Tankstellenshop-Frau Carmen Heide (53) freut sich über den neuen GAV:

Endlich mehr Lohn und mehr Erholung

Christian Egg

Carmen Heide ist eine von rund 11’000 Tankstellenshop-Mitarbeitenden in der Schweiz. Und auch sie bekommt jetzt einen neuen Gesamtarbeitsvertrag. Und hofft, jetzt endlich von ihrem Job leben zu können.

ES GEHT VORWÄRTS: Carmen Heide freut sich über den neuen GAV. Und hofft, dass ihr Lohn jetzt steigt. (Foto: Michael Schoch)

Nicht ganz 3300 Franken pro Monat beträgt der Lohn von Carmen Heide für ihren 80-Prozent-Job. Macht knapp 4100 Franken auf eine Vollzeitstelle. Das ist etwas mehr als der aktuelle Mindestlohn laut Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Der liegt für den Kanton Schaffhausen, wo sie arbeitet, ohne Lehrabschluss bei 3600 Franken. Die 53jährige sagt, es sei «nichts als korrekt», dass sie mehr verdiene als der Mindestlohn: «Schliesslich habe ich zwölf Jahre Berufserfahrung.»

Erfahrung wird belohnt: Das ist jetzt neu auch im Tankstellenshop-GAV verankert. Die Sozialpartner, darunter die Unia, haben ihn neu verhandelt. Ab dem dritten Dienstjahr ist der monatliche Mindestlohn künftig 20 Franken höher. Unia-Frau Anne Rubin sass am Verhandlungstisch und sagt: «Das ist ein grosser Schritt. Denn in der Branche gibt es sehr viele Mitarbeitende ohne Lehrabschluss.» Die Arbeit an der Tankstelle ist oft der erste Job für Junge, Migrantinnen und Migranten oder Frauen nach der Babypause. Rubin: «Auf dieser neuen Mindestlohn-Kategorie können wir künftig aufbauen.»

«Die neuen Mindestlöhne sind ein grosser Schritt.»

ALLE MINDESTLÖHNE STEIGEN

Auch die Mindestlöhne steigen. Und zwar in den nächsten drei Jahren um mindestens ein Prozent pro Jahr. Nächstes Jahr liegt der Mindestlohn für Mitarbeitende ohne Lehrabschluss bei 3750 Franken, bei 4050 nach zwei- und bei 4150 nach dreijähriger Lehre. Auch wer einen anderen Lehrabschluss hat als im Verkauf, hat Anrecht auf den höheren Mindestlohn. Das ist einzigartig in der Schweizer GAV-Landschaft. Carmen Heide ist beim Ölriesen Socar angestellt. Sie sagt: «Auch wenn mein Lohn über dem Mindestlohn liegt – ich hoffe, dass er jetzt dank dem GAV noch ­weiter steigt.» Das wäre auch dringend nötig. Denn Heide kann von ihrem 80-Prozent-Lohn nicht leben. Deshalb jobbt sie zusätzlich an einer Tankstelle in Deutschland, für 450 Euro im Monat: «Ohne diesen Minijob müsste ich vom Ersparten leben.»

Aber keine Frage: sie macht die Arbeit gern. «Weil keine Chefin mir sagt, was ich tun muss. Ich bin alleine für die Tankstelle verantwortlich.»

95 Prozent der Leute seien Stammkundinnen und -kunden, sagt sie. «Und wenn da jemand kommt und einen Kaffee trinken und mit mir plaudern will, dann mache ich das.»

AM ABEND KOMMT DER STRESS

Die Socar-Tankstelle in Schaffhausen ist jeden Tag geöffnet, auch am Sonntag. Heides Schicht dauert immer von viertel vor zwei am Nachmittag bis viertel nach zehn am Abend. Ja, das sei lang. Denn sie ist alleine für einen Shop verantwortlich und kann deshalb keine echten Pausen machen. Mit dem neuen GAV muss der Arbeitgeber jetzt mindestens «eine Sitzgelegenheit oder eine Stehhilfe» in der Nähe der Kasse bereitstellen.

Besonders anstrengend ist für Heide die letzte Stunde: «Da bin ich am Aufräumen, und plötzlich ist der Laden voll, alle wollen noch rasch Bier oder Zigi kaufen. Das ist Hardcore.»

Der neue GAV sorgt jetzt für mehr Erholung. Neu haben alle Mitarbeitenden das Recht auf zehn freie Wochenenden pro Jahr. Und zweimal pro Monat muss ihnen die Firma zwei Tage am Stück freigeben. Dazu kommen neu vier Tage bezahlte Weiterbildung. Auch bei den Kassendifferenzen gibt’s Verbesserung. Wenn die Kasse nicht stimmt, mussten bisher dafür oft die Mitarbeitenden geradestehen. Damit ist Schluss: Nur wer ­vorsätzlich oder grobfahrlässig handelt, haftet für Fehlbeträge. Kollektiv- und Pauschalabzüge sind verboten.

Alle Sozialpartner haben dem neuen Vertrag zugestimmt. Jetzt muss ihn das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) für allgemeinverbindlich erklären.

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