Nach Pandemie-Doppelanstrengung: Bauleute fordern 100 Franken mehr für alle!

Nelson «Jackson» Martins rockt die Lohn-Demo

Jonas Komposch

Trotz Bauboom und glänzenden Konjunkturprognosen machen die Baumeister auf Radikalinski: Sie verweigern jeden Rappen mehr. Gegen diesen Geiz demonstrieren die Bauleute am 30. Oktober.

SORGT FÜR STIMMUNG: Baubüezer und TikTok-Star Nelson «Jackson» Martins heizt an der Lohn-Demo am 30. Oktober der Menge ein. (Foto: Nicolas Zonvi)

Nicht einen Rappen mehr! Mit dieser Einstellung startet der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) in die Lohnrunde fürs 2022. Generelle Lohnerhöhungen seien schlicht «nicht möglich», behauptet der Verband, dem nur noch etwa jede zweite Baufirma angeschlossen ist. Das sehen die Bauleute – ihrerseits zu fast 70 Prozent gewerkschaftlich organisiert – ganz anders. An ihrer Delegiertenkonferenz vom Juni haben sie beschlossen, 100 Franken mehr Lohn für alle zu fordern. Maurer ­Sebastian Gummert (43) war als Berner Baupräsident der Unia an dieser Beschlussfassung beteiligt. Er erklärt: «Obwohl wir auch in Pandemie-Zeiten stets Vollgas gegeben haben, sind wir im letzten Lohnherbst komplett leer ausgegangen. Es wäre nichts als gerecht, uns wenigstens jetzt eine Wertschätzung zu zeigen, zumal die Auftragsbücher voll sind.» Am 30. Oktober werden auch die Bauleute in vier Schweizer Städten auf die Strasse gehen (siehe unten). In Zürich mit Special-Demo-Guest und Tiktok-Star «Jackson» Martins (siehe Kasten). Der tanzende Bauarbeiter sagt: «Je mehr Leute auf der Demo sind, desto besser, das gibt dann auch stärkere Good Vibes.»

Die Baukonjunktur zeigt steil nach oben.

GEWINNE WINKEN

Am 4. November hätte der SBV Gelegenheit, einen Schritt auf die Bauleute zuzugehen. Dann findet die dritte Verhandlungsrunde statt. Aber nichts deutet dar­auf hin, dass der Verband von seinem Radikalkurs abrücken wird. Auf Gedeih und Verderb scheint er den Baubüezern und -büezerinnen eine Nullrunde bescheren zu wollen. Dies notabene, nachdem die effektiv bezahlten Durchschnittslöhne fast aller Berufskategorien schon in diesem Jahr gesunken sind. Und zwar um bis zu 30 Franken im Monat. Das zeigt eine Erhebung des SBV. Derselbe Verband aber glaubt, mit dieser Verschlechterungstendenz gut leben zu können. Er forciert sie bisweilen sogar aktiv.

Zum Beispiel in der letztjährigen Lohnrunde: Im Pandemie-Jahr 2020 wollten die Baumeister sämtliche Löhne «nach unten korrigieren». Ausgerechnet! Wo die Bauleute doch trotz Corona-Chaos und hoher Ansteckungsgefahr Tag für Tag weitergearbeitet haben. Eine solche flächendeckende Nominallohnsenkung hat es in der jüngeren Geschichte der Schweizer Bauwirtschaft nie zuvor gegeben. Den Gewerkschaften gelang es letztlich, auch diesen Angriff abzuwehren. Chris Kelley, Co-Leiter des Unia-Bausektors, sagt dazu: «Zuletzt müssen auch die Baumeister einsehen, dass sie den Fachkräftemangel mit solchen Vorhaben nur noch verschlimmern.»

Tatsächlich steht der Bau vor einem Per­sonalnotstand. Weil ­immer weniger Junge den Maurerberuf erlernen und die Babyboomer-Generation bald massig in Pension geht. Der Notstand droht so massiv zu werden, dass jüngst sogar die NZZ zur Kritik am SBV ausholte: Das verbreitete Image der Bauberufe sei nie gut gewesen, aber heute noch schlechter geworden. Überhaupt gingen die Trends in der Bauwirtschaft «alle in die falsche Richtung», warnte das sonst so arbeitgebertreue Blatt. Ganz stimmt das allerdings nicht.

