Solothurner Gaunerbude: Eine Geschichte wie aus einem Mafia-Film

Horror, Terror und Lohndrückerei

Jonas Komposch

Ein Plattenleger deckt das dreiste Lohndumping einer Solothurner ­Firma auf. Jetzt eskaliert die Situation. Arbeiter, Geschäftspartner und sogar ihre Familien werden bedroht.

DROHKULISSE & LOHNBSCHISS: Beschädigte Autos von ehemaligen Mitarbeitenden. Rechts unten: Der Arbeitsvertrag mit einem Stundenlohn von 13 Franken brutto, 10 Franken weniger, als der GAV vorschreibt. (Fotos: ZVG)

Demolierte Autos, Dumpinglöhne, Morddrohungen und Einschüchterungen von Kindern: Es ist eine Geschichte wie aus einem Mafia-Film, die «20 Minuten» publik machte. Doch der Horror ist höchst real, wütet mitten in der Schweiz und nimmt kein Ende. Im Zentrum steht eine Plattenlegerbude, die vor vier Jahren in Büren an der Aare BE eröffnet wurde. Anfang Mai verlegte sie ihren Sitz nach Solothurn. Warum, ist unklar, doch eines steht fest: Wer mit dieser Firma geschäftet oder für sie arbeitet, geht hohe Risiken ein. Das weiss niemand besser als Giovanni Rossi*. Als Inhaber eines Bauunternehmens vergab er vor drei Jahren der damals ­taufrischen Plattenfirma einen Unterauftrag. Sie sollte im Wohnpark «Champagne» in Biel Innenausbauarbeiten ­erledigen. Das habe zunächst gut funktioniert, sagt Auftraggeber Rossi. Doch zunehmend seien ihm die beiden Plattenleger-Chefs negativ aufgefallen. Rossi: «Sie haben ihre Arbeiter wie Dreck behandelt.» Für Rossi war deshalb klar: «Nie wieder!»

Vergebens hätten die beiden Chefs neue Aufträge verlangt. Dann die Überraschung.
Übers Wochenende wurden auf der Bieler Baustelle in mehreren Häusern Bodenplatten zerstört. Und zwar nur solche, die eine Konkurrenzfirma gelegt hatte. Diesen Vorgang bestätigt die Bauherrschaft. Ein Bauleiter, der anonym bleiben will, sagt zu work: ­«Jemand ging systematisch mit dem Hammer ans Werk.» Giovanni Rossi hatte sofort einen Verdacht. Der schien sich zu bestätigen, als einer der Plattenleger-Chefs ihn am Montag konfrontierte: «Na», habe dieser spitzbübisch gefragt, «hast du jetzt Arbeit für uns?» Rossi zog die Reissleine. Denn auch auf einer anderen Baustelle, auf der die Firma am Werk war, geschah Merkwürdiges. So verschwanden drei Paletten voller Keramikplatten. Ausserdem habe ihm die Firma eine Rechnung von 6000 Franken nicht begleichen wollen. Statt zu zahlen, hätten die Chefs ihm Gewalt angedroht.

«Ich fühlte mich wie ein Sklave.»

AUTOS BESCHÄDIGT

Zur gleichen Zeit meldete sich bei der Unia Solothurn ein Hilfsarbeiter der Plattenlegerfirma. Er verdiente 13 Franken pro Stunde – gut 10 Franken weniger, als der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorschreibt. Das belegt sein Arbeitsvertrag (siehe Ausriss oben). Die Gewerkschaft vermittelte einen Anwalt, der dem Plattenleger über 10’000 Franken ausstehendes Gehalt erstritt. Ausserdem meldete die Unia den Fall bei der paritätischen Kommission (PK), die sofort eine Kontrolle durchführte. Bilanz: nicht weniger als elf GAV-Verstösse und eine dadurch entstandene Differenzsumme von über 56’000 Franken! Noch heute ist gegen die Firma ein Verfahren bei der PK hängig, wie diese auf Anfrage bestätigt. Doch die PK-Kontrolle habe die Chefs regelrecht in Rage gebracht. Das sagt der Plattenleger, der bei der Unia Hilfe suchte. Schon früher hätten ihm die Chefs gedroht: «Wenn du zur Polizei gehst, bestrafen wir dich. Wenn du uns 10’000 Franken Schaden machst, machen wir dir 20’000 Franken Schaden.» Prompt wurde nun sein Auto beschädigt und die Nummernschilder gestohlen. Für den Geschädigten ist klar: «Dahinter stecken meine Ex-Bosse!» Belegen kann er das nicht. Doch bei der Berner Kantonspolizei sind die Chefs keine Unbekannten. Bereits 2018 musste sich einer von ihnen auf dem Polizeiposten erklären, da er von einem Mitarbeitenden des Vandalismus beschuldigt wurde. Eine entsprechende Vorladung liegt work vor. Und auch ehemaligen Geschäftspartnern wurden die Pneus aufgeschlitzt, nachdem sie mit der Firma in Konflikt geraten waren. Das bestätigen sie work, möchten aber keinesfalls mehr dazu sagen.

Eine Ausnahme ist Bauunternehmer Rossi. Denn er hat beschlossen, den ehemaligen Arbeitern der Plattenfirma zu ihrem Recht zu verhelfen. Sieben haben bei ihm bereits ihr Leid geklagt. Einer sagt: «Ich fühlte mich wie ein Sklave.» Rossi will aber auch seine Geldforderungen nicht einfach abschreiben. Und das brachte ihm den puren Horror.

Wer mit dieser Firma geschäftet, geht hohe Risiken ein.

TERROR AUF DEM SPIELPATZ

Es geschah im Mai. Seine neunjährige Tochter sei mit einer Freundin auf dem Spielplatz gewesen. Da sei plötzlich einer der Plattenleger-Chefs aufgekreuzt. Rossi: «Mit bösem Blick lief er schnurstracks auf sie zu und stoppte erst unmittelbar vor ihr.» Panisch sei das Mädchen davongerannt und habe sich im nahen Schulhaus versteckt. Wenige Wochen später sei derselbe Mann erneut gegen seine Familie vorgegangen: «Meine Frau und meine Tochter lagen gemütlich in der Badi. Plötzlich bemerkten sie, dass sie von diesem Typen angestarrt wurden.» Ein ganze Stunde habe der das durchgezogen. Rossi alarmierte die Polizei und eilte auch selbst herbei. Bei der Badi angekommen, habe ihn der Plattenleger-Chef sofort angegriffen und gedroht, ihn zu töten. Mit drastischen Folgen: «Meine Tochter hat seither Angstzustände.» Er selbst habe sich zum Selbstschutz ausgerüstet, Kameras montiert und rechtliche Schritte eingeleitet – letzteres mit mässigem Erfolg. Zwar verhängte ein Gericht ­superprovisorisch ein Kontaktverbot gegen die beiden Plattenleger-Chefs. Damit dürfen sie sich Rossi und seiner Familie nicht mehr nähern. Doch der Terror geht weiter: Kurz nachdem «20 Minuten» bei der Firma angerufen hatte, wurde Rossis Firmenauto beschädigt.

Was aber sagt die Firma zu all dem? Als work den Geschäftsführer am Telefon erreicht, verlangt dieser die Namen der Informanten, was work aus Gründen des Quellenschutzes verweigert. «Wir sehen uns vor Gericht!» keift er darauf in den Hörer und legt auf – bloss um wenig später zurückzurufen und sämtliche Anschuldigungen zu bestreiten. Mehr Klarheit könnte der 11. Dezember bringen. Dann müssen die Plattenleger-Chefs und Rossi vor den Schlichtungsrichter.

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