Ratgeber

Die Warteliste für Organspenden ist lang – zu lang. Die Abstimmung vom 15. Mai soll das ändern.

Martin Jakob

Mit der Änderung des Transplantationsgesetzes soll die Schweiz von der Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung wechseln. Was heisst das jetzt genau? Und soll ich selber meine Organe spenden, wenn ich sterbe?

HERZENSSACHE: In der Schweiz wurden 2021 insgesamt 484 Organe transplantiert, darunter 33 Herzen. (Foto: stocksy.com)

Was war das noch für eine Sensation, als dem südafrikanischen Herzchirurgen Christiaan Barnard 1967 die erste Transplantation ­eines menschlichen Herzens gelang! Über fünfzig Jahre später sind Übertragungen von Organen normal geworden. Und auch die Erfolgsquote ist mittlerweile hoch. Christiaan Barnards Patient überlebte den Eingriff gerade mal um 18 Tage. Heute liegt die 10-Jahre-Überlebensrate von Herztransplantierten bei 75 Prozent. Und eine transplantierte Niere funktio­niert im Mittel knapp 20 Jahre (Daten von Swisstransplant). Über 450 Organtransplantationen werden in der Schweiz jährlich durchgeführt, am häufigsten von Niere und Leber, weniger oft von Herzen, Lungen und Bauchspeicheldrüsen.

Trotzdem hat die Schweiz ein Problem: es werden zu wenige ­Organe gespendet. Auf der Warteliste stehen über 1400 Menschen. Sie warten oft mehr als ein Jahr, manche bis zu sieben Jahre auf ein Organ. Pro Woche sterben ein bis zwei Menschen, während sie auf ein Organ warten. Warum dieser Mangel, wo doch in Umfragen ­80 Prozent der Bevölkerung einer Organspende grundsätzlich zustimmen?

Über 1400 Menschen warten auf ein Organ – oft jahrelang.

HÄUFIG EIN FAMILIEN-NEIN

Die Schweizer Gesetzgebung ist derzeit sehr restriktiv. Organe dürfen nach dem Hirn- oder Herztod eines Menschen nur entnommen werden, wenn er oder sie zu Lebzeiten die ausdrückliche Zustimmung dazu gegeben hat. Zum ­Beispiel durch den Eintrag im ­Nationalen Organspenderegister (siehe Text unten), mit einer Organspende-Karte oder mit einer Pa­tientenverfügung. Nur 2 Prozent der Bevölkerung haben sich in das Register eingetragen, und nur 16 Prozent haben eine Organspende-Karte. Findet man beim Verstorbenen kein Dokument zur Organspende, müssen die Angehörigen entscheiden und dabei den vermuteten Willen der verstorbenen Person berücksichtigen. Man spricht von der erweiterten Zustimmungslösung. 60 Prozent aller Angehörigenentscheide fallen ablehnend aus – der Unterschied zum obigen Umfrageresultat, wonach 80 Prozent der Bevölkerung positiv zur Organspende eingestellt seien, ist offensichtlich.

In vielen anderen Länder gilt dagegen die Widerspruchslösung. Das bedeutet: Wer nicht zu Lebzeiten seine ablehnende Haltung dokumentiert hat, gilt grundsätzlich als Organspenderin oder -spender. Wobei in den meisten Ländern mit Widerspruchslösung dennoch die Angehörigen konsultiert werden, wenn von der verstorbenen Person keine Willensäusserungen bekannt sind. In Frankreich zum Beispiel. Dort fallen aber nur 20 Prozent aller Angehörigenentscheide negativ aus. Anders gesagt: Statt bei 40 Prozent liegt die Zustimmungsrate bei 80 Prozent und damit doppelt so hoch wie in der Schweiz. Franz Immer, Herzchirurg und Direktor von Swisstransplant, sagt: «Generell sind die Spenderzahlen in den westeuropäi­schen Ländern mit Widerspruchslösung zwei- bis dreimal höher als in der Schweiz oder in Deutschland, das ebenfalls die erweiterte Zustimmungslösung kennt.»

Ohne klares Ja oder Nein redet weiterhin die Familie mit.

