Präsidentschafts-Wahlen: Tage der Entscheidung in Frankreich

Le Pen oder ­Macron? Pest oder Cholera?

Oliver Fahrni

Frankreich hat am 24. April nur noch die «Wahl» zwischen einer rassistischen Rechts­extremen und einem ­autoritären Sozial­abbauer. Der Ausgang ist ungewiss.

VERFLIXTE EMMARINE: Die Französinnen und Franzosen müssen sich bei den Präsidentschaftswahlen zwischen Emmanuel Macron (links, nur auf diesem Bild!) und Marine Le Pen entscheiden. (Foto: Keystone)

Ihre Tarnung war perfekt. Auf den sozialen Kanälen verbreite sie liebliche Katzenbilder. Plauderte mit Frauenzeitschriften über Karaoke und Familiäres. Liess sich auf Provinzmärkten ablichten («ein Selfie mit Marine»). Kein Wort zu viel, kein Wort zu laut: Mit blondem Dauergrinsen lächelte Marine Le Pen die Brutalität ihres rechtsextremen Programms weg. «Operation Banalisierung» nannten sie das in ihrer Partei, dem Rassemblement national (RN).

Und es gelang ihr: Nun steht Le Pen im 2. Wahlgang dem bisherigen französischen Präsidenten Emmanuel Macron allein gegenüber. Ihr schadete nicht einmal, dass sie Putin ebenso verehrt wie den ungarischen Regenten Viktor Orbán. Und auch nicht, dass russisches Geld ihre Partei vor dem Konkurs bewahrt hatte. Umfrageinstitute und Politik-Kundige befürchten jetzt sogar, Le Pen könnte am 24. April, wenn Frankreich definitiv wählt, den Präsidenten ausstechen. Nonna Mayer, eine angesehene Rechtsextremismusforscherin, sagt: «Eigentlich spricht vieles gegen Le Pen. Aber in dieser Wahl ist alles möglich.»

Zemmour und Macron haben Le Pen bei der Wahl geholfen.

LE PENS PROGRAMM

Um zu verstehen, wie verheerend ein Sieg Le Pens für Frankreich und Europa wäre, genügt der Blick in ihr Programm. Le Pen würde nicht nur über Armee und Atomknopf gebieten. Per Referendum will sie sofort etliche Grund- und Menschenrechte aushebeln. Millionen «Papierfranzosen» (Le Pen) wären mit einem Schlag Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse. Fünf Millionen Immigrierte (darunter 38 Prozent aus der EU) und Flüchtlinge wären nicht einmal mehr das. Le Pen plant Massenausweisungen. Besonders Menschen muslimischen Glaubens wären jeder Willkür ausgesetzt. Die Staatsbürgerschaft bekäme nur noch, wer gallisches Blut nachweisen kann. Gewerkschaften müssten sich auf rein betriebliche Probleme beschränken, die Justiz würde beschnitten, die Polizei bekäme ein Recht auf quasi unbeschränkten Waffengebrauch. Ein Albtraum!

Zwei Männer haben Le Pen bei ihrer Kampagne geholfen. Zum einen Eric Zemmour, ein neofaschistischer Journalist und Kandidat des Beton- und Medienmilliardärs Vincent Bolloré (work porträtierte ihn hier: rebrand.ly/faschist-verfuehrt-frankreich). Zemmour wollte Le Pen rechts überholen. Er hetzte gegen Islam, Frauen, Menschenrechte, Gewerkschaften, Wissenschafter, Justiz, Linke usw. Eigentlich Le Pens Themen. Sie überliess ihm die Drecksarbeit und baute sich so ein gemässigteres Image. Überall hatte Zemmour offenes Mikrophon. Frankreichs Oligarchie liebt ihn. Zwar liebt sie auch Macron, den «Präsidenten der Reichen». Doch sie fährt lieber doppelgleisig: aus Angst, die Linke könnte gewinnen. Was Jean-Luc ­Mélenchon und seiner Union populaire beinahe auch gelungen wäre (siehe Text unten).

Zeitweilig lag Zemmour deshalb weit vor Le Pen, doch dann überzog er die Radikalisierung. Die besten Resultate holte er jetzt in den Quartieren der Superreichen, etwa im 8. und 16. Pariser Arrondissement. Unterm Strich landete er aber nur an vierter Stelle. Der eigentliche Macher von Le Pen ist Präsident Macron selbst. 2017, bei der letzten Präsidentenwahl, brachte ihn das Duell mit Le Pen an die Macht. 2022 sollte ein Remake werden. Als der Protest der Gewerkschaften, der Gilets jaunes und der Klimajugend gegen seine Abbau- und Sparpolitik aufbrandete, begann Macron, jedes soziale ­Problem zu einer Frage von Migration und nationaler Identität umzubiegen. Er liess ein Anti-Islam-Gesetz durchpeitschen, erliess 21 Sicherheitsgesetze, beschuldigte alle Kritiker und Kritikerinnen des «Islamo-Gauchisme», also als linke Islam-Freunde. Macron rutschte immer mehr nach rechts und liess seinen Innenminister sagen, Le Pen sei «etwas weich». Die konnte sich lächelnd zurücklehnen: Denn ­Macron fuhr sie quasi im Schlafwagen in den 2. Wahlgang.

