto: Manu Friederich)
Haben die Baumeister den Warnschuss endlich gehört? Hoffentlich! Immerhin haben am vergangenen Samstag rund 15 000 Bauleute ihrem Ärger Luft gemacht. Und dies extra in Zürich, wo der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) seinen Sitz hat. Zu überhören war die nationale Bau-Demo jedenfalls nicht. Mit lauten Paukenschlägen und Pfeifkonzerten ging’s voran. Und auch zu sehen waren die Botschaften deutlich: «Mehr Lohn, weniger Gstürm!» hiess es auf einem Banner. «Wir sind schon flexibel genug!» auf einem anderen. Trotzdem scheint fraglich, ob die Nachricht angekommen ist.
EIN MEER VON ROT AN DER BLAUEN LIMMAT: Tausende Baubüezer ziehen lautstark, bestimmt, …
aber guter Dinge durch Zürich.
Sie protestieren gegen Stress, …
Stundenklau und zu tiefe Löhne.
An vorderster Transpi-Front dabei: Unia-Bauchef Nico Lutz und Unia-Präsidentin Vania Alleva (Mitte).
(Fotos: Manu Friederich / Lucas Dubuis)
Denn der SBV bastelt sich die Welt, wie sie ihm grad gefällt. So behauptete Präsident Gian-Luca Lardi im «Blick», «viele Demonstranten» würden «für ihre Teilnahme bezahlt». Ob er wohl die Gratis-Fahrten und Gratis-Sandwiches meint, die die Unia verteilte? Den Beleg blieb er schuldig. Unter Beweis stellte Lardi dafür, dass er kaum mehr Kontakt zu den Arbeitenden hat: In der Baubranche erlebe er «eine absolut entspannte Stimmung». Schön für den Herrn Präsidenten! Aber zur Erinnerung: Schon 2021 haben mehrere Tausend Bauarbeitende in einer Unia-Umfrage gezeigt, dass es nicht ganz so «entspannt» zu- und hergeht – und wo der Schuh besonders drückt: beim Gesundheitsschutz, bei den überlangen Arbeitstagen und der nicht komplett bezahlten Reisezeit. Nicht ohne Grund fordern die Bauleute jetzt mehr Schutz, Lohn und Zeit – verankert und garantiert im Landesmantelvertrag (LMV), der zurzeit neu verhandelt wird. Siehe auch rebrand.ly/lmv-forderungen.
Überrissen findet das, abgesehen vom radikalen Flügel im SBV, kaum jemand. Schliesslich ist weitherum bekannt, dass in der Bauindustrie Goldgräberstimmung herrscht, die Arbeitenden aber schon zwei Jahre lang auf generelle Lohnerhöhungen warten. Und jetzt steigen auch noch Preise und Prämien.
«Die Baumeister sind nur noch respektlos.»
NUR NOCH RESPEKTLOS
Die Meister aber halten es für eine schlaue Idee, in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Sie wollen die Arbeitszeiten maximal «flexibilisieren», die 50-Stunden-Woche einführen und den LMV generell und einseitig zu ihren Gunsten zusammenschrumpfen – oder ihn gleich ganz abschaffen! So zumindest lautet ihre Drohung. Und geht es nach den Meistern, soll sich der Lohn der Büezerinnen und Büezer nur dann verbessern, wenn sie Mehrarbeit und längere Arbeitstage schlucken.
Allerdings deutet nichts darauf hin, dass die Arbeitenden da mitmachen. In Zürich zumindest zog das rote Fahnenmeer stolz der blauen Limmat entlang, dann – unter verdutzten Touristen-Blicken – über die Bahnhofstrasse bis zum Helvetiaplatz, wo abermals deutlich wurde, dass die Geduld bald zu Ende ist. Bauarbeiter António Saraiva brachte das Gefühl vieler Anwesender auf den Punkt: «Ich bin ehrlich», rief er von der Rednerbühne herab, «auch mir wäre es lieber, es bräuchte keine Demonstrationen. Doch die Meister lassen uns keine Wahl! Sie, die sich auf unsere Kosten schon jetzt bereichern, wollen uns noch länger arbeiten lassen, aber für weniger Geld! Das ist nur noch respektlos.» Mehrere Folgeredner schlugen in dieselbe Kerbe und bekräftigten allesamt: Notfalls gibt es Streik!
