Von wegen «nachhaltigste Detailhändlerin der Welt»:

Migros verkauft Tomaten von Quäl-Plantagen

Jonas Komposch

Beim spanischen Gemüse­produzenten Eurosol eskaliert’s: Mitarbeitende werden schikaniert, Gewerkschaftsmitglieder werden geschasst, und ein Arbeiter nimmt sich das Leben. Doch Grosskundin Migros zaudert.

BITTERER BEIGESCHMACK: Die saftigen Migros-Tomaten werden in Spanien unter miesen Arbeitsbedingungen geerntet. (Foto: Keystone)

Knackige Peperoni, saftige Tomaten und süsse Melonen – das und vieles mehr liefert das Agrarunternehmen Eurosol aus dem spanischen Almería an die Migros. Doch für den orangen Riesen wird der spanische Partner zunehmend zur Hypothek. Denn seine Produkte hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Bereits im März schlug die andalusische Arbeitergewerkschaft SAT Alarm: Eurosol verweigere seinen 200 Erntearbeitenden nicht nur die obligatorische Mittagspause. Auch geleistete Überstunden würden nicht bezahlt. Zudem habe die Firma eine «gewaltige Repression» entfacht. Ziel sei es, sich der ge­werkschaftlich aktiven Mitarbeitenden zu entledigen. Diese haben vor vier Jahren gestreikt – und damit bezahlte Pausen und Transportvergütungen durchgesetzt. Ihr Tageslohn übersteigt aber immer noch nicht 40 Euro. Doch nun hat der spanische Hilferuf Schweizer Verbündete auf den Plan gerufen.

«Der Chef hat mir verboten, auf die Toilette zu gehen.»

KEIN WC, KEINE PFLASTER

Nämlich die Bauerngewerkschaft Uniterre, die Plattform für eine sozial nachhaltige Landwirtschaft Agrisodu, die gewerkschaftsnahe Stiftung Soli­fonds sowie die Westschweizer Konsumentenorganisation FRC. Letztere hat die Entlassenen in Almería getroffen, zum Beispiel SAT-Mitglied Lilia*. Sie erhielt die Kündigung nach zehn Jahren Knochenarbeit in Eurosols Treibhäusern. Man habe sie ohne Corona-Maske erwischt, lautete die Begründung. Eine glatte Lüge sei das, sagt Lilia. Eurosol habe schon lange versucht, sie los zu werden – und zwar mit üblen Schikanen: «Einmal plagten mich starke Bauchschmerzen. Ich bat um Erlaubnis, auf die Toilette zu gehen. Doch der Personalchef sagte einfach Nein!»

«Nein» habe auch ihr Vorgesetzter gesagt, als sie ihn wegen einer Schnittverletzung um ein Pflaster gebeten habe. «Er meinte, das sei nicht sein Problem.» Um die Blutung zu stoppen, habe sie sich schliesslich eine gebrauchte Corona-Maske um die Wunde wickeln müssen. Das berichtete Lilia im März. Seither hat sich die Situation massiv verschärft.

TRAGISCHER TIEFPUNKT

Das kann SAT-Gewerkschafter José García beziffern: «Vor einem Jahr hatten wir bei Eurosol 60 Mitglieder, heute sind es noch 15!» Der Rest sei entlassen oder rausgemobbt worden. Der bislang tragischste Tiefpunkt: An­drius Jonaiti, ein litauischer Arbeiter mit dreizehn Dienstjahren auf dem Buckel, nahm sich das Leben – am gleichen Tag war ihm gekündigt worden. Auch davon liess sich Eurosol nicht aufhalten, sondern stellte fünfzig neue Arbeiter ein! Sie stammen allesamt aus Mali, wie ein work vorliegendes Firmendokument besagt. Gewerkschafter García erklärt: «Die neuen ­Kollegen aus der Subsahara sind der Willkür der Chefs ausgeliefert. Denn sie verstehen weder Spanisch noch die hiesigen Gesetze. Zudem werden sie isoliert, um nicht von der Älteren beeinflusst zu werden.»

