Ratgeber

Long Covid – für Kranke ein Spiessrutenlauf

Martin Jakob

Erschöpfung, benebeltes Hirn, Kurzatmigkeit: Wird aus einer akuten Infektion eine Krankheit mit chronischem Verlauf, müssen Betroffene oft um Anerkennung kämpfen. Und um Gelder der Versicherung. So wehren Sie sich gegen Verharmloser und Leistungsverweigerinnen.

KEIN SAFT, KEINE KRAFT: Die Symptome bei Long Covid
können sehr unterschiedlich
sein. Erschöpfungs­zustände
sind aber typisch. (Foto: Shutterstock)

Long Covid – das ist doch kein Beinbruch! Nein. Long Covid ist anders. Je nach Fall viel schlimmer. Von Long Covid spricht die Wissenschaft bei Erkrankten, die länger als 12 Wochen nach der Infektion Beschwerden haben. Je nach Schätzung ist dies bei 10 bis 20 Prozent der Infizierten der Fall. Nicht alle haben so gravierende Symptome, dass sie im Alltag massiv eingeschränkt sind. Wie gross die Zahl der schwer Betroffenen ist, lässt sich noch nicht seriös beziffern – vor allem, weil bisher keine systematischen Register geführt worden sind.

Für schwer Betroffene am schlimmsten ist, dass sich Long Covid in der medizinischen Diagnose noch nicht zweifelsfrei nachweisen lässt. Unbestritten und dokumentiert sind die Symptome. Zu den häufigsten zählen die langanhaltende Erschöpfung (auch als «Fatigue» bekannt), Belastungsstörungen, Geruchs- oder Geschmacksstörung, Kurzatmigkeit und Konzentrationsschwäche. Oft kommt es auch zu Muskelschmerzen und Gedächtnisschwächen. All diesen Symptomen ist gemeinsam: Im Gegensatz zum Beinbruch zeigen sie sich kaum oder gar nicht im Röntgenbild. Die Person, die unter ihnen leidet, mag auf den ersten Blick gesund und unversehrt erscheinen. Bis heute gibt es keinen offiziell anerkannten Messwert, mit dem sich Long Covid medizinisch eindeutig identifizieren liesse.

Sind die Beschwerden nach 12 Wochen nicht abgeklungen, spricht man von Long Covid.

Dieser diagnostische Mangel hat gravierende Konsequenzen für die Kranken. Zum einen für die Anerkennung ihres Leidens – durch die Gesellschaft, die Fachwelt, die Versicherungen. Zum andern für die Behandlung. Patientinnen und Patienten erhalten die unterschiedlichsten Therapien verschrieben. Die Risiken dieser Behandlungen müssen sie selbst tragen. Denn ihre Wirkung bei Long Covid wird erst nach und nach in Studien systematisch dokumentiert werden. Und auch wenn sich bei einigen Therapien mittlerweile ein mehrheitlich günstiger Einfluss auf gewisse Symptome abzeichnet, fehlt es doch an der Hauptsache: an anerkannten Heilmitteln, die mehr als Symptomlinderung leisten.

Weil weder die Krankheit eindeutig diagnostizierbar ist, noch zweifelsfrei belegte Therapien bekannt sind, haben Verharmloser und Versicherer zurzeit leichtes Spiel dabei, Ansprüche abzuwehren. Umso wichtiger für Betroffene, sich mit abschlägigen Bescheiden nicht gleich abzufinden.

IN DER SPRECHSTUNDE

Die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen sind die Hausärzte oder je nach Versicherungsmodell die Arzt- oder Medcall-Zentren. Zwar wächst in der Ärzteschaft das Wissen um die Problematik von Long Covid. Dennoch: Bereiten Sie sich gut auf die Konsultation vor. Informieren Sie sich (siehe work-Tipp). Erstellen Sie eine Liste Ihrer Symptome – das kann auch eine Art Tagebuch sein. Falls Sie sich nicht ernst genommen fühlen, insistieren Sie, wechseln Sie die Ärztin, und/oder melden Sie sich für eine Long-Covid-Sprechstunde an (Adressen auf altea-network.com). Achtung, teils lange Wartezeiten!

KRANKENVERSICHERUNG

Ärztlich verschriebene Medikamente und Therapien, die im gesetzlichen Leistungskatalog enthalten sind, bezahlt die Grundversicherung ohne Murren. Schwieriger wird es bei Kuren und Rehabilitationsaufenthalten. Vielleicht haben Sie eine Zusatzversicherung, deren Leistungsumfang die Reha-Kosten deckt. Lehnt die Kasse eine Kostengutsprache zunächst ab, bestehen Sie auf einer anfechtbaren Verfügung. Gegen diese können Sie Einsprache erheben.

Im Konfliktfall mit der Versicherung eine anfechtbare Verfügung verlangen!

