Mit den landesweiten Streiks der Bauarbeiter am Ende des 19. Jahrhunderts waren die Baumeister heillos überfordert. Dann lernten sie von den Büezern – und gründeten eine mächtige Organisation.
DER EWIGE LARDI: Seit sieben Jahren führt Bauunternehmer und FDP-Mann Gian-Luca Lardi (in der Mitte) den Schweizerischen Baumeisterverband (SBV). Gerne geschniegelt und flankiert vom SBV-Zentralvorstand, wie hier in seinem ersten Amtsjahr 2015. (Foto: SBV)
Trotz bester Auftragslage ist die Feierlaune vieler Baumeister getrübt. Zu sehr sind die Materialpreise in die Höhe geschnellt – Pandemie und Putin sei Dank. Und zu hartnäckig fordern die Baubüezer – nach mehreren Lohnnullrunden – ein gerechtes Stück vom üppigen Kuchen sowie generell einen besseren Landesmantelvertrag (LMV). Der geltende läuft Ende Jahr aus (work berichtete).
Dennoch hat der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) guten Grund, die Korken knallen zu lassen: Am 11. März wurde er 125 Jahre alt!
Seine Geschichte begann im Jahr 1897. Damals existierten erst einige lokale Baumeistervereine. Auch die Maurer hatten noch keine schweizweite Gewerkschaft. Doch gegen ihre elenden Arbeitsbedingungen wehrten sie sich schon wacker: 1868 war es in Genf zum ersten Schweizer Maurerstreik gekommen. Bald folgten Streiks im ganzen Land. Bis 1897 legten Maurer über 50 Mal die Arbeit nieder, hinzu kamen rund 20 Streiks von Steinmetzen, 50 von Schreinern und 40 von Zimmermännern. Dagegen wollten sich die Meister besser wappnen – und trafen sich am 4. März 1897 im Bieler Hotel Victoria. Ihr einziges Traktandum: «Besprechung der akuten Arbeiter- und Streikfrage und Gründung eines Vereins der schweizerischen Baumeister».
Den ersten LMV handelten Baumeister und Gewerkschaften 1938 aus.
GEGEN «SCHMUTZKONKURRENZ»
Beides hatte im Eiltempo zu erfolgen, denn auch die Bauarbeiter steckten mitten im Aufbau einer nationalen Organisation. Und so notierte der Protokollant: «Baumeister Haag redigiert sofort ein Schreiben an sämtliche grösseren Schweizerstädte, dass die Organisation der Arbeiter die Meister zur Vereinigung zwinge.» Schon eine Woche später war es so weit: In Olten gründeten sie den Schweizerischen Baumeisterverband.
Eine seiner ersten Handlungen: die Schaffung einer Streikkasse. In ihren Genuss kamen aber nur Mitglieder, die das Verbandsreglement strikt befolgten. Strengstens verboten waren etwa Unterverhandlungen mit Streikenden. Dazu waren nur die SBV-Organe berechtigt. Auch durfte kein Meister schlechtere Arbeitsbedingungen schaffen, als sie der SBV in seiner «Arbeitsordnung» diktiert hatte. So sollte billige «Schmutzkonkurrenz» gebodigt werden. Aber auch bessere Arbeitsbedingungen waren verboten, damit keine «schädlichen Begehrlichkeiten» befeuert würden. Zudem mussten Streikende unverzüglich auf schwarzen Listen registriert und dem SBV gemeldet werden. Denn für sie galt ein Anstellungsverbot. Ungehorsame Mitgliedsfirmen kassierten saftige Bussen. Parieren mussten aber auch Unternehmer ausserhalb des SBV. Andernfalls riskierten sie einen Boykott durch die SBV-Mitglieder und deren Handelsgenossenschaft für Baumaterial.
