Genfer Baustelle: Berge von Abfall, Bauschutt und Scherben

Unia stoppt Bau-Sauerei

Jonas Komposch

Wo dereinst eine Genfer Privatbank die Vermögen von Superreichen vermehren wird, mussten 30 Bauleute im grössten Dreck arbeiten.

GEFÄHRLICH: Grüsel-Baustelle an der Luxusmeile in Genf. (Foto: Unia)

Die Rue du Rhône ist Genfs Nobelstrasse schlechthin. Nur die vornehmsten aller Luxusmarken können sich hier die Rekordmieten leisten. Und so präsentieren sich an der Shopping-Meile hauptsächlich Uhren-, Schmuck- und Modeboutiquen. Vermögensverwalter und Anwaltsbüros ergänzen das Angebot für die mondäne Schickeria der Handelsmetropole. Von der Tourismusförderung wird die Strasse in den höchsten ­Tönen gelobt: «Sie bringt alle Augen zum Leuchten.» Eine ganz andere Erfahrung machte José Sebastião vom lokalen Bauteam der Unia – und zwar an der Rue du Rhône 4.

TRAMPELPFADE IM MÜLL

Das dortige Geschäftshaus wird gerade totalsaniert. Doch schon ein kurzer Augenschein reichte, und Sebastião sah rot: «Ich glaubte, in einer Abfallhalde gelandet zu sein!» In sämtlichen Räumen habe es Berge von Abfall, Bauschutt und zerbrochenem Glas gegeben. Ein Durchkommen sei nur über ­schmale Trampelpfade möglich gewesen – links und rechts davon: Haufen von Müll. Dabei liefen die Arbeiten auf Hochtouren: «Gut dreissig Maurer, Elektriker und Sanitäre mussten in diesem Chaos aneinander vorbeikommen!» Gefährliche Platzverhältnisse waren laut Sebastião aber nicht das einzige Problem: Auch vorschriftsgemässe Umkleide- und Pausenräume suchte Sebastião vergebens. Deshalb zögerte der Gewerkschafter nicht lange.

MIT BLOCKADE GEDROHT

Mit der kantonalen Baustelleninspektion kehrte Sebastião an die Rue du Rhône zurück. Und der projektverantwortlichen Firma setzte er eine Frist: Sollte die Baustelle innert 48 Stunden nicht gereinigt und aufgeräumt sein, würden zum Schutz der Arbeitenden «die adäquaten gewerkschaftlichen Mittel» ergriffen. Dass auch eine Baustellenblockade in Frage komme, liess der Unia-Mann deutlich durchblicken. Das wirkte. Als die Unia erneut einen Kontrollgang macht, ist die Rue du Rhône 4 sauber. Trotzdem kritisiert Sebastião die Firmen scharf: «Für den Luxus der wenigen setzten sie die Gesundheit der Arbeiter aufs Spiel.» Zusätzlich pikant: Hinter dem Projekt stehen illustre Namen und Firmen, die im Geld schwimmen.

Die Liegenschaft gehört der LP 1 Rhône SA. Dieses Unternehmen ist Teil des Firmenimperiums von Claude Charmillot, einem Genfer Steuerberater, Immobilieninvestor und Fussballmäzen. Für den Totalumbau hat er das traditionsträchtige Architekturbüro Favre & Guth engagiert. Dessen Spezial­gebiet: Villen, Nobelsanierungen und Luxusüberbauungen. Mit einem Familienvermögen von rund 300 Millionen Franken ­rangieren die Favres auf Platz 264 der Reichstenliste der «Bilanz». Und auch die künftige Mieterin der Rue du Rhône 4 muss nicht am Hungertuch nagen. Einziehen wird nämlich die Genfer Privatbank Reyl. Sie verwaltet Kundenvermögen im Wert von fast 39 Mil­liarden Franken und war bis 2021 vollständig in Familienbesitz.

In aller Munde war die Bank 2013, als ihre Verstrickung in den Steuerbetrugsskandal um den damaligen Finanzminister Frankreichs, Jérôme Cahuzac, ans Licht kam. Cahuzac musste in der Folge seinen Hut nehmen, Präsident François Hollande warf ihn aus der sozialistischen Partei, und ein Gericht verurteilte ihn 2016 unter anderem wegen Geldwäscherei zu drei Jahren Gefängnis. Die Reyl-Bank wie­derum musste wegen der Cahuzac-Affäre fast 2 Millionen Euro Busse bezahlen, während CEO François Reyl zu einer bedingten einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Just in dieser Zeit holte die Bank eine neue Verwaltungsrätin ins Boot: CVP-Alt-Bundesrätin Ruth Metzler.

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