Indien: Millionen Frauen und Männer am nationalen Streik

«Rettet die Menschen! Rettet das Land!»

Michael Stötzel

Der Bankangestellte war dabei, der Industriearbeiter und auch die Kleinbäuerin: Millionen Beschäftigte ­protestierten in Indien gegen die unbarmherzige Politik ihres Minister­präsidenten Modi.

PROTEST GEGEN SOZIALABBAU: Streikende blockieren einen Zug in Kalkutta. (Foto: Getty)

Es waren viele Millionen Inderinnen und Inder, die Ende März im «Bharat Bandh», dem nationalen Streik, auf die Strasse gingen. Die ihre Werkhallen und Baustellen verliessen, ihre Lastwagen stehen liessen, in den Häfen die Schiffe nicht löschten. Sie blockierten Strassen und Züge, sie zwangen Banken und Behörden zur Schliessung der Schalter und Büros. Bäuerinnen mit ihren Familien waren dabei, viele Frauen prägten die Bilder von den Demonstrationen. Und auffällig war auch die Teilnahme der ganz Elenden, die im ganz Unten irgendwie ihr Auskommen suchen müssen. Das ist die übergrosse Mehrheit der Beschäftigten des Landes, an die 90 Prozent schätzte kürzlich der britische Radiosender BBC.

Millionen Menschen protestierten gegen Narendra Modis neues Arbeitsgesetz.

MODIS ARBEITSGESETZ

Sie alle waren dem Aufruf zum Streik von zehn nationalen Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbänden gefolgt, um unter der gemeinsamen Parole «Rettet die Menschen! Rettet das Land!» gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik des rechten, hindu-nationalistischen Regierungschefs Narendra Modi zu protestieren. Grund genug haben alle, denn Modis neues Arbeitsgesetz erschwert ihr Leben beträchtlich, selbst denen, die eine feste Anstellung haben. Künftig können die Unternehmen ganz legal Gelegenheitsarbeitende anstellen, ihren Leuten längere Arbeitszeit aufdrücken, die Löhne kürzen und sie pro­blemlos wieder auf die Strasse stellen. Die Streikenden verlangten von der Regierung Modi, dieses Gesetz wieder zurückzuziehen. Zudem soll sie die Pläne zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen fallenlassen. Und die langfristige Verpachtung von Eisenbahnen und Elektrizitätsnetzen. Eine Reichensteuer soll die Mittel für höhere Investitionen in die Landwirtschaft, die Bildung und die Gesundheitsversorgung abwerfen. Weitere Forderungen sind: höhere Mindestlöhne und Mindestrenten, finanzielle Unterstützung für alle Familien, die so arm sind, dass sie keine Einkommenssteuer zahlen müssen, formelle Anstellung und Sozialversicherung für alle Beschäftigten im Gesundheitsbereich, Senkung der Steuern bei Brennstoffen.

POLITISCHE ZAHLEN

Mehr als 200 Millionen Menschen hätten sich am zweitägigen Streik für ein besseres Leben engagiert, sagen die Gewerkschaften. Ihre Erwartung sei damit eingetroffen. Auch nur einigermassen überprüfbare Zahlen zur Streikteilnahme gibt es allerdings nicht, kein Wunder bei der Grösse des Landes und dem riesigen informellen Wirtschaftssektor. Die britische Tageszeitung «The Guardian» geht von lediglich 50 Millionen aus, die auf den Strassen und Plätzen protestierten. Die konservative «Times of India», die grösste englischsprachige Zeitung des Landes, höhnte denn auch in ihrem Leitartikel, dieser Streik sei «ein Luxus, den sich die verletzlichen Arbeiter im informellen Sektor nicht leisten können».

So scheint denn auch die Regierung mit ihrer satten Parlamentsmehrheit und nach den klaren Erfolgen ihrer Gefolgsleute bei den Regionalwahlen im letzten Monat bisher keinen Grund zu sehen, auf die Proteste einzugehen. Auch deshalb erinnert Modis Politik gegen die abhängig Beschäftigten einen Wahlkommentator an das Wirken der berüchtigten ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher.

Modis Indien

Narendra Modi ist seit 2014 Indiens Premierminister. Mit seiner Partei BJP verfolgt er eine konservative, unsoziale und aggressiv hindu-nationalistische Politik. Unter Modi erlebte Indien nicht nur heftigsten Sozialabbau, Privatisierungen und die Deregulierung des Arbeitsgesetzes. Sondern auch eine Zunahme von Hass und blutiger Gewalt vor allem gegen Muslime.

RADIKAL. Im Bundesstaat Uttar Pradesh etwa macht sich der BJP-Politiker und Chief Minister Yogi Adityanath für Modi stark. Adityanath ist ein radikaler Mönch mit dem Ruf eines «Muslimfressers». Nicht nur hat er den Spiel- und Lebensraum der Muslime systematisch und per Dekret eingeengt. Er lässt keine Gelegenheit aus, gegen sie zu sticheln und sie damit zum Freiwild zu erklären – begleitet vom lauten Schweigen aus der Regierungszentrale in Delhi. Modi will die indische Demokratie in einen radikalen Hindu-Staat umwandeln.

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