ANGEHÖRIGE BLEIBEN WICHTIG

Deshalb soll nun auch im Schweizer Transplantationsgesetz die Widerspruchslösung eingeführt werden: Wer keine Organe spenden will, kann dies in einem neu zu schaffenden Register festhalten – oder aber seine Zustimmung geben. Fehlt ein Eintrag für oder gegen eine Organspende und ist der Wille der verstorbenen Person nicht anderweitig dokumentiert, müssen nach wie vor die Angehörigen angefragt werden. Diese können weiterhin der Organentnahme widersprechen, wenn sie Grund zur Annahme haben, dies entspreche dem mutmasslichen Willen der verstorbenen Person. Und falls keine nächsten Ange­hörigen erreichbar sind, bleibt die Organentnahme unzulässig. Trotz diesen Einschränkungen ist Swisstransplant-Direktor Franz Immer überzeugt, dass die Zahl verfügbarer Spenderorgane mit der Gesetzesänderung steigen wird: «Die Angehörigen werden neu öfter Ja sagen können, weil sie keine Angst mehr haben, nicht im Sinn der verstorbenen Person zu entscheiden und einen Fehler zu begehen.»

WILL ICH SPENDEN?

Vieles spricht dafür, dass das Schweizer Volk der Gesetzesänderung am 15. Mai zustimmen wird – laut der SRF-Umfrage vom 1. April beträgt die Zustimmungsrate 63 Prozent. Nach einem Ja haben Sie einen Grund mehr, für sich selbst einen Entscheid zu fällen: «Will ich meine Organe spenden?» Und dann kommt bestimmt die Anschlussfrage: «Wie geht das denn?» Erstens: Zu einer Organspende kann es nur bei Patientinnen und Patienten kommen, die auf der Intensivstation liegen und weder an einem aktiven Tumor, an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, an Tollwut noch an einer schweren Blutvergiftung leiden. Zweitens: Der Hirn- oder Herztod muss eingetreten sein und durch zwei unabhängige Ärztinnen oder Ärzte bestätigt werden, die nicht an einer Organentnahme oder an der Transplantation mitwirken. Und drittens: Das Organspenderegister darf erst konsultiert werden, nachdem entschieden worden ist, die lebenserhaltenden Massnahmen abzubrechen. Es gibt also keinen Grund, sich zu ängstigen: Man wird auch dann, wenn Sie einer Organspende zugestimmt haben, zunächst alles tun, um Ihr Leben zu retten!

Einfach Blut spenden

Bei gewissen Organen (Niere, Teil der Leber) sind sogar Lebendspenden möglich (110 Transplantationen pro Jahr). Die einfachste ­Lebendspende ist aber die Blutspende: Fast alle Erwachsenen kommen dafür in Frage. In über 60 Schweizer Ortschaften be­stehen Blutspendezentren des Schweizerischen Roten Kreuzes. Zusätzlich führen mobile Equipen in Zusammenarbeit mit den Samaritervereinen regelmässig Blutspendeaktionen in vielen weiteren Ortschaften durch. blutspende.ch


Organspende  Karte statt Datenbank

Wer seine Bereitschaft bekunden wollte, im Todesfall ­Organe zu spenden, konnte dies bisher mit einer Spendekarte tun oder sich ins digi­tale ­Organspende-Register von Swiss­transplant eintragen. Im Januar wies ein Team von SRF schwere Sicherheitsmängel dieses Registers nach: Man konnte Drittpersonen ohne ihr Wissen als ­potentielle Organspenderin oder -spender eintragen. Zwar betont Swisstransplant, die ­bestehenden Einträge seien absolut sicher. Wer einen ­Eintrag hat, kann diesen nach wie vor einsehen und löschen. Neueinträge und Mutationen sind aber bis auf weiteres nicht möglich. Kommt die Gesetzesänderung zustande, ist der Bund verpflichtet, ein ­neues Register zu schaffen.

PER KARTE. Bis diese Nach­folgelösung bereitsteht, ­dokumentieren Sie Ihren Willen zur Organspende in der Patientenverfügung oder mit der Organspenderkarte. Sie können die Karte online ausfüllen und zu Hause drucken oder eine gedruckte Karte bestellen und handschriftlich ausfüllen. Auf der Karte halten Sie fest, ob Ihre Organe im Todesfall entnommen werden dürfen oder nicht. Falls ja, können Sie Ihre Zustimmung auch auf bestimmte ­Organe beschränken. Tragen Sie die Karte auf sich und ­teilen Sie Ihren engsten Angehörigen mit, wie Sie sich entschieden haben. Zu bestellen hier: leben-ist-teilen.ch.

1 Kommentar

  1. Stefan Hilbrand

    Falsche Schlagzeile auf der Titelseite

    Es geht bei der Abstimmung am 15. Mai nicht um Organspende ja oder nein, es geht um „Nur ein Ja ist ein JA“. Was beim Sex gilt/gelten soll, verlange ich auch für mein Herz – ich will gefragt werden und sonst gilt ein Nein.

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