Milena Kolic kann es immer noch nicht fassen, wie es im Corona-Labor Misanto in Frauenfeld zu- und herging: «Dass es so etwas in der Schweiz überhaupt gibt!» sagt die ehemalige Mitarbeiterin. Und nicht nur sie. Doch Misanto-CEO Thomas Krech gibt Entwarnung.
Das Testen ist ein zentraler Pfeiler der bundesrätlichen Strategie zur Bekämpfung der Coronapandemie. Doch was, wenn die Testlabors nicht ganz sauber sind? Diesen Vorwurf erheben zwei ehemalige Mitarbeiterinnen der Thurgauer Misanto AG. Schon nach wenigen Wochen verliessen sie das Unternehmen – und schlugen bei der Unia Alarm. «Ich habe sofort gemerkt, dass hier etwas faul ist.» Das sagt Milena Kolic* über ihren ersten Arbeitstag. Dieser begann im Kellergeschoss der alten Hauptpost in Frauenfeld TG. Schmutzig sei es gewesen, und auf den Tischen gab es Essensreste. Zudem seien viele der Mitarbeitenden ohne Maske, Handschuhe und Laborkittel an der Arbeit gewesen.
Bald erfuhr Kolic auch noch, dass sogar Ungeimpfte im Team waren. Zwar habe Misanto zweimal wöchentlich einen Coronatest verlangt, doch es habe Mitarbeitende gegeben, die wochenlang nicht getestet worden seien. Für sie unglaublich: «Dass so was in der Schweiz möglich ist! Ich machte mir grosse Sorgen – nicht nur um mich.» Dennoch wollte sie ihren neuen Job nicht gleich hinschmeissen. Und so musste Kolic im alten Postkeller tagein, tagaus PCR-Spuckproben «poolen». Beim Poolen wird der Speichel von zehn Personen zu einem «Analysepool» vereint. Eigentlich ein raffiniertes, weil zeitsparendes Verfahren. Doch bei Misanto war laut Kolic der Zeitdruck zu hoch. Mit Folgen.
«Dreimal lagen auf unseren Arbeitstischen noch Pizzaschachteln vom Vortag.»
WIE IM SCHULLAGER
«Viele panschten die Proben einfach von Hand zusammen, statt sie vorschriftsgemäss zu pipettieren.» Dabei sei immer wieder Testflüssigkeit ausgeschüttet worden. Das bestätigt auch Kolics Ex-Kollegin Ruth Eberle*. Und sie ergänzt: «Die Sauereien hat man zwar weggewischt. Doch die kontaminierten Papiertücher hat man oft in den normalen Hausmüll geschmissen statt in den Medizinabfall.» Und selbst bei derartigen Putzarbeiten hätten manche noch auf Handschuhe gepfiffen. Ebenso beim Etikettieren der Proben, weil das mit Handschuhen mühsam sei. Überhaupt lasse die Hygiene im gesamten Betrieb zu wünschen übrig. Kolic sagt: «Sicher dreimal lagen auf unseren Arbeitstischen noch Pizzaschachteln vom Vortag herum.» Viele Mitarbeitende seien wohl einfach noch zu jung und hätten keine Lust auf diese Art von Job. Und auch Eberle findet: «Jeder macht, was er will. Ich kam mir manchmal vor wie im Primarschullager.» Haben denn die Vorgesetzten nicht interveniert?
Kolic und Eberle verneinen. Sie erlebten die Oberen nämlich kaum zuverlässiger. Das zeige der fahrlässige Umgang mit dem Datenschutz. Hochsensible Patientendaten würden einfach in Chatgruppen herumgeschickt. Tatsächlich stellte eine Misanto-Vorgesetzte die Namen, Adressen und Testresultate von neun Testpersonen in einen Whatsapp-Mitarbeiter-Chat. Die entsprechende Nachricht liegt work vor. Kolic und Eberle hegen daher einen Verdacht.
LARIFARI UND PROFIT
Eberle erklärt: «Das ganze Larifari hat man bewusst in Kauf genommen – zugunsten des Profits!» Fakt ist: Misanto verlegte die Pooling-Station im Dezember vom besagten Keller in eine benachbarte Privatwohnung der Post. Mitten in einem Wohnblock hantierten nun an die zehn Personen mit Speichelproben. Doch auch das war nur eine provisorische Lösung, ein erneuter Wohnungswechsel stand bevor. Und nun stellte eine Vorgesetzte eine seltsame Warnung in den Whatsapp-Gruppenchat: «Achtung, morgen kommt die Wohnungsverwaltung für Wohnungsbesichtigung mit Mietern (Masken tragen, macht ihr ja eh), und dann nicht Pools umfüllen, danke.» «Maske tragen» und «nicht umfüllen»? Sollte damit etwas verheimlicht werden? work hat bei Misanto-CEO Thomas Krech nachgefragt.
