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Kassierin Brigitte Schweizer (62): An der Hochzeit wehten Smuv-Fahnen

Ralph Hug

Brigitte Schweizer hat an der Kasse ihren Traumjob gefunden. Und in der Gewerkschaft ihren Traummann.

GESELLIG. Kassierin Brigitte Schweizer (62) liebt den Kontakt mit ­Menschen – und das Engagement in der Gewerkschaft. (Foto: Stefani Bohrer)

Brigitte Schweizer hatte es schwerer als andere. Sie wuchs in Herisau AR teilweise bei Pflegeeltern auf und litt schon früh unter Asthma. Wegen der Krankheit fehlte sie immer wieder in der Schule. Eine Lehre zu machen lag nicht drin. Zuerst arbeitete sie in einem Hotel und später in der Steckermontage beim grössten Ausserrhoder Industriebetrieb Huber + Suhner. Dieser Job erwies sich als Glücksfall. Denn hier lernte sie ihren künftigen Mann Reto Schweizer kennen. Er war ein aktiver Smuv-Gewerkschafter und konnte sie zum Beitritt bewegen. «Vier Stunden dauerte es», erinnert sich Brigitte Schweizer lachend. So wurde sie zur Aktivistin, später zur Ehefrau von Reto. Als die beiden 1996 heirateten, wehten die Smuv-Fahnen vor dem Standesamt in Herisau. «Das werde ich nie vergessen.»

Seit nunmehr dreizehn Jahren steht sie als Kassierin im Dienst eines Grossverteilers. In zwei Jahren wird sie pensioniert und kann das Leben geniessen. Die Arbeit an der Kasse gilt gemeinhin als stressig. Wieso liebt Brigitte Schweizer diesen Job trotzdem? «Ich bin eben gerne mit Menschen zusammen», sagt sie. Im Job hat sie täglich Kontakt mit Hunderten von Leuten. Alle sind anders. Das fasziniert.

GLÜCKLICHES GEWERKSCHAFTSPAAR: Brigitte und Reto Schweizer an ihrer Hochzeit 1996. Im Hintergrund flattern die Fahnen der Unia-Vorgängerin Smuv. (Foto: ZVG)

MENSCHEN STATT ROBOTER. Vor zehn Jahren hiess es, ihren Beruf werde es bald nicht mehr geben. Damals kamen die ersten Selfscanning-Stationen auf, wo die Kundschaft den Einkauf selber einliest. Fehlanzeige: Kassierinnen gibt es immer noch. Auf Berufsfrauen wie Brigitte Schweizer kann man einfach nicht verzichten. «Auch beim Einkaufen möchte man mit Menschen zu tun haben und nicht bloss mit Robotern», sagt sie. Immer wieder beobachtet sie, wie wichtig für viele Leute ein kleiner Schwatz ist. «Nur ein paar Sätze wechseln, das reicht schon.» Vor allem Ältere und Alleinstehende wüssten dies zu schätzen. So hat Brigitte Schweizer viele Leute kennengelernt, und viele Leute kennen sie als die Frau an der Kasse. Selbst wenn sie die Filialen wechselt. Denn Brigitte Schweizer arbeitet nicht immer im selben Supermarkt in St. Gallen. Als erfahrene Kassierin wird sie oft in Nachbarfilialen gerufen, wenn es dort grad an Kolle­ginnen mangelt. Auch ihre Einsätze sind unterschiedlich – morgens, nachmittags oder auch mal abends. Wie viele Kassierinnen ist Brigitte Schweizer seit Beginn weg im Stundenlohn für 23 Franken angestellt.

WIE IM BIENENHÜSLI. Die Kassierin arbeitet auch im Selfscanning. Sie nimmt Kontroll­aufgaben wahr, hilft Kundinnen und Kunden beim Scannen der Ware oder beim Zahlen mit der Karte. Da gehe es manchmal zu und her wie im Bienenhüsli, wenn der Andrang gross ist. Doch Brigitte Schweizer hat gelernt, die Übersicht zu bewahren und sich nicht stressen zu lassen. Auch an der Kasse bleibt sie freundlich, selbst wenn es die Kundschaft überhaupt nicht ist. Das sei zwar nicht immer leicht, aber sie sage sich: «Wenn ich offen und positiv bin, kommt es meist auch so zurück.» Ein Lächeln in den Augen gibt ihr ein gutes Gefühl und hilft, die Belastung der Kassenarbeit besser zu bewältigen.

Denn belastend ist der Job zweifellos. Auch Brigitte Schweizer musste schon zur Therapie, weil ihr Schulter und Arme schmerzten. «Kassenkrankheit», sagt sie scherzend, zurückzuführen auf die stets gleichen Bewegungen am Laufband. Sie versucht, mit gezielter Bewegung und Veränderung der Körperposition Gegensteuer zu geben. Nicht immer nur sitzen, sondern auch mal aufstehen. Und beim Sitzen immer schön den Rücken gerade halten. Als hilfreich empfindet sie den Fortschritt bei der Kassentechnologie. Das Scannen geht leicht, und auch die Aktionen und Rabatte sind gut ins elektronische System int­griert. Dennoch kann es zu Falschverbuchungen kommen. «Fehler passieren halt bei jeder Arbeit.»

Als Brigitte Schweizer als Kassierin begann, verhehlte sie nicht, dass sie eine überzeugte Gewerkschafterin ist. Sie möchte nichts verbergen und respektiert auch die Regeln im Betrieb. So durfte sie während der Pause bei Kolleginnen Unterschriften fürs AHV-Referendum sammeln. 30 kamen zusammen, worauf sie stolz ist. Und dann war da noch ein Chef, der plötzlich zu ihr sagte: «Offiziell darf ich zwar nichts sagen, aber privat finde ich: Macht nur weiter so!»


Brigitte Schweizer Die Zugreisende

Brigitte Schweizer macht bei der Unia-Frauenkommission mit und engagiert sich besonders in der Kampagne gegen die Heraufsetzung des Frauenrentenalters. «Es ist nicht richtig, dass Frauen noch länger arbeiten müssen, wenn sie schon den Grossteil der Arbeit leisten», sagt sie.

FRAUENGRUPPE. Mit anderen Unia-Frauen ist sie auch privat gerne zusammen. Das Grüppli organisiert regelmässig ein sogenanntes «Schweizer Reisli». Immer mit dem Zug. Zuletzt besuchten sie das Kemmeribodenbad im Berner Oberland, als nächstes geht’s zum Vierwaldstättersee. Entspannung findet Brigitte Schweizer beim Lesen von Frauengeschichten. Oder beim Musik­hören, am liebsten Schlager und Pop.

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