Sanktionen des Westens gegen russische Künstlerinnen und Künstler

Keine Fabergé-Eier, kein Tschaikowski mehr

Michael Stötzel

Nicht alle Sanktionen ­gegen russische Kultur und russische Künstlerinnen, zu ­denen sich der Westen hinreissen lässt, sind nachvollziehbar. Einige sogar nur absurd.

UNTER BESCHUSS: Zerbombter Strassenzug in Charkiw, Ukraine, am 22. März 2022. (Foto: Eddy van Wessel)

Genau wissen wir es nicht, aber angeblich sollen bereits etwa 15’000 Russinnen und Russen nach Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine verhaftet worden sein. Dies und die neuerliche Verurteilung des bekanntesten Oppositionellen ­Alexei Nawalny, diesmal zu besonders harten Haftbedingungen, dürften als Hinweise zu verstehen sein, wie es in Russland weitergehen soll. Und das Gerede des Putin-Vertrauten und Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew über die Wiedereinführung der Todesstrafe ebenfalls. All jene, die in der Öffentlichkeit stehen, werden gewarnt sein: Wer sich nicht zum Putin-Regime und dessen Krieg bekennt, muss damit rechnen, zum Schweigen gebracht zu werden.

Genau umgekehrt im Westen: Russische Künstlerinnen und Künstler werden hier ultimativ zu Gesinnungsprüfungen einbestellt. Sie verlieren ihre Anstellungen und Auftrittsmöglichkeiten, wenn sie schweigen wie ­Waleri Gergijew, der bisherige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Oder wenn sie nicht empört genug ­gegen Putins Krieg ledern wie die ­weltweit verehrte Sopranistin Anna Netrebko.

Ihr wurde zum Verhängnis, dass sie sich «gegen jeden Krieg» wandte. Das reiche nicht, erklärten die Stadtoberen Münchens. Und sagten ihr Konzert ab. Danach beendete auch der Musikkonzern Universal, der sie managte und ihre Musik bisher herausgab, abrupt die Zusammenarbeit. Unter den vielen gestrichenen Konzerten Netrebkos ist auch ein Auftritt im Zürcher Opernhaus. Allerdings scheint dort eher die Sorge vor Protesten des Publikums ausschlaggebend als eine möglichst demonstrativ zur Schau gestellte Gesinnung der Veranstalter: Immerhin erklärten sie zu ihrer Absage: «Wir halten es grundsätzlich für unangemessen, aus der Perspektive einer westeuropäischen Demokratie die Entscheidungen und Handlungen von Bürgerinnen und Bürgern repressiver Regime zu beurteilen.»

Italienische Hochschulen überlegen, Vorlesungen zum Werk Fjodor Dostojewskis abzusagen.

ANTIRUSSISCHER FUROR

Der Kartause Ittingen TG reichte es sogar schon, die Cellistin Anastasia Kobekina auszuladen, die zwar den Krieg ihres Landes verurteilt hatte, aber eben Russin ist. Ein «klares Bekenntnis» nannten das die Verantwortlichen der Kartause.

Bei Netrebko und Gergijew ist schon lange bekannt, dass sie Putin nahestehen oder sich zumindest nicht gegen seine Umarmungen wehren. Gergijew wurde 2015 Chefdirigent in München, obgleich er im Jahr zuvor die russische Annexion der Krim begrüsst hatte. Das hinderte Deutschland, Italien die Niederlande und andere Staaten, in denen er dirigierte, nicht daran, ihn aufgrund seines Könnens mit Verdienstorden zu behängen. Jetzt wurde er überall vor die Tür gesetzt. Mag sein, dass er juristisch gegen seine Entlassungen vorgehen wird, seine Chancen stünden gut, da ihm niemand Vertragsbruch vorhalten kann.

KEINE STÄDTE-PARTNERSCHAFTEN

Anderseits kann er sich fast damit trösten, dass auch ein Grösserer seiner Zunft, der Komponist Pjotr Tschaikowski, bereits dem antirussischen Furor zum Opfer fällt und seine beliebten Werke aus dem Programm gestrichen werden. Nur noch verrückt ist, wenn italienische Hochschulen überlegen, zur Bestrafung Putins Vorlesungen zum Werk Fjodor Dostojewskis abzusagen. Oder wenn das Londoner Victoria and Albert Museum überlegt, seine Ausstellung mit Objekten des Goldschmieds Carl Fabergé abzubrechen, darunter 15 von seinen 50 spektakulären Eiern. Begründung in all diesen Fällen: Es ginge darum, sich jetzt gegen «Putins Soft Power» zu wehren.

Zur «weichen Macht» des Kriegsherrn sollen offenbar auch die west­europäisch-russischen Städtepartnerschaften gehören. Gerade in Deutschland hatten als Reaktion auf die ­verbrannte Erde Hitlers in der damaligen Sowjetunion 82 Städte solche Kooperationen abgeschlossen.

Lokale Politgrössen spreizen sich jetzt mit dem Abbruch, zumindest der Aussetzung der entsprechenden Programme. Darunter das unter Russlands Geldadel traditionell beliebte Baden-Baden oder Hamburg und Karlsruhe. Dessen Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) spricht (laut «Spiegel») von der «dringenden Notwendigkeit zu einer klaren und harten Ansage» an seine Städtepartner-Kollegen im knapp 50 000 Einwohnerinnen und Einwohner zäh­lenden Torschok, nordwestlich von Moskau. Mentrup sollte vielleicht einmal mit Wolfsburgs Oberbürgermeister Dennis Weilmann (CDU) reden. Dessen Autostadt ist verbunden mit dem russischen Toljatti, benannt nach dem italienischen Kommunisten Palmiro Togliatti und Sitz der Autofirma Lada. Er wolle nun vermehrt den Kontakt zur Partnerstadt suchen, erklärte Weilmann. Denn es sei sein Ziel, «den Gedanken der Völkerverständigung auf kommunaler Ebene (zu) verfolgen.» Sprich: Jede Möglichkeit, nicht nur die Waffen sprechen zu lassen, ist zentral wichtig. Gerade im Krieg.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.