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Neues Buch von Historikerin Caroline Arni: Zwölf Frauen auf der Spur

Patricia D'Incau

Caroline Arni wollte ­Autorin werden. Doch sie wurde Historikerin. In ihrem neuen Buch hat sie jetzt das Historische mit dem Literarischen vereint. Ein Genuss!

SKIZZIERTE FRAUENLEBEN (von links): Künstlerin Meret Oppenheim, Juristin Emilie Kempin-Spyri, Frauenrechtlerin Iris von Roten. (Illustrationen: Karoline Schreiber)

Hedwig Howald kann malen. So gut, dass ihre Lehrerin sie an die Kunsthochschule nach München schicken will. Doch statt nach München geht Hedwig nach Solothurn. Statt Künstlerin wird sie Verkäuferin. Ein Beruf, den sie gerne macht. Und doch aufgibt, als sie heiratet. Zwangsläufig. Es sind die 1930er Jahre, und das Schweizer ­Gesetz sagt: Eine Frau darf zwar arbeiten – doch der Ehemann kann es ihr auch verbieten.

Und dieser Ehemann tut es. Denn ihm, der der Armut seiner Kindheit entkommen ist, sollte niemand nachsagen können, dass seine Frau Geld verdienen müsse.

Also wird Hedwig nun Hausfrau. Statt im Laden steht sie in der Küche. Und statt zu malen trägt sie die Farben jetzt in ihren Kleidern. Wehren tut sie sich nicht. «Sie wollte gefallen, nicht aufbegehren», schreibt Autorin Caroline Arni.

Hedwig Howald ist Arnis Grossmutter. Und Arnis Grossmutter ist viele Grossmütter. Unsere Grossmütter. Frauen ihrer Zeit, von denen sich einige gegen die Ungerechtigkeiten wehren, die ihnen als Frauen widerfahren, während andere stillhalten, sich arrangieren oder sich im Kleineren emanzipieren. Allesamt weder Heldinnen noch Anti-Heldinnen. Sondern, wie es Arni einfühlsam formuliert: «Jede bewohnt auf ihre Weise eine bestimmte Zeit, und nicht alle haben die gleichen Träume.»

Ein Heldinnen-Buch will Historikerin Arni nicht schreiben. Auch nicht eines, das nur die Biographien berühmter Frauen referiert. Obwohl sich unter den zwölf Frauenportraits doch einige Prominente finden: Künstlerin Meret Oppenheim, Frauenrechtlerin Iris von Roten oder Juristin Emilie Kempin-Spyri, die 1887 vor Bundesgericht das Wahl- und Stimmrecht für die Frauen einfordert, damit scheitert und schliesslich verarmt in einer psychiatrischen Anstalt stirbt. Genau 70 Jahre bevor die Schweizer Männer 1971 den Frauen endlich doch noch ihre politischen Rechte zugestehen.

Die Geschichte jeder Einzelnen ist ein Fenster in die Vergangenheit.

UNBEQUEME WAHRHEITEN

Nicht alle von Arnis Frauen wollten die Gesellschaft verändern. Doch die Geschichte jeder Einzelnen ist ein Fenster in die Vergangenheit. Und wer einen Blick wagt, entdeckt Verborgenes, Vergessenes, Verschwiegenes.

Wie bei Pauline Buisson, geboren um 1750 als Sklavin auf Haiti und von dort in die Schweiz gebracht. Nach Yverdon VD in eine herrschaft­liche Villa, wo sie den Treytorrens dient. Eine Schweizer Familie, die sich ihren Reichtum durch die Sklaverei in der fernen Karibik sichert. Und damit grosses Ansehen geniesst. Am Kolonia­lismus stört sich zu dieser Zeit in der Schweiz noch niemand. Oder: fast niemand. Denn während Pauline, die «Négresse», in der Villa Wasser schöpft, Wäsche wäscht und Essen serviert, schreibt nur einige Kilometer weiter, im Schloss Coppet am Genfersee, eine andere Frau leidenschaftlich gegen die Sklaverei an: Germaine de Staël, Aristokratin, erbitterte Gegnerin Napoleons und Verfechterin eines bürgerlichen Freiheitsbegriffs.

Auch ihr hat Autorin Arni ein Kapitel gewidmet. Gleich nach Pauline Buisson. Ohne aber eine Linie zu ziehen zwischen den beiden, die letztlich ja doch völlig unterschiedliche Leben lebten, sich nie begegneten, nicht miteinander verbunden waren.

DIE GANZE GESCHICHTE

So ist es mit allen Frauen in diesem Buch: Arni schafft keinen künstlichen Bogen zwischen ihnen, zwängt sie in kein Korsett. Die zwölf Frauen hat sie ausgewählt, weil sie sie interessiert, berührt oder auch irritiert haben. Und letztlich sind Arnis Portraits Skizzen. Genauso skizzenhaft sind die wunderbaren Illustrationen von Karoline Schreiber. Angefertigt durch die Spuren, die die Frauen hinterlassen haben. In Briefen, Akten, Büchern und Archiven.

Und doch gibt es ein paar rote Fäden: Die Verbundenheit der Frauen mit der Schweiz. Arnis poetische Sprache. Und nicht zuletzt: Die Ergänzung einer Geschichtsschreibung, wie wir sie kennen. Denn die ist vor allem männlich. Weil in der Geschichte der Mann stets als das Allgemeine gegolten hat. Und die Frau als das Besondere.

Deshalb, findet Arni, sind Geschichten von Frauen nicht einfach Frauengeschichte. Sondern «Beobachtungsposten», von denen aus sich mehr sehen lässt. Die «ganze Geschichte» eben. Wenn auch nie vollständig.

Caroline Arni: Lauter Frauen. Zwölf historische Porträts. Echtzeit-Verlag, Zürich 2021, 162 Seiten, CHF 32.–.

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