Diese Spaltungstaktik sei nicht neu. Schon vor Jahren seien die kämpferisch gewordenen marokkanischen Arbeitenden durch unerfahrene aus Osteuropa ersetzt worden. Der Plan scheint erneut aufzugehen: Kaum waren die Malier da, benutzte sie Eurosol, um einen neuen Betriebsrat zu installieren. Erfahrene Mitarbeitende und SAT-Mitglieder sind darin kaum mehr vertreten.

Parallel dazu gingen die Schikanen gegen Gewerkschaftsaktive weiter. Viele von ihnen stammen aus Lateinamerika oder osteuropäischen Ländern wie der Ukraine. So auch Olga*. Ihre Familie lebt mitten im Donbass-Kriegsgebiet. Sie erzählt: «Wegen des Krieges bat ich darum, ausnahmsweise das Handy mit aufs Feld nehmen zu dürfen. Die Geschäftsleitung lehnte das kategorisch ab.» Das sei heuchlerisch, findet Olga. In der Tat inszeniert sich Eurosol öffentlich als Ukraine-Wohltäterin – wegen einer 2000-Euro-Spende ans Rote Kreuz!

Das Resultat der Eurosol-Untersuchung hält die Migros streng geheim!

UNTERSUCHUNG EINGELEITET

Uniterre, FRC, Agrisodu und Solifonds haben bei der Migros bereits mehrfach Beschwerden eingereicht. Das hat gewirkt. Denn die Migros setzt nach ­eigenen Angaben zunehmend auf «so­ziale Nachhaltigkeit». Sie ordnete deshalb eine Untersuchung an. Doch den Untersuchungsbericht hält die Migros streng geheim! Und weil die Missstände in Almería kein Ende nehmen, kommen die Schweizer SAT-Verbündeten jetzt zu einem vernichtenden Urteil: Die Migros benutze den Bericht nur, um Zeit zu gewinnen. Und um letztlich «nichts zu unternehmen». Die Untersuchung sei offensichtlich so durchgeführt worden, dass Eurosol «in allen Punkten konform war». Migros-Sprecher Patrick Stöpper widerspricht: Man versuche «aktiv, einen Beitrag zur Findung einer Konfliktlösung zu leisten». Tatsächlich sah sich Eurosol bereits zweimal gezwungen, mit der Gewerkschaft an den Verhandlungstisch zu sitzen.

Das bestätigt SAT-Mann José García. Er sagt aber auch: «Eine Einigung liegt noch in weiter Ferne.» Besonders verweigere Eurosol nach wie vor die Wiedereinstellung der Entlassenen. Warum es genau hier harzt: Die mächtige Migros teilt die Forderung der Wiedereinstellung nicht! Laut Sprecher Stöpper setze man stattdessen auf «konstruktive Lösungsfindungen», «prophylaktische Konfliktvermeidung» und auf «Empfehlungen». Ob das genügt für die angeblich «nachhaltigste Detailhändlerin der Welt»?

* Namen geändert

2 Kommentare

  1. Jorge

    Buenas dias
    Der Artikel über den Verkauf von Tomaten aus „Quäl-Plantagen“ trifft wieder einmal mitten ins Schwarze.
    Dass die meisten Schweizer Detailhändler diese totale Ausbeutung von Arbeitskräften tolerieren und sich hinter unglaubwürdigen Zertifizierungen und den angeblichen KundInnen-Wünschen verschanzen, macht mich „agro“. Noch weniger verstehe ich, dass die Dachorganisation der Schweizer Bio Bauern und Bäuerinnen „Bio-Suisse“ mit seiner Make „Knospe“ Gemüse und Beeren aus Almeria importiert.
    Da ist gutes Hinschauen beim Einkaufen und die Wahl von saisonalen und regionalen Produkten unerlässlich.
    En Guete, Jorge

    • Pascal

      Man könnte es sich ja denken und verwundert mich auch nicht.
      Aber im Klartext: „nur unser Konsumverhalten kann solche katastrophale Lieferketten stoppen und in die Knie zwingen“.
      Jeder Schweizer sollte es langsam aber sicher besser wissen, von Gemüse und von Obst aus dem Ausland, möglichst die Hände weg zu lassen – selbstverständlich gibt es Ausnahmen.

      Aber die Migros sollte sich auch schämen. Generell ist es ja die Migros die ständig „Verantwortung“ predigen…..

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