Rom: Riesenprotest nach Sturm auf Gewerkschaftszentrale

«Nie wieder Faschismus!»

Jonas Komposch

Italienische Rechts­extremisten und Impfgegner attackierten den Hauptsitz der grössten Gewerkschaft CGIL. Diese reagierte ­resolut – und hat damit Schlimmeres verhindert.

NICHT MIT UNS! Zehntausende strömten auf die Piazza San Giovanni in Rom, um gegen den
faschistischen Angriff auf die grösste italienische Gewerkschaft zu protestieren. (Foto: Getty)

Einen solchen Massenaufmarsch hatte Italien seit Pandemiebeginn nicht mehr gesehen: Unter dem Motto «Nie wieder Faschismus» fluteten am letzten Samstag – je nach Zählweise – 60’000 bis 200’000 Demonstrierende die Innenstadt Roms. Sogar aus dem Tessin war eine Delegation gekommen. Darunter Unia-Sekretär Giangiorgio Gargantini. Er sagt: «Es ist klar, dass wir an der Seite der Compagni sind, die Opfer eines faschistischen Angriffs wurden.» Nun war die proppenvolle Piazza San Giovanni ein einziges Fahnenmeer, und bis zum Kolosseum schallte die Parole des Tages: «Siamo tutti antifascisti!» – «Wir sind alle Antifaschisten!». Zum Protest aufgerufen hatten die drei grossen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL – und zwar erst sieben Tage zuvor. Denn auch an jenem Samstag, am 9. Oktober, wurde in der Hauptstadt demonstriert. Und demoliert!

«Es ist klar, dass wir an der Seite der Compagni sind.»

TERRORIST MIT HOOLIGAN

8000 Impfgegner und Massnahmenkritikerinnen taten ihre Opposition zur Pandemie-Politik von Ministerpräsident Mario Draghi kund. Mit von der Partie waren Hunderte Rechtsextreme, darunter die Kleinpartei Forza Nuova. Als eine der wenigen organisierten Kräfte gelang es diesen Neofaschisten im Handumdrehen, Teile der Anti-Massnahmen-Demo zu kontrollieren. Die Folge: ein Sturmversuch auf den Palazzo Chigi, den Sitz des Ministerpräsidenten. Gegen die polizeiliche Übermacht war allerdings kein Durchkommen. Also griffen die Faschisten zu Plan B.

Jetzt hiess das Ziel: CGIL, die grösste Gewerkschaft Italiens. Vor ihrem Hauptsitz drängte sich eine wütende Menschenmenge, aufgepeitscht durch die Hasstiraden des Forza-Nuova-Führers Roberto Fiore (62) und seines Vertrauten Giuliano Castellino (45). ­Fiore war in den 1980er Jahren wegen Unterstützung der Rechtsterroristen der «Revolutio­nären bewaffneten Zellen» verurteilt worden. Er floh aber nach England, mauserte sich zum Immobilienmakler und kehrte erst zurück, als seine Strafe verjährt war. Castellino wiederum ist in Rom bekannt als notorischer Fussball-Hooligan, Grosskotz und Nazischläger. Er war es denn auch, der die CGIL auf ­vulgärste Weise beschimpfte. Sie sei eine «Sklavenhaltergewerkschaft» von «Scheisskommunisten» und wolle den Italienern die «Freiheit» rauben.

GEWERKSCHAFTEN IM VISIER: Das CIGIL-Büro nach dem Überfall durch den rechtsextremen Mob. (Foto: Keystone)

VORWAND «GREEN PASS»

In Wirklichkeit steht die CGIL kritisch zum «Green Pass». Denn die italienische Variante des Corona-Zertifikats ist seit dem 15. Oktober auch an allen Arbeitsplätzen obligatorisch. Jetzt gilt, was die mächtigen Arbeitgeberverbände von Draghi verlangt hatten: Wer nicht doppelt geimpft ist (19 Prozent der Bevölkerung) oder genesen, muss alle zwei Tage zum Coronatest antraben – auf eigene Kosten. Und wem der grüne Pass fehlt, der darf vom Chef ohne Lohnfortzahlung suspendiert werden. Da hätten die meisten Gewerkschaften eine Impfpflicht bevorzugt, wie sie Italien für zehn Krankheiten bereits kennt. Dies aus gesundheitlichen Gründen und weil ein Obligatorium die Spaltung der Belegschaften in Geimpfte und Ungeimpfte verhindert hätte. Draghi aber verhandelte nicht. Auch auf die Gewerkschaftsforderung nach Gratistests für Lohnabhängige ging er nicht ein. CGIL-Chef Maurizio Landini kritisiert: «Es darf nicht sein, dass Menschen dafür bezahlen müssen, zur Arbeit zu gehen.»

Doch die realen Positionen und Herausforderungen in der Pandemiebekämpfung kümmern die Faschisten nicht. Denn sie benutzen die Corona-Proteste bloss als Sprungbrett für ihr eigentliches Ziel: die Vernichtung politischer Kontrahenten.

Zum Abschluss der Demo sangen
Zehntausende «Bella ciao».

U-HAFT FÜR MINI-DUCE

Wie das geht, hatte Benito Mussolini einst vorgemacht: Der werdende italienische Diktator liess seine Milizen als erstes die Gewerkschaftshäuser brandschatzen. Nun – exakt hundert Jahre später – sah auch Hooligan Castellino seine Chance gekommen. Dabei hätte der Möchtegern-Duce gar nicht anwesend sein dürfen. Weil er Journalisten und einen Polizisten attackiert hatte, stand er unter Hausarrest.

Doch von Polizei, die hätte intervenieren können, war weit und breit nichts zu sehen. Erst spät trafen einige Carabinieri ein. Innert kurzer Zeit wurden sie mit Flaschen eingedeckt und dann einfach überrannt. Jetzt drang der Mob in die CGIL-Zentrale ein und schlug alles kurz und klein. Am Tag danach sagte die sichtlich schockierte CGIL-Landes­sekretärin Ivana Galli: «Es war eine beispiellose Orgie der Gewalt. Zwischen Glassplittern und Möbeltrümmern klebte Blut am Boden.» Galli und ihr Team waren während der Tatzeit nicht mehr im Haus, Verletzte gab es trotzdem.

Nun sitzen die Drahtzieher in Untersuchungshaft, ein Verbot ihrer Organisationen steht zur Debatte, und auch die schwächelnden Corona-Proteste gehen auf Distanz. Ganz anders wäre es, wenn eine resolute Antwort auf den Angriff ausgeblieben wäre. Unia-Mann Gargantini sagt zu work: «Die Atmosphäre an der Demo war überwältigend! Überall spürte man Kampfgeist und Überzeugung.» Kein Wunder, ertönte zuletzt aus tausend Kehlen die Partisanenhymne «Bella Ciao».


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