PATRONALE GESCHICHTSKLITTERUNG
Mit solchen Methoden kam der SBV zu enormer Macht. Das Nachsehen hatten die Maurer, die mit unterdurchschnittlichen Arbeitsbedingungen konfrontiert waren. Zur Zeit des Ersten Weltkriegs seien die Maurer sogar «die Parias des Baugewerbes» gewesen, schrieb der damalige Zürcher Arbeitersekretär August Vuattolo. Und tatsächlich: Auch nachdem sie den freien Samstagnachmittag erkämpft hatten, mussten die Maurer, oft Italiener, noch immer 55 Stunden pro Woche chrampfen. Erst nach dem blutig unterdrückten Landesstreik von 1918 folgte eine kurze Tauwetterperiode: «In dieser Zeit wurde im Einvernehmen mit den Sozialpartnern die 48-Stunden-Woche beschlossen.» Das behauptet die SBV-Jubiläumsschrift von 1997. Richtig ist: 1919 wurde die 48-Stunden-Woche für die meisten Berufe Wirklichkeit. Auch der SBV führte sie ein. Aber bloss, um sie 1920 wieder zu kübeln!
15’000 Maurer liessen sich das nicht gefallen und verweigerten das alte Zeitregime. Darauf wurden sie von ihren Meistern ausgesperrt. Elf Wochen lang hielten die Arbeiter durch – ohne Lohn, unterstützt nur durch die Gewerkschaftskasse. Als diese leer war, kam es vor dem Bundeshaus in Bern zu Hunger-Demonstrationen. Doch die Meister blieben am längeren Hebel: Erst um 1929 gelang dem Bauarbeiterverband der 48-Stunden-Durchbruch. Bis zur ersten Ferienwoche dauerte es sogar bis 1944.
NICHT IMMER REAKTIONÄR
Aber nicht immer stand der SBV auf der sozialen Bremse: Als einer der ersten Arbeitgeberverbände schuf er 1937 eine Beratungsstelle für Unfallverhütung. Ein Jahr später verhandelte er mit den Gewerkschaften den ersten Landesmantelvertrag. Und 1948 unterstützte er die Gründung der AHV – dies notabene im Gegensatz zum Arbeitgeberverband, dem Gewerbeverband und dem Vorort (heute Wirtschaftsdachverband Economiesuisse), die allesamt eifrige Gegner der obligatorischen Rentenversicherung waren. Ein Meilenstein war ausserdem die Einführung des flexiblen Altersrücktritts (FAR) im Jahr 2003. Zwar mussten die Bauarbeiter auch dafür jahrelang kämpfen. Doch kaum war die Rente mit 60 da, erkannte auch der SBV, dass davon die ganze Branche profitiert.
SBV heute: Die fetten Jahre sind vorbei
Politisch tickt der Baumeisterverband noch immer stramm freisinnig. Doch eine blosse Kampfgemeinschaft der Patrons ist er längst nicht mehr, sondern ein Wirtschaftsverband mit weitverzweigter Tätigkeit. Mit aktuell 67 Vollzeitstellen und einem Vermögen von fast 50 Millionen Franken (exklusive der Schätze seiner Handelsgenossenschaft HGC und der rund 70 Millionen, über die seine Untersektionen verfügen) zählt der SBV zu den Elefanten unter den Arbeitgeberverbänden.
MITGLIEDERSCHWUND. Doch die fetten Jahre sind vorbei. Im Rekordjahr 1991 zählte der SBV noch 5330 Mitglieder. Dann dezimierte die einsetzende Wirtschaftskrise seine Basis stark. Und im Bauboom der letzten zwanzig Jahre gelang bloss eine Teilerholung. Heute sind es noch 2700 Mitglieder, was gut der Hälfte aller Betriebe entspricht. Das Problem: Das Subunternehmertum grassiert, und diese Buden sparen sich die happigen Mitgliederbeiträge lieber. Doch die Grossfirmen halten dem SBV die Stange, weshalb er noch immer rund 80 Prozent der Baubeschäftigten abdeckt.
SBV und work: Wo die Fetzen fliegen
Dass zwischen Kapital und Arbeit hart gerungen wird, bekommt auch diese Zeitung immer wieder zu spüren.
