Sänger und Poet Endo Anaconda ist tot

Adieu, Du ­stürmisches Schlachtschiff!

Marie-Josée Kuhn und Clemens Studer

«In meinem Alter sinkt die Lebenserwartung ­jeden Tag.» Solche entwaffnenden Sätze sagte­ der mächtige Andreas Flückiger alias Endo Anaconda gerne. Jetzt ist der «stille Has», ­der auch work-Kolumnist war, verstummt. Für immer.

ENDO ANACONDA (1955–2022) am work-Jubiläum, 28. Oktober 2021. (Foto: Matthias Luggen)

Gerade war er noch unter uns, der Endo: Sang, flötete und fluchte auf der Bühne der «Heiteren Fahne» in Bern. Am Jubiläumsfest von work. Und wie charmant er wieder war, wie grossartig, abgründig, wuchtig und wehleidig zugleich. Keiner sonst kann so etwas gleichzeitig: Brocken und Blatt im Wind. Wut und Tränen. Rauf zum Himmel und runter in die Hölle. Im Nachtzug nach Wallisellen: Walliselleeeeeee! Wallisellen! Das ging wieder mal unter die Haut.

Endo, der Bezirzer und der Wortzauberer.
Endo, Du Diva! Endo, Du Elfe! Endo, Du Bär!

Und was für Schuhe er trug an diesem Abend: Braun mit Beige wie Mafia-Toothpick-Charlie in Billy Wilders Gaunerkomödie «Manche mögen’s heiss». Und ja, Du sprachst auch über Deine Gesundheit, Endo, dass es an allen Enden und Ecken lodelet. Und wie Du Dich verkriechst im tiefen Emmental: «Dieses Virus macht mich wirklich krank!» sagtest Du.

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Endo Anaconda hat sich zeit seines Lebens immer wieder verabschiedet. Er kam und ging und kam wieder. Immer wieder. Drogen. Alkohol. Nahtoderfahrung. Nierentumor. Abgang und Auftritt. Kommen und gehen. Auch im work: Mehrere Jahre schrieb Anaconda sein work-SMS. Immer an eine andere Person: Blocher, Ueli Maurer, Papst Franziskus, Sepp Blatter, das Wallis, Arielle, die Meerjungfrau. Und schliesslich, als er aus gesundheitlichen Gründen pausieren musste, an alle work-Lesenden so: «Jetzt habe ich euch lange genug das Handy vollgetextet. Der Doktor hat mir akute Kolumnitis und eine chronische Daumenentzündung attestiert. Er will den Endo, das alte Schlachtschiff, wegen Motorschaden ins Trockendock zur Total­revision schicken. Damit ich wieder vom Stapel laufen kann, falls ihr mich brauchen solltet. Ich habe nie vergessen, woher ich komme und wohin wir müssen. Wir haben keine Wahl. Das Handy habe ich an die Wand genagelt, jetzt ist es ein Wandtelefon. Bleibt leidenschaftlich und lästig. Bis bald, Endo»

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«Natürlich fände ich es schön, noch etwas Zeit mit meinen Kindern zu verbringen und ein paar Gedichte zu schreiben, aber es ist kein Menschenrecht, alt zu werden.» Das sagte Endo vor zwei Jahren im «Magazin». Vom Vater habe er das Herz, von der Mutter die Melancholie. Er, dessen Vorbilder Che Guevara, Serge Gainsbourg, Django Reinhardt, Jim Morrison und Jean-Paul Sartre waren. Er, der Ministrant gewesen war und den man ins katholische Internat gesteckt hatte. «Katholizismus ­ist wie Rock ’n’ Roll. Eine rituelle Über­höhung», wusste er, der keine Bühne betrat, ohne sich vorher zu bekreuzigen. Er, der Serigraphen-Stift, der 1972 in Österreich der Kommunistischen Jugend beitrat. Stelle, nid lege: «Wie haben wir gelacht über den Vorarbeitersong ‹Znüni nää›: Stelle, nid lege. U de Rölleli dra und la loufe», erzählte Endo im April 2009 im work-Interview davon, was ihm die Leute erzählten, wenn der Stille Has über Land fuhr.

Und: «Man muss manchmal einfach lachen können über die eigene Lage. Das gilt. Heute legen die Mächtigen nur, statt zu stellen. Es rollt nicht von selbst, es braucht eben welche, die Rollen montieren und stossen. Sie sind die Mehrheit in diesem Land. Aber man hört sie nicht.» Endo, der Büezer. Im gleichen Interview sagte er auch: «Wäre ich nicht Künstler geworden, wäre ich heute vielleicht Gewerkschafter.» Endo, Du Epiker! Wenn Du erst ins Reden kamst: «Telefonsex ist neoliberal. Du bekommst nichts. Leidenschaft aber entsteht, indem man sie lebt. Wir brauchen mehr Lust in der Politik. Wir müssen das Schöne zelebrieren, die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben. Wir haben nur dieses Leben. Und ein Recht auf Glück.»

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Du warst und hattest eben einen «Moudi» in Dir. Drei Kinder von verschiedenen Frauen, grossen Lebenshunger und Durst: «Da sagen mir die Leute oft, dass sie zu Hause auch so einen Kater haben, einen Moudi. Die wenigsten ahnen, dass dieser Kater die Visualisierung eines Dämons ist, vor dem ich mein Leben lang auf der Hut sein muss. Einerseits ist er zärtlich wie ein Haustier, andrerseits böse, unverschämt, haltlos.»

Niemand kann das Bodenlose besser singensagen, als Du es konntest, Endo. Mit donnerndem Kitsch und ganz nüchtern. Ein stürmisches Schlachtschiff, ein zarter Bub, oder wie es Peter Bichsel im work mal beschrieb, als er Dein Album «Böses Alter» besprach: «Da steht er, der Brocken, der Felsen. Da steht er, der Anaconda, der das Leben im Griff hat, dem keiner was vor­machen kann, dem die Musik eine Sprache, eine kräftige Sprache, geschenkt hat. Und irgendwo in der Ecke kauert ein kleiner Flückiger und staunt über den grossen Anaconda und zittert mit ihm.»

Vor fünf Jahren hast du gesungen: «I bi der Endosaurusrex, dr erscht u dr letscht vo mire Art». Und: «Scho im Toufchleid han i grännet, wöu i im Liichehemd mues gaa /Chuum bisch vürekroche, muesch o scho wider gaa». Jetzt bist Du gegangen – und bleibst trotzdem da.

Adieu, stürmisches Schlachtschiff! Tschou, alter Kamerad!

1 Kommentar

  1. Luder Barbara

    Das ist ein schöner text und sagt vieles aus, was endo anaconda ausgemacht hat. R.I.P

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