Europaweite Petition: Für die Anerkennung von geschlechterspezifischen Fluchtgründen

Ein sicheres Leben für Frauen, Schwule, Lesben und trans Menschen

Mattia Lento

Sie fliehen vor Zwangs­ehen und sexualisierter Gewalt. Oder aus Angst vor der Todesstrafe, weil sie homosexuell sind. Doch ein Recht auf Asyl haben diese ­Geflüchteten oft nicht.

MEHR SCHUTZ! Plakate der «Feminist Asylum»-Kampagne für die Anerkennung der besonderen Asylgründe von Frauen als Opfer von Zwangsheirat, Genitalverstümmelung oder Menschenhandel. (Foto: Feminist Asylum)

Mape Boukari* redet schnell. Ohne Punkt und Komma, eine wahre Wortflut auf französisch. «Du musst mich entschuldigen», sagt er am Telefon. Er sei es mittlerweile einfach gewohnt, so zu sprechen. Denn: «Das wird von uns im Asylverfahren verlangt, um glaubwürdig zu wirken.»

Boukari ist Ende zwanzig und schwul. Aus welchem afrikanischen Land er stammt, will er nicht sagen, aus Angst, erkannt zu werden. Weder die Familie noch die Gemeinde haben seine Homosexualität akzeptiert. «Ich konnte so nicht leben», sagt Boukari. Noch immer sind gleichgeschlechtliche Beziehungen weltweit in 69 Ländern verboten, und in 11 Ländern droht sogar die Todesstrafe.

Boukari floh nach Tunesien. Dort erwartete ihn ein Albtraum: «Ich wurde als Sklave verkauft und musste auf einer Hühnerfarm arbeiten.» Denn: «In Tunesien gelten wir schwarzhäutige Afrikaner weniger als nichts.» Er wollte über das Mittelmeer nach Europa. Ein gefährliches Unterfangen. Bis 2021 starben rund 44’000 Menschen bei einer solchen Überfahrt, die Dunkelziffer: unbekannt.

Boukari schaffte es nach Italien. Doch Rassismus und Homophobie seien auch dort allgegenwärtig gewesen. Deshalb reiste er weiter in die Schweiz. In Genf fühlt er sich sicher und geborgen. Zum ersten Mal in seinem Leben! Doch die Schweizer Behörden wollen ihn zurückschicken. Weil Homosexualität als Fluchtgrund nicht anerkannt ist.

«Ich wurde als Sklave verkauft und musste auf einer Hühnerfarm arbeiten.»

GEFÄHRLICHE FLUCHT

Ein internationales Netzwerk will das jetzt ändern. Mit einer europaweiten Petition unter dem Titel ­«Feminist Asylum» fordern Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften, dass Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtsspezifischer Gewalt flüchten müssen, in Europa Schutz finden (siehe Box). Dazu gehören auch Transmenschen, für die ein Outing lebensgefährlich sein kann. Und vor allem Frauen: Opfer von Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Menschenhandel und sexualisierter Gewalt. Die Petition will damit eine ­gesetzliche Lücke schliessen. Denn: Diese Fluchtgründe wurden in der Genfer Konvention von 1951 – dem Referenztext für Asylpolitik – nicht aufgenommen. Sie fehlen auch im schweizerischen Asylgesetz.

Genaue Zahlen dazu, wie viele Menschen betroffen sind, gibt es nicht. Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) waren es im vergangenen Jahr 10,3 Prozent aller Asylentscheide. Ausserdem habe das SEM im Laufe der Jahre eine Praxis entwickelt, die es «Menschen, die aufgrund des Geschlechts diskriminiert wurden, den Flüchtlingsstatus zuerkennen zu lassen». Dazu kommen Entscheide des Bundesgerichts und der Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK), die in solchen Fällen einem Asylgesuch stattgegeben haben.

Doch das reicht nicht, sagt ­Marianne Ebel. Sie koordiniert die «Feminist Asylum»-Kampagne in der Schweiz. Und sagt: «Wir beobachten, dass viele Frauen in Angst leben und dass ihnen – trotz all des Schreckens, den sie erlebt haben – selten Asyl gewährt wird.» Statt die rechtliche Lage der Betroffenen zu verbessern, hat die Schweiz die Situation durch Asylverschärfungen in den letzten Jahren sogar noch verschlimmert. Etwa durch die Abschaffung des Botschaftsasyls. Ebel erklärt: «Seit die Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben, auf der Schweizer Botschaft in ihrem Heimatland einen Asylantrag zu stellen, ist die Ausreise ins Exil für alle gefährlich geworden.» Vor allem für Frauen: «Sie ­werden geschlagen, misshandelt, vergewaltigt, manchmal sogar wochenlang entführt.»

«Viele Frauen leben in Angst, trotzdem erhalten sie nur selten Asyl.»

DIE SCHWEIZ MUSS HANDELN

So wie die junge Äthiopierin, die Ebel jüngst betreute. Ebel: «Sie wurde nachts auf einer Polizeiwache vergewaltigt. Ihrer Familie konnte sie es nicht sagen, sie schämte sich.» Also beschloss die Frau, zu fliehen. Doch: «Vor ihrer Ankunft in der Schweiz wurde sie in Frankreich drei Wochen lang von einem der Menschenhändler gefangen gehalten. Sie wurde geschlagen, vergewaltigt und bekam kaum zu essen.»

Das Asylgesuch dieser Frau ist noch immer hängig. Obwohl die Schweiz die sogenannte Istanbul-Konvention unterschrieben hat, die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als eine Form der Verfolgung anerkennt. Für Ebel und ihre Mitstreiterinnen ist deshalb klar: Die Schweiz muss die Istanbul-Konvention endlich umsetzen! Und alle anderen europäischen Länder auch. Wie es die «Feminist Asylum»-Petition fordert.

* Name geändert

Feminist Asylum: Für mehr Schutz

Geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Orientierung müssen endlich als Fluchtgründe anerkannt werden: Das fordert das europa­weite Netzwerk «Feminist Asylum» mit einer Petition. Getragen wird es von über 260 Nichtregierungsorganisationen aus 16 Ländern. Dazu gehört auch die Unia.

JETZT UNTERSCHREIBEN! Die Peti­tion soll Druck aufbauen: auf die ­Europäische Kommission, das ­Europäische Parlament und auf die Regierungen der einzelnen Staaten. Unter anderem auch die Schweiz. Mehr als 12’000 Unterschriften sind bereits gesammelt worden, doch es braucht noch mehr. Jetzt unterschreiben: feministasylum.org.

 

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