Nespresso-Adventskalender-Verpackerin Marinela B. packt aus:

Ein Stundenlohn von 14 Franken 45!

Christian Egg

Für diesen lausigen Lohn chrampfte Verpackerin B. bei Nestlé-­Zulieferer Marvinpack. Am Lohndumping ­beteiligt ist eine ganze Kette von Unternehmen. An ihrer Spitze: Nestlé.

PRODUKTIONSARBEITERIN MARINELA B.: «Nestlé zahlt Marvinpac schlecht. Marvinpac zahlt Kelly schlecht. Und Kelly zahlt uns schlecht.» (Fotos: ZVG / Montage: work)

Die drei Nespresso-Fabriken in der Waadt und im Kanton Freiburg laufen rund um die Uhr im Vier-Schichten-Betrieb. Sie produzieren die trendigen bunten Nespresso-Kaffeekapseln für die ganze Welt. 3,2 Milliarden Franken Umsatz erzielte Nestlé damit alleine in den ersten sechs Monaten dieses Jahres.

Dazu beigetragen hat auch die Produktionsarbeiterin Marinela B. Sie stellt Präsentationsboxen und Adventskalender mit Nespresso-Kapseln her. Das Befüllen der Boxen übernehme eigentlich ein Roboter, sagt sie. Aber sie muss die Schachteln mit den angelieferten Kapseln öffnen und dem Roboter hinstellen. «Manchmal lässt er Kapseln fallen. Dann müssen wir den Inhalt der Box von Hand ergänzen.» Nachher die fertigen Boxen aufs nächste Förderband stellen, wo sie einen Strichcode bekommen. Und so weiter. Eigentlich mache sie die Arbeit gern, sagt Marinela B. «Aber der Lohn ist viel zu tief.» Bis vor kurzem erhielt sie 14 Franken 45 pro Stunde, plus einen «Teambonus» von 2 Franken 50.

«Der GAV verlangt 22 bis 26 Franken pro Stunde.»

KETTE VON LOHNDRÜCKERN

B. arbeitet jedoch nicht direkt für Nespresso. Sondern bei der Verpackungsfirma Marvinpac im freiburgischen Châtel-Saint-Denis. Dort füllt sie auch Kosmetika ab, etwa für die Luxusmarken Valmont oder La Prairie. Der grösste Auftraggeber ist aber Nestlé mit den Nespresso-Artikeln.

Doch Marinela B. ist auch nicht bei Marvinpac angestellt. Sondern bei der Temporärfirma Kelly Services. Sie ist am Ende einer ganzen Kette von Unternehmen und Subunternehmen, von denen jedes auf den Preis drückt. Verpackerin B. sagt es so: «Nestlé zahlt Marvinpac schlecht. Marvinpac zahlt Kelly schlecht. Und Kelly zahlt uns schlecht.»

Für Noé Pelet von der Unia Waadt ist der Fall klar: «Das ist Lohndumping!» Denn der Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih sieht vor, dass die Temporärfirmen «orts- und branchenübliche Löhne» zahlen. Und die lägen im Fall von Marvinpac zwischen 22 und 26 Franken pro Stunde, so Pelet. Plus Zuschläge für Ferien, Feiertage und den Dreizehnten.

MICKRIGE VERBESSERUNGEN

Im Sommer gibt’s bei Marvinpac viel zu tun. Vor allem wegen der Nespresso-Adventskalender. Da seien sie bis zu hundert Temporäre gewesen, sagt Marinela B. 36 von ihnen wollten das Lohndumping nicht mehr hinnehmen. Allein diesen 36 Mitarbeitenden schuldet Kelly Services rückwirkend insgesamt 420’000 Franken Lohn, hat Unia-Mann Pelet berechnet.

Nach einer ersten Protestaktion im Juni gab es Verhandlungen. Doch die Reaktion der Chefs war lausig: Auf Oktober erhöhten sie die Löhne auf 15 Franken 95. Immer noch viel zu wenig. Und über eine rückwirkende Lohnzahlung wollten sie erst gar nicht verhandeln. Gegenüber work schreibt Kelly Services von «stufenweisen Lohnanpassungen im Hinblick auf die Änderung des GAV im Jahr 2023». Denn ab dann gelten überall in der Industrie verbindliche Mindestlöhne für Tem­poräre (work berichtete: rebrand.ly/temp-gav). Die gegenwärtigen Löhne findet Kelly «gesetzeskonform». Deshalb komme eine rückwirkende Zahlung nicht in Frage. Arbeiterin Marinela B. ist enttäuscht: «Sie wissen ganz genau, dass sie im Unrecht sind.

Aber sie wollen es nicht anerkennen.» Jetzt nehmen sie und ihre Kolleginnen die Firma ins Visier, die am Ende vom Lohndumping profitiert: Nestlé (siehe Kasten). Am 21. Oktober protestierten sie vor der Nespresso-Boutique in der Lausanner Innenstadt. B. sagt: «Wir hoffen, dass Nestlé hier etwas bewegen kann.»

UND WAS SAGT NESTLÉ?

Der Multi könnte, wenn er wollte. Er vergibt den Auftrag – wer zahlt, befiehlt. Die Forderung von 420’000 Franken von B. und ihren Kolleginnen würde Nestlé ein müdes Lächeln kosten: So viel Umsatz erwirtschaften die drei Nespresso-Fabriken in 35 Minuten.

Nestlé schreibt work, man habe bei Marvinpac ein «spezielles, zusätzliches ­Audit» durchführen lassen. «Nun setzt Marvinpac eine Reihe von Massnahmen um.» Welche Massnahmen? No comment von Marvinpac oder Nestlé. Ist Nestlé bereit, Hand zu bieten für eine Lösung der Lohnforderungen? Keine Antwort. Ist Nestlé ­bereit, einen höheren Preis für seine ­Verpackungsaufträge zu bezahlen? Keine ­Antwort.

Nespresso: Dank Corona explodiert der Umsatz

Der Nahrungsmittelgigant Nestlé (Gewinn 2020: 12,2 Milliarden Franken) kam gut durch die Pandemie. Hamsterkäufen und Homeoffice sei Dank. Eindrücklich der ­Nettogewinn pro Mitarbeitende: 44’800 Franken, rund doppelt so viel wie im Durchschnitt der Branche.

SAGENHAFT. Durch die Decke ging dank Corona auch der Unternehmensbereich Nespresso: Im ersten Halbjahr wuchs der Umsatz um sagenhafte 14,3 Prozent auf 3,2 Milliarden Franken. Mittlerweile gehört die Schweiz dank den farbigen Kapseln zu den fünf wichtigsten Kaffee-Exporteuren weltweit. Wie lukrativ das Business ist, zeigt ein Blick auf die Schweizer Aussenhandelsstatistik (Zahlen von 2019): ­Importierte, nicht geröstete Kaffeebohnen kosteten im Schnitt vier Franken pro Kilo. Gerösteter Kaffee wurde dagegen für 30 Franken exportiert.

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