Bau: Angriff auf den Landesmantelvertrag

Meister wollen die totale Arbeitszeit-Flexibilisierung

Jonas Komposch

Baumeister-Präsident ­Gian-Luca Lardi wird ­immer dreister. Jetzt will er den «Arbeitszeit­kalender» abschaffen – und behauptet, das sei der Wunsch der Büezer.

IN GEFAHR: Der Arbeitszeitkalender, den die Baumeister abschaffen wollen, ist eine gewerkschaftliche Errungenschaft und schützt die Bauleute. (Fotos: Adobe)

Schon seit Februar ringen Gewerkschaften und Baumeister um einen neuen Landesmantelvertrag im Bauhauptgewerbe (LMV). Denn der bestehende läuft Ende Jahr aus. Deshalb ­haben die Bauarbeiter längst klargemacht, was sie wollen: klare Schlechtwetterregeln, kürzere Arbeitstage, mehr Schutz für Ältere, eine Woche mehr Ferien, eine zusätzliche bezahlte Pause sowie voll bezahlte Reisezeiten. Und die Baugewerkschaften haben zügig gehandelt und den kompletten Forderungskatalog (rebrand.ly/LMV2022) den Meistern auf den Verhandlungstisch gelegt.

Ganz anders die Verhandlungsführer des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV): Sie reden noch immer um den heissen Brei herum. Dazu Unia-Bauchef Nico Lutz: «Statt konkrete Herausforderungen zu benennen, will der SBV abstrakte Diskussionen über gemeinsame Interessen führen.» Daraus leite er dann radikale Abbauforderungen ab. So geschehen an der Verhandlungsrunde vom 24. Mai.

«Ohne Arbeitszeitkalender könnte der Chef immer spontan befehlen: ‹Heute arbeitest du nicht, morgen 10 Stunden.›»

FAMILIENLEBEN UNMÖGLICH

Klartext hätten die Baumeister zwar auch da nicht geredet, sagt Lutz. Doch eines sei deutlich geworden: «Neuerdings wollen sie sogar den Arbeitszeitkalender abschaffen!» Zur Erinnerung: Der Arbeitszeitkalender ist eine gewerkschaftliche Errungenschaft und garantiert den Bauleuten eine Mindestarbeitszeit pro Woche (37,5 Stunden). Und er schützt sie zugleich mit einer Maximalarbeitszeit (45 Stunden). Ohne den Kalender bliebe nur noch die gesetzliche Limite der 50-Stunden-Woche. Lutz warnt: «Konkret könnte der Chef dann immer spontan befehlen: ‹Heute arbeitest du nicht, morgen 10 Stunden, übermorgen 5 Stunden, und dann schauen wir.›» Ein Familienleben sei so unmöglich. Wütend seien die Bauarbeiter daher zu Recht, sagt Lutz. Noch wütender dürften die aufmerksamen Zeitungslesenden unter den Bauleuten sein. Denn während die Meister am Verhandlungstisch rumdrucksen, werden sie in den Medien konkret – und immer dreister.

DRECKIGER DEAL

In den CH-Media-Titeln äusserte sich SBV-Präsident Gian-Luca Lardi unlängst zur Lohnfrage. Zuerst warnte er: «Reflexartige» Lohnerhöhungen seien kontraproduktiv. Dann behauptete er: Die Kaufkraft der Bauleute sei in den letzten Jahren gestiegen. Und zuletzt empfahl er einen schmutzigen Deal: «Wenn die Gewerkschaften etwa im Bereich der Flexibilisierung Konzessionen machen, sind wir durchaus bereit, über Lohnerhöhungen zu diskutieren.» Lardi versucht also das gleiche Spiel wie 2018. Schon damals hat er nach mehreren Nullrunden eine Lohnerhöhung angeboten. Aber nur unter der Bedingung, dass die Gewerkschaften eine massive Erhöhung der Überstunden und eine Reduktion der Zuschläge akzeptieren. Der Plan ging nicht auf. Eine riesige Protestwelle auf dem Bau stoppte Lardi. Er musste die Lohnerhöhungen ohne die gewünschten Konzessionen gewähren.

Trotzdem versucht es der FDP-Mann nun erneut. Interessant ist dabei seine Begründung.

CORONA ALS AUSREDE

Die lieferte Lardi im Magazin «Die Baustellen». Der «gesellschaftliche Kontext» habe sich seit 2018 «spürbar verändert». Die Pandemie habe die Flexibilisierung der Arbeitswelt vorangetrieben. Flexible Arbeitszeiten und mobile Arbeitsplätze seien innert kürzester Zeit «völlig normal geworden» und würden ­«gerade auch von den Arbeitnehmenden verlangt».

Für gewisse Berufsleute mag das unter ganz bestimmten Umständen stimmen. Für kinderlose Büroangestellte mit komfortablen Home­office-Möglichkeiten etwa. Baubüezer aber haben keinerlei Vorteile von einer Flexibilisierung à la Lardi. Trotzdem behauptet er, ein «flexibilisierter» und «vereinfachter» LMV sei ein «Anliegen der Gesellschaft» – und sogar eines «der Arbeitnehmenden» selbst!

Seltsam bloss, dass dieselben Arbeitnehmenden sich gleichzeitig für die grosse Zürcher Bau-Demo vorbereiten. Diese steigt schon am 25. Juni. Das Motto: «Gesundheit und Familienleben stehen nicht zum Verkauf!» Ob’s dann die Baumeister auch endlich begreifen?

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