MEISTER BLOCKIEREN

Steil nach oben zeigen nämlich die Trends in der Baukonjunktur. Erst im September teilte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit, die Stimmungsindikatoren für das Baugewerbe hätten sich zuletzt ­«nochmals deutlich verbessert». Insbesondere die Auftragsbestände deuteten auf eine «positive Entwicklung» hin. In der Tat sind zum Beispiel die Baugesuche in der Wohnsparte im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zur Vorjahresperiode um sa­genhafte 21 Prozent in die Höhe ge­schnellt. Und insgesamt gab es in der Schweiz noch nie so viele Baugesuche wie in diesem Jahr. Auch das Forschungsinstitut Bak Economics prophezeit dem Hochbau fürs nächste Jahr erneut einen Investitionsanstieg und erachtet die Perspektiven für die gesamte Baubranche mindestens bis 2026 als «robust». Getragen wird diese Aufwärtsbewegung unter anderem von der Tiefzinspolitik sowie der Gebäudesanierung zur CO2-Einsparung – also von Trends, deren Ende nicht absehbar ist. Dessen ungeachtet beklagt der Baumeisterverband die angeblich «tiefen Gewinnmargen» der Branche.

Und gesteht damit zugleich ein: Gewinne schaffen die Bauleute ihren Firmen durchaus, aber eben angeblich zu wenig hohe. Zum Beispiel beim Branchenprimus ­Implenia: «Nur» 40 Millionen Franken regnete es für die Aktiengesellschaft im ersten Halbjahr 2021. Sein Argument von angeblich «nicht möglichen» Lohnerhöhungen führt der SBV also gleich selbst ad absurdum. Doch der Verband geht jetzt sogar zum Generalangriff über. Am 5. Oktober veröffentlichte er eine Analyse zum Landesmantelvertrag (LMV), der Ende 2022 ausläuft. Darin liebäugelt der SBV unverhohlen mit dem vertragslosen Zustand. Denn ohne das «enge Korsett des LMV» werde, etwa in Bezug auf die Löhne, «der Handlungsspielraum für den Arbeitgeber deutlich grösser». Auch in dieser Sache sollten die Meister noch einmal über die Bücher. Denn so ganz ohne Korsett riskieren sie, am Ende ganz blutt dazustehen.

Tiktok-Star: ­«Jackson» Martins tanzt in Zürich

Online hat Bauarbeiter Nelson «Jackson» ­Martins (37) bereits Millionen erreicht. Sie schauen ihm begeistert zu, wie er, umgeben von Kränen und Baugerät, Popstar ­Michael Jackson imitiert, weil er die Stimmung der Leute in diesen Coronazeiten aufhellen will. work ­porträtierte den gebürtigen Portugiesen und ­Tiktok-Star hier: rebrand.ly/tiktok-star. Jetzt will «der tanzende Bau­arbeiter» an der Lohndemo vom 30. Oktober in Zürich live auf­treten, wie er work erzählt. Und er macht klar: «Je mehr Leute auf der Demo sind, desto besser. Das gibt dann auch stärkere Good Vibes.» Doch Martins geht es nicht nur um Tanz und Entertainment. Schon vor einigen Wochen hatte er erklärt: «Wir Arbeiter müssen zusammen für unsere Rechte kämpfen.»

SHOW. Tatsächlich wird er nicht allein zur Lohndemonstration erscheinen. Mehrere ­Kollegen seiner Bauequipe wollen auch für bessere Löhne einstehen. Was ihnen «Jackson» dann zeigen wird? Noch geheim! Fest steht nur dies: Mitten im Protest der Verkäufer und Malerinnen, der Maurer und In­dustriemitarbeitenden wird «Jackson» ­Martins seine Show darbieten.

Jacksons Mobilisierungs-Video als kleiner Vorgeschmack gibt es hier: rebrand.ly/jackson-tanzt (jos)


Mehr Lohn und Respekt: Demos in 5 Städten

Ganz oben rollen die Millionen – auch in Zeiten der Krise: Allein im letzten Jahr haben die 300 Reichsten der Schweiz ihren Vermögensberg um total 5 Milliarden Franken aufgehäuft. Die obersten 0,3 Prozent der Bevölkerung besitzen mittlerweile satte 31 Prozent des Schweizer Gesamtvermögens. Gleichzeitig hat beinahe jede vierte Person überhaupt keine Ersparnisse.

GROSSE KLUFT. Und mit Corona hat sich die soziale Kluft noch vergrössert. Für Tausende gab es statt Homeoffice und volle Lohnfortzahlung Einkommenseinbussen und Arbeitslosigkeit. Für andere multiplizierten sich Stress und Gesundheitsrisiken. Besonders gilt das für die Mitarbeitenden in der Pflege, der Betreuung oder im Verkauf. Aber auch für die Arbeitenden der Industrie, der Logistik und des Bauhaupt- und Nebengewerbes. Sie haben unter schwierigsten Bedingungen durchgearbeitet.

Diese Leistungen müssten nun anständig honoriert werden. Doch viele Firmen und Branchen klemmen. Die Baumeister verweigern sogar jeden Rappen Lohnerhöhung! Gleichzeitig will das bürgerliche Parlament das Rentenalter erhöhen – zuerst auf Kosten der Frauen.

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