work-Sommerkrimi

Hitzestau

Stephan Pörtner*

Die Arbeit auf der Baustelle gefiel Kurt eigentlich. Er war gerne draussen, das Wetter machte ihm wenig aus. Ausser bei Hitze. Diese bedrückte ihn nicht während der Arbeit, sondern an wenigen, aber entscheidenden Minuten des Tages. Nämlich dann, wenn er aufs WC musste.

(Illustration: ninotchka.ch)

Auf den Baustellen standen seit Jahren nur noch diese blauen Plastic-­Kabinen, die im Sommer unerträglich heiss wurden, mit allen Konsequenzen. Besonders schlimm war es, wenn zu wenig Toiletten am falschen Ort aufgestellt und zu selten gereinigt wurden. Wie auf dieser Baustelle. Ein einziges dieser Kabäuschen diente den zuweilen bis 20 Personen, die auf der Baustelle arbeiteten. Männer und Frauen, da wurde kein Unterschied gemacht, der Chef fand, dass Frauen auf dem Bau ohnehin nichts verloren hätten, wenn sie heikel seien, sollten sie eben im Büro arbeiten, es zwinge sie ja niemand, einen Männerberuf auszuüben. So dachte der Chef. Er war irgendwo im letzten Jahrhundert stehengeblieben.

Kurt hatte schon ein paar Mal interveniert, vergebens.

WC-DESASTER

Aber rechnen konnte er. Das Gebäude, das sie erstellten, würde Eigentumswohnungen des oberen Preissegments enthalten. Der Chef war an der Immobiliengesellschaft beteiligt. Er würde einen schönen Gewinn machen. Der Gewinn wäre auch dann noch schön, ja üppig, wenn während der Bauzeit ein WC-Container oder zumindest ein paar Kabinen mehr aufgestellt und diese hinter dem Gebäude plaziert würden, wo es vom Mittag Schatten hatte. Aber nein, die einsame Kabine stand vorne an der Strasse, in der Sonne. Abladen, hinstellen, fertig. Mehr Aufwand war unnötig, fand der Chef.

Kurt hatte schon ein paar Mal interveniert, vergebens. Viele seiner Kollegen waren Ausländer, teils über Subunternehmen oder Subsubunternehmen angestellt und konnten es sich nicht leisten, sich zu wehren. Wer sich wehrt, fliegt. Er selber konnte sich wehren, wenn auch vergeblich, er wusste, dass der Chef ihn brauchte, er würde auch woanders unterkommen, es war mehr die Macht der Gewohnheit, die ihn bleiben liess. Aber irgendwann war genug. Irgendwann staute sich so viel Wut an, dass sie ein Ventil brauchte.

Unter den festangestellten Kollegen waren die sanitären Bedingungen immer wieder ein Thema. Irgendwie, so fand man, müsste man mal etwas machen. Aber was? Das wusste niemand, und so blieb es bei Murren und Fluchen und Luftanhalten, bei Ausflügen in Cafés, die eigentlich zu weit weg und zu teuer waren, aber über anständige Toi­letten verfügten.
«Habt ihr es gehört?» fragte Kollege ­Zoran eines Mittags vor dem Aufenthaltscontainer, in dem der Kühlschrank und ein Tisch stand, der aber auch zu heiss war, um darin zu verweilen. «Der Chef kommt morgen ans Aufrichtfest. Er soll sogar Bier mitbringen.»

«War im Hard-Discounter drüben eine Aktion?» fragte Kollege Fernando, der auch schon ein paar Jahre dabei war. Der Geiz des Chefs war legendär. Kurt musste an das schale Bier denken, das er an einem solchen Fest getrunken hatte, und an das, was danach passiert war. Das brachte ihn auf eine Idee.

Es schepperte gewaltig, und sie eilten zur blauen Kabine.

QUATSCH-REDE

Ob das Blechfass einer Biermarke, von der er noch nie gehört hatte, nun wirklich aus dem Discounter stammte, Aktion gewesen war oder ein Geschenk eines Kunden, liess sich nicht herausfinden. Kurt übernahm den Job am Zapfhahn und füllte die weissen Plasticbecher, das Bier schäumte, weil das Fass nur ungenügend vorgekühlt war. Den Becher für den Chef hatte er sorgfältig präpariert. Als alle ihr Bier in der Hand hatten und das Fass schon fast leer war, hoben sie die Becher und tranken sie leer, viel war ja nicht drin.

Dem Chef kam die ehrenvolle Aufgabe zu, das Bäumchen auf dem Dachfirst anzubringen. Die Arbeitenden folgten ihm durch die im Rohbau stehenden Treppen nach oben. Kurt glaubte auf dem Weg nach oben bereits ein Rumpeln zu hören. Der Chef hielt eine Rede. Kurt beneidete die ausländischen Kollegen, die den Quatsch, den der Chef da von sich gab, nicht verstanden.
Immerhin blieb die Rede kurz, denn der Chef hielt sich auf einmal den Bauch und verzog das Gesicht. Mit ein paar hastigen Worten beendete er die Rede und machte sich dar­an, wieder hinunterzugehen. «Alles in Ordnung, Chef?» fragte Kurt freundlich. «Ich weiss nicht, ich habe, ich glaube…» Der Chef schüttelte den Kopf. Kurt wusste ­genau, was los war, schliesslich hatte er ihm das Abführmittel ins Bier geschüttet, und die Wirkung entsprach seinen Erwartungen.
«Ich muss kurz aufs WC», stöhnte der Chef, als sie unten angekommen waren. «Da drüben.» Kurt deutete auf das blaue Plastic-Häuschen. «Machen Sie Witze? Es gibt doch sicher noch ein anderes? Das ist doch nur für die …» – «Es ist das einzige, das wir haben.»

Der Chef schaute zu seinem Wagen hin­über, kalkulierte im Kopf, ob es reichen würde, ins nächste Café zu rasen. Es reichte nicht, kopfschüttelnd, fluchend, die Luft anhaltend, betrat er die Kabine. Die Geräusche, die herausdrangen, waren unschön. «Diese Hitze, dieser Gestank, das ist ja … aaaooohhh.» Das hörte Kurt, der vor der Tür stehen geblieben war, sich nun aber entfernte. Dann kehrte er zu den Kollegen zurück, die aus kleinen Flaschen Bier tranken, das Kollege Zoran in weiser Voraussicht beschafft hatte, als es beim Hard-Discounter Aktion war.

HÖLLISCH HEISS

Es schepperte gewaltig, und sie eilten, Kollege Fernando voraus, zu der blauen Kabine, die umgefallen war. Sie war während des Todeskampfes des Insassen gekippt, leider auf die Tür, und als sie am Boden aufschlug, da lebte der Chef eventuell schon nicht mehr, das konnten weder die Sanitäter noch der Notarzt genau sagen. Letzterer stellte fest, dass es sich um einen Herzstillstand infolge eines Hitzestaus handelte.

«Da drinnen kann es über fünfzig Grad heiss werden. Wir warnen immer wieder vor diesen Kabinen», schüttelte der Arzt den Kopf. «Wir auch», antwortete Kurt. «Glauben Sie mir, das haben wir auch getan. Doch unser Chef wollte einfach nicht hören.»

* Stephan Pörtner (55) lebt als Schriftsteller und Übersetzer in ­Zürich. Seine bisher fünf Kriminal­romane um ­Jakob «Köbi» Robert erschienen im Krösus- und im Bilger-Verlag. Als Meister der kurzen Form schreibt Pörtner auch ­Kolumnen und Fortsetzungsromane. 

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