Stadler Rail zieht einen Milliardenauftrag nach dem anderen an Land. Jetzt fordert die Unia:

«Von den Milliarden müssen auch die Büezer etwas haben!»

Ralph Hug

Zugbauer Stadler Rail fährt weiter auf der Überholspur, Corona zum Trotz. Höchste Zeit für Chef und SVP-Mann Peter Spuhler, auch an jene zu denken, denen er seinen Erfolg zu verdanken hat.

MILLIARDEN-AUFTRAG: Bravo, Herr Spuhler! Aber die Büezer wollen auch öppis davon haben! (Foto: Keystone)

Vor sechs Jahren gelang der Unia ein Coup. Sie schloss mit dem Bahnturbo aus dem Thurgau einen Vorzeige-Gesamtarbeitsvertrag ab: höhere Mindestlöhne, auch für Ingenieure, automatischer Teuerungsausgleich, mehr Kündigungsschutz, bessere ­Bedingungen für Temporäre. Im «Blick» gaben sich Peter Spuhler und der damalige Unia-Industriechef Corrado Pardini medienwirksam die Hand. Tempi passati, die Szenerie hat sich geändert.

Mit dem Börsengang wurde Chef Spuhler zum Milliardär.

Zwar geht der unaufhaltsam scheinende Aufstieg des Zugkonzerns weiter. Spuhler expandiert auf allen Ebenen. Längst stellt er nicht mehr bloss Leichtbauzüge und Strassenbahnen her. Heute verlassen auch Hochgeschwindigkeitszüge die Hallen. Stadler Rail ist mittlerweile zu der heimlichen Nummer eins unter Europas Zugbauern aufgestiegen (siehe Text unten). Das wurde möglich, weil Spuhler «der mit Abstand beste Chaos-Manager ist, den die Eisenbahnindustrie je gesehen hat», sagt ein Kenner der Branche. Allein in der Ostschweiz arbeiten weit über 3000 Personen am Hauptsitz in Bussnang TG sowie in den Werken von Altenrhein SG, St. Margrethen SG und in Winterthur. Weltweit beschäftigt Stadler jetzt 12 800 Mitarbeitende in Deutschland, Polen, Spanien, Weissrussland, den USA und neuerdings sogar Korea.

Die Kehrseite dieses Überflugs sind Stress, Überstunden, eine hohe Fluktuation bei den Mitarbeitenden sowie Wirren in der oberen Konzernetage. Ein ­Insider sagt: Das Hauptproblem von Spuhler sei die extreme Ungleichverteilung der Löhne. «Nur ein kleiner Teil verdient gut.» Dar­unter jene rund 170 Top-Manager, die nach dem Börsengang von Stadler Rail im April 2019 über Nacht zu Millionären wurden. Sie erhielten nämlich einen Teil des Lohns in Aktien ausbezahlt. Der Chef selbst avancierte zum Milliardär. Gemäss «Bilanz» soll sein Vermögen bereits satte 3,5 bis 4 Milliarden Franken betragen. Spuhler zählt damit zu den absolut Reichsten in der Schweiz.

ZUG UM ZUG IN DIE ZUKUNFT: Stadler-Mitarbeitende bei der Endmontage von RBS-Zügen im Werk in Bussnang TG. (Foto: Keystone)

KEINE FORTSCHRITTE IM GAV

Unten dagegen hat sich nicht viel geändert. Spuhler war zwar klug genug, nach Unmutsbekundungen der Personalkommission rasch zu reagieren und aus dem Füllhorn des Börsengangs auch etwas über die Mitarbeitenden auszugiessen. Diese erhielten je nach Dienstalter einen halben bis einen ganzen Monatslohn als Prämie. Doch das nimmt sich gemessen an den 1,5 Milliarden Franken Einnahmen aus dem Börsengang bescheiden aus. Wichtiger: Im GAV blieben Fortschritte bislang aus. Eigentlich hätte der Vertrag neu verhandelt werden müssen. Im letzten Herbst kamen der Konzern und die Unia jedoch überein, auf eine Kündigung zu verzichten. Nicht zuletzt mit Blick auf die Pandemie. Damit läuft der geltende GAV automatisch weiter.

Spuhlers Haupt­problem: die extreme Ungleich­verteilung der Löhne.

