Auf ihrem Weg zu einem besseren Landesmantelvertrag haben 250 Bauarbeiter in Olten die Weichen gestellt. Nächster Halt: die Strassen Zürichs!
ENTSCHLOSSEN: Wenn die Baumeister nach dem Grossprotest am 25. Juni nicht einlenken, wird das Thema Streik akut. (Foto: Manu Friederich)
Das Stadttheater Olten besticht mit opulenten Sälen an bester Lage. Doch am letzten Samstag stand kein Schauspiel auf dem Programm, sondern die ernste Lage auf dem Bau. 250 gewerkschaftlich organisierte Maurer, Poliere, Eisenleger, Kran- und Baggerführer aus der ganzen Schweiz versammelten sich zur grossen «Landsgemeinde». Auf Einladung der Unia. Schliesslich geht es in diesem Jahr um viel für die Büezer: Der Landesmantelvertrag (LMV) für das Bauhauptgewerbe läuft Ende Dezember aus. Ein neuer muss her. Und zwar ein besserer! Die zentralen Forderungen haben die Bauleute längst beschlossen: mehr Schutz für Ältere, kürzere Arbeitstage und klare Schlechtwetterregeln. Auch eine Woche mehr Ferien soll es geben, zudem eine zusätzliche bezahlte Pause sowie endlich komplett vergütete Reisezeiten (ganzer Forderungskatalog unter: rebrand.ly/LMV2022). Doch der Baumeisterverband (SBV) geizt – und noch schlimmer: Er will sogar zurück in graue Vorzeiten!
Nicht weniger als 50 Stunden pro Woche sollen die Arbeiter chrampfen. So schwebt es den Herren Meistern vor. Zudem: Arbeit auf Abruf, Lohnabbau und eine Aufweichung des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitende. Und all das trotz Rekordauftragslage und Millionengewinnen. Dass sie damit durchkommen werden, davon scheinen die Baumeister aber offenbar selber nicht so ganz überzeugt. Jedenfalls überschwemmt der Verband jetzt Haushalte und Bauplätze mit einer «Baustellenzeitung». Produziert hat das magere Extrablättli die Berner PR-Agentur Stämpfli. Diese betreibt auch Propaganda für die Gärtnermeister und den Wirteverband. Beim Kunden SBV war der Auftrag klar: Das Wunschdenken der Meister soll als Wille der Arbeiterinnen und Arbeiter verkauft werden. Verfangen wird das kaum. In Olten jedenfalls sorgte die kollektive Zeitungslektüre vor allem für Heiterkeit.
Der mit Abstand lauteste Applaus galt dafür einem Arbeiter, der in den Saal rief: «Seit Jahren verdienen die Meister riesige Summen an uns. Daher schulden sie uns etwas, nicht wir ihnen. Und eines ist klar: Wir machen nicht einen Schritt zurück! Wenn die Meister das nicht verstehen, dann kommt eine Bau-Revolution!» Und tatsächlich wurden in Olten kühne Pläne geschmiedet.
Gonzalo Ontivero, 47, Maurer, Bern: «Klar, wollen die Patrons Profite, doch auch wir brauchen mehr. Die Lebenskosten steigen, aber wir gehen seit Jahren leer aus. Auch mehr Schutz für die Älteren ist dringend nötig. Das haben wir verdient!»
Kerim Velii, 59, Maschinenführer, Brig VS: «Im Wallis gibt es Firmen mit 70 Prozent italienischen Grenzgängern. Sie stehen unter enormem Druck, weil sie nur Saisonverträge haben. Ich verteile täglich Unia-Broschüren. Das Interesse ist riesig!»
José Lopez, 59, Maurer, Delémont JU: «Dem Baumeisterverband sage ich: Euer Verhalten ist nicht gerecht! Flexibilität wollt ihr nur für euch. Was wir brauchen, sind kürzere Arbeitstage, denn für die Familie bleibt schon jetzt kaum Zeit.»
Emanuel Pereira, 30, Maurer, Thun BE: «Alle Bauarbeiter müssen ihre Kollegen jetzt informieren und ermutigen. Ich sage immer: Wenn wir zusammen arbeiten, müssen wir auch zusammen kämpfen. Anders geht’s gar nicht!»
Patrizio Melluso, 58, Polier, Lugano TI: «Ich arbeite seit 1985 auf Schweizer Baustellen. Deshalb weiss ich: Bei uns allen haben Stress und Ängste zugenommen. Die Chefs lassen uns einfach keine Ruhe mehr. Das werden wir jetzt ändern.»
Sebastiano Puliero, Vorarbeiter, 58, Sion VS: «Seit Jahren attackiert der Baumeisterverband unsere Errungenschaften. Jetzt will er uns im Winter Stunden klauen und im Sommer 15 Stunden am Tag chrampfen lassen. Logisch, sind wir hässig!»
GROSSDEMO AM 25. JUNI
Erstens korrigierten die Versammelten die früher vorgesehenen Lohnforderungen nach oben: Um mindestens 150 Franken sollen alle Löhne steigen. Je nach Teuerung sogar um 200 Franken. Dazu Xhafer Sejdiu, Unia-Baupräsident aus Zürich: «Mit dem allgemeinen Preisanstieg ist das kein Luxus, sondern schlicht eine Frage der Existenz.» Dann kamen die Arbeiter in Kleingruppen zusammen. Diskussionsthema: die nationale Grossdemonstration am 25. Juni in Zürich – am Sitz des Schweizerischen Baumeisterverbands. Warum es diese braucht, machte Unia-Mann Chris Kelley klar: «Am Verhandlungstisch bewegen sich die Meister nur, wenn die Arbeiter Bewegung auf die Strasse bringen.» Was aber, wenn auch der Zürcher Megamarsch den Meistern keine Beine macht? Dann gibt’s gemäss Bauarbeiterbeschluss automatisch Streikabstimmungen im ganzen Land. So oder so: Der Sommer wird heiss!
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