Bärtschi-Post

Die Briefträgerin & die Zeit

Katrin Bärtschi

Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.

Zeit sei Geld. Heisst es. Das Thema ist, gerade im Zusammenhang mit der Post, abgedroschen. Und doch aktuell. Die Briefträgerin traf zufälligerweise in einem ­Restaurant zwei Schalterangestellte. Das Gesprächsthema war klar: die Arbeitgeberin, die Arbeitsbedingungen. Die Kolleginnen berichteten, dass seit ein paar Monaten das Dingdong-Zeichen («der / die nächste bitte!») nach Abschluss einer Zahlung automatisch ausgelöst werde. Egal, ob die Nase geputzt oder ein Schluck Wasser getrunken sei. «Wir können schon eingreifen, tun wir das aber zu oft, müssen wir Rechenschaft ablegen.»

Ist die Pressiererei Teil der beruflichen Identität geworden?

In der Briefträgerin steigen Erinnerungen an zahllose Zeitsparmassnahmen hoch, denen sie im Verlaufe ihrer Postkarriere ausgesetzt war: Konkurrenz als Mittel der Leistungssteigerung. Vergleiche ohne Ende und eigentlich auch ohne Sinn. Denn manches ist schlicht nicht vergleichbar: Stadt und Land, Jung und Alt, die Temperamente und anderes. DXP-Fahrzeug-Besteigen immer von der Seite her, wo Frau oder Mann grad steht. Auch wenn die sichere Seite die andere ist. Spart Sekunden. Der Weg in den Pausenraum und zurück sei Pause und entsprechend zu scannen. Wer für den Scannerbetrieb ein Passwort benutzt, statt Google, der Post und weiss nicht wem allem den Fingerabdruck zur Verfügung zu stellen, muss sich ineffizientes Arbeiten vorwerfen lassen. Big Data grüsst vielmals. Und die verarbeitete Menge pro Zeit. Viele geben viel für eine gute «Performance». Warum funktioniert dieses Leistungssystem, trotz Rückenschmerzen, Magenübersäuerungen, Kopflosigkeiten, Stress und Unfällen?

HERDENTIER? Der Mensch sei ein Herdentier. Heisst es. Nur: Sind die Menschen von Natur aus Herdentiere, oder sollen sie es sein? Der Gruppendruck mag ein Grund dafür sein, dass vieles – höchstenfalls murrend – akzeptiert wird. Oder die eher irrationale Angst vor Stellenverlust. Des weiteren Lobhascherei und die Hoffnung auf finanzielle Anerkennung.

Immerhin haben die Rationalisierungs- und Tempovorschriften an Aufdringlichkeit verloren. Weil sie gar nicht mehr nötig sind? Weil die Kulturrevolution vollzogen, die Abrichtung gelungen und die Pressiererei Teil der beruflichen Identität geworden ist?

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