Jean Ziegler ‒ la suisse existe

Der schweizerische Bankenbanditismus

Jean Ziegler
Jean Ziegler

Jean Ziegler

Es war ein prächtiger Tag im Januar. Die Schneefelder des Mont-Blanc glitzerten in der seltsam warmen Sonne. Wir sassen auf der Terrasse über den Weinbergen in meinem Wohnort, dem kleinen Winzerdorf Russin. Meine Besucherin, Nina Bovensiepen, ist eine kluge, lebhafte, sympathische Frau. Als Mitglied der Gruppe «Investigative Recherche» der «Süddeutschen Zeitung» (SZ) gehört sie zu den einflussreichsten Journalistinnen Europas. Sie bereiste die Schweiz, um in vielen Gesprächen den hiesigen Bankenbanditismus zu verstehen. Am 22. Februar erschien in der SZ ihre Reportage zu dem «gespaltenen Land».

«SCHWEIZER GEHEIMNISSE». Im letzten Jahr erhielt die SZ Dokumente zu 18’000 Konten der Credit Suisse. Der Absender blieb anonym. Die SZ teilte die Informationen mit vierundsiebzig anderen internationalen Medien, die im «Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption» zusammenarbeiten. Das Material erstreckte sich über achtzig Jahre bis in die Gegenwart. Die akribische Bearbeitung dieser «Swiss Secrets» brachte Erstaun­liches zutage: Die Credit Suisse beherbergte und beherbergt Tausende von Konten, die den mörderischen Geschäften von internationalen Mafiafürsten (insbesondere der kalabrischen ’Ndrangheta), russischen Oligarchen, Drogenbaronen und gewalttätigen Diktatoren dienten und dienen. Die Bank selbst streitet dabei jede Schuld ab.

Was mich empört, ist das fürchterliche menschliche Elend, das die Bankenmoguln anrichteten.

Seit 1997 folgten an der Bankspitze nacheinander acht CEO. Jeder von ihnen versprach Reformen und Verbesserungen. Keiner hielt Wort. Und keiner wurde gerichtlich zur Verantwortung gezogen. Im Ausland immerhin zahlte die Bank in den letzten fünfzehn Jahren mehr als 15 Mil­liarden Franken Bussgeld und Rechtskosten.

Was mich empört, sind nicht die astronomischen Saläre und Boni der Bankmoguln und auch nicht ihre permanente Verletzung der schweizerischen Bankgesetze. Vielmehr ist es das fürchterliche menschliche Elend, das ihr Tun in der ganzen Welt anrichtete.

Zum Beispiel in Ägypten: Der Diktator Hosni Mubarak, seine Frau und seine beiden Söhne Gamal und Alaa parkierten 739 Millionen Franken bei der Credit Suisse. Im Januar 2011 demonstrierten Tausende friedlich auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Mubarak schickte Panzer und liess Hunderte seiner Landsleute ermorden.

Zum Beispiel in Nigeria: Im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas sind 35,2 Prozent der Menschen permanent unterernährt. Diktator Sany Abacha stahl mehr als eine Milliarde Franken und brachte sie nach Zürich. Zugleich verhungern Jahr für Jahr Zehntausende Nigerianerinnen und Nigerianer.

DRINGENDE REFORMEN. Zwei Reformen sind dank der SP-Fraktion im Bundeshaus unterwegs. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) soll in Zukunft nicht nur Institute, sondern auch einzelne Banquiers büssen können. Und zweitens soll der absurde Artikel 47 im Bankengesetz verschwinden. Er bedroht mit drei Jahren Haft Journalistinnen und Journalisten, die «illegal» bekannt gewordene Dokumente veröffentlichen. Beide Reformen verlangen unsere energische Solidarität.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Aus­schusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Im letzten Jahr erschien im Verlag C. Bertelsmann (München) sein neustes Buch: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.

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