Noch bleibt eine Verhandlungslösung aber möglich: Am 16. September sitzen Baumeister, Arbeiter und ihre Gewerkschaften erneut an einen Tisch. Dass dann die Fetzen fliegen, scheint jedenfalls sicher.
Luna Böni, 27, Maurerin, Bern: «Es braucht endlich mehr Teilzeit-Möglichkeiten und weniger Macho-Gehabe, sonst bleibt der Bau eine Männerdomäne. Dabei gibt es so viele motivierte Frauen! Nichts kapiert haben jene, die jetzt die Arbeitszeiten noch mehr deregulieren wollen.»
Sören Schulzki, 53, Maurer, Uttigen BE: «Die Arbeitsbedingungen in der Schweiz dürfen nicht vor die Hunde gehen wie in Deutschland, wo ich herkomme. Wenn du da nach 10 Stunden nach Hause willst, guckt dich der Polier nur blöd an! Hier dagegen kann man sich noch einigermassen auf regelmässige Zeiten verlassen. Das müssen wir verteidigen!»
Ralf Kleinhans, 56, Kranführer, Kaiseraugst AG: «Bei der Affenhitze Mitte Juni zu arbeiten war eine grosse Zumutung. Es wird einfach keine Rücksicht genommen. Wenn sie jetzt noch mit der 50-Stunden-Woche kommen, machen wir nicht mehr mit. Das ist schlicht unmöglich, gerade im Sommer!»
Arbër Sadiku, 24, Gebäudetechnikplaner, Gelterkinden BL: «Die Baumeister gehen mir dermassen gegen den Strich, ich kann ihnen fast nicht mehr zuhören! Letztlich geht es ihnen nur um eines: kürzen, streichen und noch mehr Überstunden bolzen lassen: Schweinerei!»
Saša Jelic, 52, Kranführer, Grenchen SO: «Es wird jedes Jahr stressiger, die Abgabetermine werden immer unrealistischer. Schon jetzt machen wir im Sommer 10 bis 11 Stunden – jeden Tag! Am Abend kommst du heim und gehst sofort schlafen. Kein Wunder, fehlen Arbeitskräfte, besonders junge!»
José Outon, 59, Maurer, Grenchen SO: «Ich bin seit vierzig Jahren auf dem Bau. Da hat sich unglaublich viel verändert. Einerseits haben wir heute bessere Schutzausrüstungen, zudem die Frührente, die wir erkämpft haben. Aber andererseits hat der Druck extrem zugenommen. Deshalb demonstriere ich – für die Zukunft der jungen Generation.»
Marco Ascione, 36, Maurer, Gallarate (Italien): «Ich bin mit der ganzen Familie nach Zürich gereist, um die Arbeitsbedingungen in der Schweiz zu verteidigen. Die Forderung des 10-Stunden-Tags ist eine Schande. Wir laufen jetzt schon am Limit.»
Joaquin Bascuñana, Bauarbeiter, 59, Zürich: «Wir brauchen einen neuen Landesmantelvertrag, ohne geht es nicht. Der Stress ist gross, und alles wird teurer, aber wir bekommen nicht mehr Lohn. Wir fordern unsere Rechte ein, wie auch die Patrons ihre Rechte fordern.»
Patricio Alvarez, 42, Hilfsarbeiter, Zürich: «Die Meister wollen, dass wir immer mehr Stunden arbeiten müssen, aber ohne, dass der Lohn steigt. Das geht nicht, dagegen müssen wir uns wehren.»
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