Der Tessiner Mindestlohn ist in Gefahr

Widerstand gegen Pseudogewerkschaft wächst

Jonas Komposch

Die Tessiner Gewerkschaften machen mobil gegen die neue Scheingewerkschaft Tisin.

«SCHANDE»: Demo gegen Tisin in Mendrisio. (Foto: Unia)

Was sie vom jüngsten Manöver der rechten Lega dei Ticinesi halten, machten 400 wütende Protestierende am 9. Oktober in Mendrisio klipp und klar: «Vergogna!» stand auf ihrem Demotransparent, «Schande!». Gemeint ist die hinterlistige Umgehung des Volksverdikts vom 14. Juni 2015. Damals sagte das Tessin deutlich Ja zur Einführung eines kantonalen Mindestlohns. Ab Dezember 2021 müssen nun Unternehmen ­ihren Mitarbeitenden mindestens 19 Franken pro Stunde zahlen. Mit einer gewichtigen und von der Unia seit je kritisierten Ausnahme: Firmen, die bereits einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterliegen, sind vom Tessiner Mindestlohngesetz ausgenommen. Prompt versuchen nun drei Industriebetriebe, diese Gesetzesschwäche zu missbrauchen: Lega-Führer Boris Bignasca rief ­zusammen mit zwei Vertrauten Tisin ins Leben, eine angebliche Gewerkschaft (work berichtete). Geschwind und ohne die betroffenen 800 Arbeiterinnen und Arbeiter zu fragen, schloss Tisin mit den drei Firmen einen GAV ab. Der tiefste Lohn darin: 16 Franken! Nun droht das Beispiel Schule zu machen.

Tisin billigt 16-Franken-Löhne.

AGGRESSIVE REKRUTIERUNG

Unia-Sekretär Vicenzo Cicero sagt: «Wir wissen bereits von 10 bis 20 weiteren Firmen, die am Vertrag mit ­Tisin interessiert sind.» Tisin selbst bestätigt dies nicht, fällt aber mit einer aggressiven Rekrutierungskampagne auf. Dazu Unia-Mann Cicero: «Auf die Mitarbeitenden der drei Firmen wird massiv Druck ausgeübt, sich bei Tisin einzuschreiben. Der Direktor von Plastifil selbst fordert die Mitarbeitenden zum Beitritt auf, und bei Ligo Electric gibt es eine Werbeaktion für eine einjährige kostenlose Mitgliedschaft.» Überhaupt seien die betreffenden Fabriken voller Tisin-Werbematerial. Die Unia-Flugblätter würden hingegen bereits am Werkstor konfisziert.

Ob sich derartige Tricks für die Lega und ihre Unternehmerclique bezahlt machen werden, ist allerdings noch nicht entschieden. Das Tessiner Kantonsparlament diskutiert die Angelegenheit seit Wochen. Auch haben sich einzelne Lega-Vertreter bereits von Bignascas Kurs ­distanziert und den Mindestlohn verteidigt. Und an der Demo in Mendrisio, zu der die Unia und die christlichsoziale Gewerkschaft OCST aufgerufen hatten, beteiligten sich auch der Bankpersonalverband, die Verkehrsgewerkschaft SEV sowie die italienischen Verbände CGIL und UIL Frontalieri. Es wird nicht ihr letzter Aufmarsch gewesen sein.


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