KEIN GEWERKSCHAFTSFREUND

Matteo Pronzini, im Bereich Unia-Industrie für Stadler Rail zuständig, sagt: «Wir verschaffen uns damit Zeit, unsere Position im Konzern zu verbessern.» Laut Pronzini zählt der Stadler-GAV nach wie vor zu den besten. Der Unia-Mann attestiert Spuhler auch, sich loyal an die Abmachungen zu halten, trotz dem stürmischen Wachstum. Ein Gewerkschaftsfreund war der SVP-Mann aber nie: Fast genau 20 Jahre ist es her, seit er sich im August 2002 nach langem Pickeln von Unia-Mann André Daguet endlich zu einem Vertrag mit der Unia herbeiliess.

Spuhler war unter Druck, da er von Staatsaufträgen lebt. Er musste eine Personalkommission einrichten und zu jährlichen Lohnverhandlungen antreten. Damals lag der Vertrag noch unter dem Niveau der Arbeitgeber in der Maschinenindustrie. Als die Natio­nalbank 2015 die Frankenbindung aufhob, liess der Bahnunternehmer unter Berufung auf die Krise sofort länger arbeiten, um die Rendite seines Konzerns zu retten.

Vor kurzem hat die Unia im Konzern eine Umfrage gestartet. Sie will genau wissen, wo die Mit­arbeitenden der Schuh drückt. Derzeit finden Versammlungen statt, eine GAV-Kommission ist an der Arbeit. Konkrete Verhandlungen sind noch nicht in Sicht. Doch Unia-Mann Pronzini stellt schon jetzt klar: «Von den Milliardenaufträgen müssen auch die Mitarbeitenden etwas haben.»


Europäische Zugbauer technologisch im Sinkflug: Letzte Hoffnung gegen China?

HALB ZUG, HALB TRAM: Stadler Rail liefert 246 Fahrzeuge des Typs City-Link nach Österreich. (Foto: Stadler Rail)

Stadler Rail hat während der Pandemie wirtschaftlich zwar eine Delle eingefahren. Wie viele andere Firmen auch. Doch zweifellos stimmt, was Patron Peter Spuhler sagt: «Die Bahn hat Zukunft.» Soeben heimste der Zugbauer aus «Buslig», wie Bussnang im Thurgau heisst, ­einen Milliardenauftrag ein. Er liefert 246 Fahrzeuge des Typs City-Link an ein deutsch-österreichisches Konsortium. Bereits im letzten Herbst kam ein Grossauftrag von bis zu 510 «Flirt»-Zügen für die SBB sowie Thurbo und Region Alps herein. Dies ist der grösste je vergebene Auftrag der Schweizer Bahngeschichte. Ebenfalls Milliarden wert.

HEIMLICHE NUMMER 1. Stadler hat nun beim Rollmaterial sogar Siemens eingeholt, hinter ­Alstom die ehemalige Nummer drei in der europäischen Zugbauerindustrie. Insider sagen sogar, Stadler sei bereits die heimliche Nummer eins. Denn seine Ingenieure gelten als ­innovativ. Dafür steht unter anderen der City-Link, eine Mischform aus Zug und Tram, geeignet für die schnell wachsenden urbanen Gebiete. Immer mehr wächst Stadler Rail so ins globale Business hinein.

FÜHRENDE CHINESEN. Dort, ganz oben, steht aber bereits Chinas Bahngigant CRRC. ­Experten bezeichnen diesen punkto Technologie und Innovation als weltweit führend. Und er wartet nur darauf, den europäischen Markt aufzurollen. Bereits fährt chinesisches Roll­material bei der privaten österreichischen Westbahn, die Spuhler ebenfalls mit Trieb­zügen beliefert hat. Da sowohl Alstom als auch Siemens ins Hintertreffen geraten seien, halten Analysten Stadler Rail für den einzigen Bahnbauer in Europa, der noch mit den Chinesen konkurrieren kann. Koloss CRRC macht jedoch zehnmal mehr Umsatz als Stadler.

2 Kommentare

  1. Peter Bitterli

    Es gibt nicht „jene, denen Stadler seinen Erfolg zu verdanken hat“. Es gibt nur diejenigen, die dank Stadlers Erfolg einen guten, gutbezahlten und sicheren Arbeitsplatz haben. Und dann gibt es die Unia, die hier Sand ins Getriebe schmeissen möchte.

    • rene

      – Umfrageergebnisse
      – Fluktuation
      – Überstunden
      …alles gut?

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