Riegers Europa

Generalstreik: Italien bebt

Andreas Rieger

Andreas Rieger

Ein seltenes Ereignis in Europa: Am 16. Dezember lieferten die italienischen Gewerkschaften den ersten Generalstreik seit sieben Jahren. Einige Millionen Lohnabhängige legten ihre Arbeit nieder. In den Grossbetrieben der Industrie beteiligten sich 80 bis 90 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Produktion am Ausstand. Bei den Grossverteilern wie Carrefour oder Coop lag die Streikbeteiligung bei 60 Prozent. Ausgenommen vom Streik waren das Gesundheitswesen, die Schulen und andere vitale Bereiche.

Zwar sind die italienischen Gewerkschaften in der Grossmobilisierung die Champions in Europa. Höchstens noch ihre bel­gischen Kolleginnen und Kollegen können ihnen da das Wasser reichen. In anderen Ländern legen die Gewerkschaften zwar mal eine Branche lahm, jedoch nicht gleich mehrere. Aber dieser Aufruf zum Generalstreik war doch ein Wagnis. «Eine Verrücktheit!», monierten viele in Italien. Es werde bestimmt ein Flop. Aber am 16. Dezember dann: der Riesenerfolg.

Der nächste Streich kommt bestimmt.

POLITISCHER STREIK. Was trieb die beiden Gewerkschaftsverbünde CGIL und UIL eigentlich zum Streik? Immerhin geht es in Italien nach harten Jahren der wirtschaftlichen Krise und der Pandemie jetzt wieder etwas aufwärts. Aber eben nicht für die Leute unten (siehe Seite 9). Steuererleichterung sieht die italienische Regierung vor allem für höhere Einkommen vor. Bei den Schulen will sie weiterhin sparen. Und die Altersrenten sind angezählt. Die Unzufriedenheit in den benachteiligten Klassen steigt. Deshalb griffen die Gewerkschaften zum Mittel des Streiks. Und die Medienleute fragten den CGIL-Chef Maurizio Landini: «Ist das ein politischer Streik?» Und dieser antwortete: «Ja! Er gibt jenen eine Stimme, denen es schlecht geht und die gar nicht mehr wählen gehen. Die Politik hat für sie keine Sensibilität.»

UNRUHE IM LAND. Auf die politische Bedeutung dieses Generalstreiks machte anschliessend auch die italienische Tageszeitung «Corriere della Sera» aufmerksam, die NZZ Italiens: «Es ist besser, wenn die Gewerkschaften der Unruhe im Land Ausdruck verleihen, als wenn dies die populistischen Rattenfänger tun.»

Leider konnte der Generalstreik am Bu­dget für 2022 der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi nichts mehr ändern. Aber allen ist jetzt klar: Kommt die Erhöhung des Rentenalters, sprich die Senkung der Renten, kommt bestimmt der nächste Generalstreich.

Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschafts­bewegung aktiv.

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