Diese Frauen bringen frischen Wind in die Zürcher Reinigungsbranche

Wenn die Chefinnen selber putzen

Sarah Forrer

Bei der Reinigungs-Plattform Autonomía nehmen die Chefinnen höchstpersönlich den Putzlumpen in die Hand. Denn bei dieser neuen Kooperative aus Zürich organisieren sich die Arbeiterinnen selbst – mit glänzenden Aussichten!

UND WIE SIE STRAHLEN! Seit sie mit ihrem Putzangebot online gingen, werden die Frauen der Autonomía-Kooperative mit Aufträgen überschwemmt. (Foto: ZVG)

Es war der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Und was für einer: Als die Reinigerinnen-Plattform Autonomía Anfang Jahr loslegte, wurde sie regelrecht überschwemmt. Mit Mails. Mit Telefonanrufen. Mit Anfragen. Über 600 Kundinnen und Kunden hatten sich innert kürzester Zeit registriert. Saubere Wohnungen zu sauberen Bedingungen. Und ohne dass ein Vermittler abkassiert. Das wollte Zürich. Die Warteliste wuchs und wuchs. Bis zum Buchungsstop Mitte Februar. ­Initiantin Sabri Schumacher sagt lachend: «Wir haben uns auf ein langsames Wachstum eingestellt. Der Erfolg überrumpelte uns total. Doch das Schöne daran ist: Die Nachfrage ist da!».

Zusammen mit Reinigerin Rebeca Fueyo sitzt sie in einem kahlen Raum an der Albulastrasse in Zürich. Hier zwischen Altstetten und Letzipark, in einem rostroten Bürokomplex, wuchs die Idee der Reinigungs-Kooperative vor gut einem Jahr. Und zwar in den Köpfen von ­Sabri Schumacher und Jael Bueno. Beide sind für den Verein Frauen 50 plus aktiv; eine gemeinnützige Organisation, die ältere Frauen bei der Arbeitssuche unterstützt. Dabei hörten sie immer wieder die dreckigsten Geschichten aus der Reinigungsbranche: Frauen, allermeist Migrantinnen, die für 17 Franken in der Stunde putzen müssen. Frauen, die während der Pandemie von einem Tag auf den anderen ohne Arbeit dastanden. Schumacher: «In der Reinigung werden die bereits am stärksten Diskriminierten – Frauen und Migrantinnen – ausgenutzt und kleingehalten. Dem wollten wir Gegensteuer geben.»

Die Frauen bestimmen ihren Lohn und ihren Arbeitsalltag selbst.

EIGENE REGELN

Mitgründerin Rebeca Fueyo erinnert sich an die ersten Treffen, bei denen über die Kooperative diskutiert wurde: «Da gab es sehr angeregte Diskussionen.» Kein Sexismus, das war klar. Auch das Lernen der deutschen Sprache stand hoch oben auf der Prio­ritätenliste. «Das vereinfacht den direkten Kontakt mit den Kundinnen», so die gebürtige Portugiesin. Beim Preis einigten sie sich auf 40 Franken pro Stunde. Davon gehen 30 Franken brutto an die Arbeiterin. Die restlichen 10 Franken werden für einen Beitrag in die Genossenschaft abgezogen sowie für die Sozialleistungen wie fünf Wochen bezahlte ­Ferien, AHV, Unfallversicherung sowie Krankentaggeld. Auch minimale Arbeitspensen wollen sie sich gewährleisten – und vor allem den neuen Genossenschafterinnen.

HILFE ZUR SELBSTHILFE

Diese stehen schon an der Startlinie: Um die vielen Anfragen zu bewältigen, wurden 20 weitere Frauen mit ins Boot geholt. Nach Ablauf der dreimonatigen Probezeit werden sie automatisch Genossenschafterinnen. Bei neuen Mitstreiterinnen ist den Frauen vor allem eines wichtig: die Motivation. Und ein offener Geist. Rebeca Fueyo betont: «Wir ticken anders. Die Frauen haben bei Autonomía viel mehr Rechte. Doch es erfordert auch Selbstverantwortung und Eigeninitiative.»

Für Schumacher ist klar: Dienste wie Uber, Helpling & Co. bringen die Gesellschaft nicht voran, sondern nutzen die «freien» Mitarbeitenden einfach nur aus. Mit schlechten ­Löhnen. Ohne Verhandlungsmacht. Ohne Chance auf Aufstieg. Ihr Gegenmodell zu dieser Gig-Economy: Plattformkooperativen.

Die Strukturen in Kooperativen oder Genossenschaften sind flach und sozial. Keine Chefetage verdient an der harten Arbeit mit – weil es gar keine Chefetage gibt. Zeitgleich nutzt das Modell die digitalen Vorteile. Die Buchungen funktionieren per Mausklick. Per App. Papierkram fällt weg. Die Bedienung für die Kundinnen ist einfach.

In der Schweiz ist in Basel mit Flexifeen im Sommer 2020 die erste Plattformkooperative gestartet. Dieser Ansatz überzeugte Sabri Schumacher: «Das ist es!» wusste die ehemalige Syna-Gewerkschafterin sofort. In Deutschkursen, die der Verein 50 plus anbietet, weibelte Jael Bueno für die Idee. Nach anfänglicher Skepsis meldeten sich Migrantinnen aus allen Branchen: Einige reinigten, andere führten einen Lebensmittelladen, ­arbeiteten in Showrooms oder im Haushalt.

Doch wie führt man eine eigene Firma? Eine eigene Genossenschaft? Die Grundlagen gaben Sabri Schumacher und Jael Bueno den sieben Frauen in einem halbjährigen Kurs auf den Weg. Dazu gehörten Buchhaltung, Marketing, Versicherungsfragen, aber auch Personalführung oder Qualitätskontrolle – und die eigenen Arbeitsbedingungen. In der ersten Phase können die sieben Migrantinnen auf die Hilfe des Vereines 50 plus zählen. Dieser übernimmt den Kontakt mit den Kundinnen, übersetzt bei Sprachproblemen, macht die Buchhaltung und treibt die Entwicklung der App voran.

«Es wäre toll, wenn dieses Arbeitsmodell Schule machen würde!»

VISION VON NACHAHMERINNEN

Dass die Mission auf gutem Wege ist, bemerkt Initiantin Sabri Schumacher jedesmal, wenn sie die Lohnabrechnungen der Reinigerinnen erstellt. «Da stehen bei den Reinigerinnen schöne Beträge drauf – mehr, als ich verdiene», sagt sie lachend. Schumacher wünscht sich viel mehr solche Kooperativen in der Schweiz. Arbeiterinnen, die ihren Alltag und ihren Lohn selbst bestimmen können. Sabri Schumacher: «Kopieren ist erlaubt! Es wäre toll, wenn dieses sozialverträgliche Arbeitsmodell Schule machen würde!»

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