«SIE KONTROLLIEREN UNS»
Geschäftsführer Krech sagt: «Das kann ich mir nicht erklären, von der Geschäftsleitung kam diese Anweisung jedenfalls nicht.» Auch würden auf Whatsapp keine Personendaten herumgeschickt: «Wir erlauben maximal das Versenden von Geburtsdatum und Initialen. Alles andere wird sanktioniert.» Im Übrigen gelte die Pflicht, Kittel, Maske und Handschuhe zu tragen. Allerdings gesteht der Virologe: «Bei den Kitteln drücken wir manchmal ein Auge zu. Ich bin als Laborleiter ein Leben lang ohne herumgelaufen und habe noch nie Schaden genommen.» Ausserdem könne es ja passieren, dass jemand mal keine Maske trage. Masken seien aber «das Allerwichtigste», da sich das Virus über Tröpfchen und nicht über Oberflächen verbreite. Krech bestätigt auch das Umleeren der Proben von Hand: «So senken wir die Gefahr von Kreuzkontaminationen durch unsachgemässe Handhabung gebrauchter Pipetten.» Zudem entstünden dadurch weniger Aerosole, als wenn Laien die Testflüssigkeit mit zu hohem Druck in den Probebehälter spritzten. Krech verneint auch nicht, dass Ungeimpfte im Labor arbeiten können. Die Impfung werde von Misanto aber angeboten. Zudem müssten Mitarbeitende zweimal wöchentlich an repetitiven Tests teilnehmen. Aber es gebe möglicherweise einzelne, die versuchten, sich zu drücken. Grundsätzlich relativiert Krech: «Im Labor ist die Ansteckungsgefahr nicht grösser als in der Familie.» Die übrigen Anschuldigungen bestreitet der Misanto-Chef und verweist auf die Auflagen der Kontaktstelle Biotechnologie des Bundes und von Swissmedic: «Beide kontrollieren uns.»
Ein Auge auf die Firma geworfen hat man allerdings auch in Obwalden (siehe Spalte). Dort wollte der christlichsoziale Kantonsrat Hanspeter Scheuber von der Regierung wissen, ob sie zufrieden sei mit den Leistungen der Firma. Schliesslich sei aus «sehr vielen Rückmeldungen aus der Bevölkerung» zu hören, das Anmeldeprozedere von Misanto sei «ausserordentlich mühsam und schwierig». Die Regierung aber zeigte sich «grundsätzlich zufrieden» mit ihrem Auftragnehmer. Diese Antwort beruhigte Kantonsrat Scheuber aber gar nicht, wie er work verrät. Denn nach seiner Anfrage hätten ihn mehrere Misanto-Mitarbeitende kontaktiert: «Sie waren mit ihren Anstellungs- und Arbeitsbedingungen äusserst unzufrieden.»
* Name geändert
Misanto AG Kometenhafter Aufstieg
Von der Telemedizin zum Corona-Krisengewinnler: In der Thurgauer Familienfirma Misanto arbeiten inzwischen 140 Personen.
CORONA SEI DANK: Thomas Krech kam durch die Pandemie zu Grossaufträgen. (Foto: PD)
Durchstarten mit einer neuartigen Gesundheitsapp – das war es, was Thomas Krech (68) eigentlich wollte. Der Thurgauer Arzt und Virologie-Professor gründete hierzu 2016 das Telemedizin-Unternehmen Misanto AG. Auch seine Frau und die beiden Töchter waren von Beginn an mit Verwaltungsratsmandaten dabei. Ihre Geschäftsidee war die folgende: Statt sofort eine medizinische Praxis aufzusuchen, sollten Patientinnen und Patienten vorab via Misanto-App mit einem Algorithmus kommunizieren und dann – noch immer digital – mit dem ärztlichen Personal. Erst danach folgt die massgeschneiderte ärztliche Konsultation. Damit könnten die Effizienz gesteigert und Kosten gesenkt werden. Gerade billig sind die Misanto-Angebote aber nicht: Ein Live-Chat mit dem Arzt kostet bis zu 73 Franken, und weitere «Dienstleistungen» schlagen minütlich mit 3.50 Franken zu Buche. Wohl auch deshalb kam die App nicht so richtig zum Fliegen.
KRISENGEWINNLER. Doch dann erfasste ein neuartiges Virus die Welt. Und schon bald gehörte das Start-up aus Frauenfeld zu den grossen Schweizer Krisengewinnlern. Denn die Familie Krech hatte rechtzeitig umgesattelt – auf Test- und Impfangebote, die sie mit ihrer App verknüpfte. Es hagelte Grossaufträge – nicht nur von Privaten. Appenzell Inner- und Ausserrhoden gingen Partnerschaften ein für Serientests an Volksschulen sowie in Betrieben. Der Kanton Obwalden beauftragte Misanto mit dem Betrieb des kantonsweit einzigen Testzentrums. Und ebenso mit dem des einzigen Impfzentrums. Uri bestellte einen Impfbus. Der Thurgau wiederum griff zuerst auf Misanto zurück, um seine Impfhotline zu entlasten, dann, um zwei der drei grossen kantonalen Testzentren zu betreiben. Immer wieder halfen auch Zivilschützer dem Start-up. Das Familienunternehmen wuchs rasant: Noch Ende 2019 liess sich die gesamte Arbeit auf 360 Stellenprozente verteilen. Heute arbeiten 140 Personen für die Firma – zumeist in Teilzeitpensen. Angestellt ist die Mehrheit der Mitarbeitenden allerdings nicht von Misanto, sondern von der Temporärfirma Adecco.