UNFALL- UND KRANKEN­TAGGELDVERSICHERUNG

Covid-19 und damit auch die Folgeerscheinungen von Long Covid können als Berufskrankheit gelten – für Berufstätige, die in ihrer Arbeit einem klar erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Zurzeit betrifft dies insbesondere Beschäftigte in Spitälern, Heimen oder Labors. Wird die Erkrankung als Berufsunfall eingestuft, sind die Betroffenen kurz- und langfristig finanziell besser abgesichert. Erste Praxisbeispiele zeigen aber: Spitäler und andere Arbeitgeber versuchen offenbar, Long-Covid-Fälle über das Krankentaggeld abzuwickeln, und Unfallversicherer reden sich heraus, indem sie das Ansteckungsrisiko während der Pandemie als allgegenwärtig bezeichnen und nicht als überwiegend beruflich bedingt. Dokumentieren Sie Ihren Fall sorgfältig, ­beachten Sie gesetzte Fristen (zum Beispiel zur Anfechtung einer Verfügung), und lassen Sie sich im Konfliktfall von der Unia Ihrer Region beraten.

INVALIDENVERSICHERUNG

Die offizielle Empfehlung der IV ist klar: Spätestens sechs Monate nach Eintreten der Arbeitsunfähigkeit sollte man sich bei der IV anmelden. Rentenzahlungen beginnen frühestens nach Ablauf einer einjährigen Wartezeit. Auch hier ist für Long-Covid-Betroffene die Lage schwierig. Zwar hat das Bundesgericht die IV verpflichtet, bei ungefestigter Diagnose «in einem strukturierten Beweisverfahren das tatsächliche Leistungsvermögen betroffener Personen ergebnisoffen und einzelfallgerecht zu bewerten». Doch auch hier sind Gutachterinnen und Gutachter zugange, deren Urteil ungünstig ausfallen kann. Die kantonale IV-Stelle schickt Ihnen vor dem definitiven Entscheid einen sogenannten Vorbescheid, zu dem Sie innert 30 Tagen Stellung nehmen dürfen. Sofern Sie keine Ergänzungen oder Einwände haben, erlässt die Behörde eine Verfügung, gegen die Sie beim kantonalen Versicherungsgericht innert 30 Tagen Beschwerde einlegen können. Holen Sie sich Rat bei der Unia, wenn Sie mit Vorbescheid und Verfügung nicht einverstanden sind!

Top-Links zu Long-Covid

  • longcovidch.info
    Die Seite der Patientenorganisation Long Covid Schweiz. Aktuelles Long-Covid-Wissen, Verzeichnis der Sprechstundenangebote, Links. Zusätzlich betreiben Aktive des Vereins eine Selbsthilfegruppe auf Facebook.
  • altea-network.com
    Ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Medizin, Therapie, Kommunikation und Recht informiert umfassend über Long Covid, Sprechstunden, Therapieangebote. Mit Betroffenenportraits und Blog.
  • covid-langzeitfolgen.ch
    Juristen und Juristinnen zeigen die versicherungsrechtlichen Aspekte der Krankheit auf.

Kündigung bei Krankheit Befristeter Schutz

Können Firmen ihren Mitarbeitenden kündigen, wenn sie lange krank sind? Tatsächlich können sie das: Krankheit schützt nicht vor Kündigung. Allerdings gelten Sperrfristen, deren Mindestdauer von der Anzahl Dienstjahre abhängt:

  • Im 1. Dienstjahr beträgt die Sperrfrist 30 Tage,
  • im 2. bis 5. Dienstjahr 90 Tage,
  • ab dem 6. Dienstjahr 180 Tage.

Die Fristen gelten unabhängig davon, ob jemand vollständig oder teilweise krankheitshalber arbeitsunfähig ist. Voraussetzung für Sperrfristen ist stets ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit bereits abgeschlossener Probezeit.

Beispiel 1: Moritz Keller arbeitet in ungekündigter Anstellung und steht im 4. Dienstjahr. Er erkrankt schwer. Seit dem 15. Februar ist er krank geschrieben. Seine Sperrfrist beträgt 90 Tage. Die Kündigung darf frühestens Mitte Mai ausgesprochen werden. Ab dann läuft die ordentliche Kündigungsfrist.

Beispiel 2: Hannah Gerber hat Ende Februar die Kündigung auf Ende Mai erhalten. Sie hat zuvor 15 Jahre für die Firma gearbeitet. Im März wird sie krank. Nun verlängert sich ihre Kündigungsfrist um die Dauer ihrer Krankheit, längstens aber um 180 Tage.

Gesamt- oder Einzelarbeitsverträge können angestelltenfreundlichere Bestimmungen enthalten. So enthält der Landesmantelvertrag für das Baugewerbe (LMV) die Bestimmung, dass eine Kündigung nach Ablauf der Probezeit durch die Firma so lange ausgeschlossen bleibt, wie die Krankentaggeldversicherung oder die obligatorische Unfallversicherung Taggeldleistungen erbringen.

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