KEINE LUST AUF MACRON

Bis zur definitiven Entscheidung, so Macrons Drehbuch, wird er das Lied vom Kampf gegen die ultrarechte Gefahr Le Pen spielen, jener Ideologie also, die er selbst ins Zentrum der Debatte gehoben hat.

Nur gibt es da ein Problem. Die krachend gescheiterten Sozis und Grünen haben Macron ihre Stimmen zwar schon versprochen. Auch Jean-Luc Mélenchon bekannte am Wahlabend: «Keine einzige Stimme für Le Pen!» Das ist logisch. Doch handkehrum hat bei der Linken kaum jemand Lust, Macron die Stimme zu geben. Fünf Jahre sozialer Abbau und präsidiale Arroganz sind genug. Und die Pläne Macrons sind brachial – wird er wieder Präsident, plant er etwa eine wuchtige Erhöhung des Rentenalters, die er nach massiven Protesten vor 18 Monaten absagen musste. Viele sagen dieser Tage deshalb: «Ich will nicht noch einmal dazu erpresst werden, gegen meinen Willen zu wählen. Ich bleibe zu Hause.» Marine Le Pen freut es.


Frankreichs Linke:  7mal gefallen, 8mal wieder auf­gestanden

STARKE FRAUEN: Mélenchon, mit General­sekretärin Clémence Guetté (links) und der Parlamentsabgeordneten Mathilde Panot. (Foto: Keystone)

Es wurde Frühling, und Zehntausende waren auf den Pariser Platz der Republik geeilt, zum Meeting des linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon. Als die Menge «Mélenchon, président» skandierte, unterbrach sie der Mann, der für sein sperriges Ego bekannt ist: «Leute, ich weiss, wie ich heisse. Wir sind die Union populaire!» Frei übersetzt die «Volksfront», UP.

STARKE FRAUEN. Mélenchon kam von weit her an diesem 20. März. Vor fünf Jahren, bei der letzten Präsidentenwahl, hatte ihm nur eine Handvoll Stimmen gefehlt. Eigentlich ein immenser Erfolg für eine Bewegung, die mit dem System brechen will. Doch er hatte bitter reagiert, statt ein starkes rot-grünes Bündnis zu bauen.

Wer damals dachte, Mélenchon sei erledigt, täuschte sich. Jetzt titelte eine Zeitung: «Mélenchon, sieben Mal gefallen, acht Mal wieder aufgestanden». Der frühere Minister der Sozialisten ist zäh. Vor allem war er klug genug, ein paar starke Köpfe um sich zuzulassen, die ihn zähmten. Zuvorderst Frauen wie die Parlamentarierinnen Clémentine Autain, Mathilde ­Panot, Danièle Obono, Manon Aubry (Vizepräsidentin der Linken im EU-Parlament) oder die blitzgescheite junge Generalsekretärin der UP, Clémence Guetté. Sie haben hart gearbeitet. Ihr Programm geht ökologisch weiter als das der Grünen. Sozial lässt es die französische SP weit hinter sich. Und es plant eine radikale Demokratisierung: ­Beschränkung der Präsidentenmacht, Referendum und die Möglichkeit, wortbrüchige Politikerinnen und Politiker abzuberufen.

Frankreichs Linke wird sich künftig um Mélenchon sammeln.

SOZIS ADIEU! Vor allem haben die «Rebellischen» verstanden, dass die Zeit der alten, grossen Parteiapparate vorbei ist. Sie holten Gewerkschaften, Klimajugend, zahlreiche gesellschaftliche Organisationen und Figuren wie die Philosophin Barbara Stiegler in ein neu geschaffenes «Parlament» der UP. Seine Präsidentin ist die frühere Chefin der globalisierungskritischen Organisation Attac, Aurélie Trouvé.

Was die neoliberal gewendete SP und die Grünen dazu bewog, ihren Wahlkampf statt gegen Macron und die extreme Rechte vor allem gegen Mélenchons «Volksfront» zu führen. Damit straften sie sich selbst. Die Kandidatin der Sozialdemokratie holte nur desaströse 1,8 Prozent der Stimmen, der grüne Kandidat kam in Zeiten der Klimakatastrophe auf magere 4,6 Prozent. ­Mélenchon schaffte 22 Prozent!

Das fortschrittliche Lager in Frankreich wird sich künftig um die Union populaire sammeln. Mit einer starken Rede zog Aufstehmann Mélenchon am Wahl­abend seine Referenz: «Die Kraft ist bei uns. Die Jungen werden mir sagen: es hat auch diesmal nicht gereicht. Stimmt. Macht es besser! Merci.»

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