Wo es um Existentielles geht, wird hart gerungen. Das ist auch zwischen den Baumeistern und den Bauarbeitern so. Und zwischen den Baumeistern und der Baugewerkschaft Unia. Zu spüren bekommt das immer wieder auch diese Zeitung. Vor zwei Wochen erst klagte SBV-Sprecher Matthias Engel gegenüber dem «Blick» sein Leid: Den «aggressiv aufgebauten Beiträgen» von work könne sein Verband nicht viel abgewinnen. Weniger streng urteilt dagegen Engels Chef, SBV-Direktor Benedikt Koch. Im Oktober gratulierte er der Gewerkschaftszeitung zum 20-Jahr-Jubiläum und schickte diplomatisch-freundliche Grüsse: «Das work ist für mich eine interessante Informationsquelle, um zu entdecken, wie unterschiedlich die Arbeitswelt betrachtet werden kann.» Doch nun hat Direktor Koch beim SBV gekündigt und übergibt den Chefsessel auf den 1. Juni an Bernhard Salzmann.
Ex-SBV-Chef Messmer weigerte sich, mit work zu reden.
SCHRILLE TÖNE. Der Walliser war zuvor unter dem rechtsfreisinnigen Hans-Ulrich Bigler Chefkommunikator beim Gewerbeverband und befeuerte als solcher die SVP-Kampagne gegen die Radio- und Fernsehgebühren der vermeintlich linken «Staatssender». Wird Salzmann nun also auch im neuen Job schrille Töne anstimmen? Anzeichen dafür gibt es. Der Walliser Baumeisterverband etwa kritisiert die SBV-Spitze scharf. Dort würden realitätsferne und dogmatische «Technokraten» herrschen, die «eher gegen eine Gewerkschaft als für das Wohlergehen der Arbeitnehmer und der Unternehmen» kämpften. Wenig später machte work publik, dass fast zeitgleich vier von sieben SBV-Geschäftsleitungsmitgliedern ihre Posten räumen: politische Lämpen beim Baumeisterverband? Davon wollte Salzmann allerdings nichts wissen. Mit internen Querelen habe das nichts zu tun, sagte er auf Anfrage. Sicher ist damit zumindest so viel: Die Kommunikationskanäle zwischen dem SBV und work sind intakt. Das war nicht immer so.
BIBLISCH: work-Titelseite nach der GAV-Kündigung durch die Baumeister 2007. (Foto: work)
SONNTAGSCHRIST. Im Sommer 2007 hatte der SBV einseitig den Landesmantelvertrag aufgekündigt, den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auf dem Bau. Es war die Tat des damaligen Präsidenten Werner Messmer. Dem Thurgauer Hardliner, FDP-Nationalrat und ultrafrommen Freikirchler war es gelungen, die rückwärtsgewandten unter den Meistern, oft Kleinunternehmer, gegen die Aufgeschlosseneren und Grossen aufzubringen. So stärkte Messmer den rechten SBV-Flügel. Dieser wurde etwa vom damaligen SVP-Ständerat This Jenny vertreten, der meinte: «Von mir aus kann man nicht nur den 1. Mai abschaffen, sondern auch mit den Gewerkschaften aufhören.» Auf die LMV-Kündigung reagierte work natürlich prompt, hievte Messmer auf die Frontseite und titelte biblisch: «Du sollst den GAV nicht töten!» Chefredaktorin Marie-Josée Kuhn kommentierte, das LMV-Kübeln sei nicht gerade christlich. Schon die Apostel Jesu hätten schliesslich alles miteinander geteilt. Diese zentrale christliche Botschaft könne einer, der als Bibeltreuer glaubwürdig sein wolle, nicht missachten. «Ausser, er ist nur am Sonntag ein Christ. Und werktags ein Kapitalist.» Eingeschnappt verweigerte Messmer dem frechen Büezerblatt fortan jeden Kommentar. Geradezu heilig sind im Vergleich dazu die aktuellen Sticheleien.