Chefin Vania Alleva zum grössten Umbau der Unia, seit es diese Gewerkschaft gibt

«Die Unia braucht einen Gesundheitscheck»

Johannes Supe

17 Jahre nach ihrer Gründung zieht die Unia Bilanz und will sich neu aufstellen. Wie genau, erklärt Präsidentin Vania Alleva im Interview.

VANIA ALLEVA: «Entscheidend wird sein, die Führungsgremien der Unia umzugestalten. Der ZV müsste beispielsweise noch stärker werden.» (Foto: Peter Mosimann)

work: Die Unia steht vor einem Umbau. Ist sie denn kaputt?
Vania Alleva: Nein, sie funktioniert. Aber wenn wir unsere historischen Gründungsziele erreichen wollen, müssen wir uns ständig verbessern: Wir wollen eine kämpferische Gewerkschaft sein; eine, die über Branchen hinweg denkt und den Dienstleistungsbereich erschliesst. Nach 17 Jahren wollen wir uns überlegen, wie wir uns noch besser aufstellen können. Kurz gesagt: Der Unia geht es gut, aber sie braucht einen Gesundheitscheck.

Prüfen wir also Herz und Nieren der Gewerkschaft: die Fähigkeit, Arbeitsbedingungen zu verbessern. Was ist der Unia geglückt?
Wir konnten zum Beispiel die prekären Arbeitsbedingungen eindämmen und die Mindestlöhne erhöhen, indem wir mehr und bessere Gesamtarbeitsverträge erreicht haben. Etwa den grossen GAV für Temporärbeschäftigte oder den kleineren für Tankstellenshops. Und immer wieder haben wir bewiesen, dass wir erfolgreich gegen starke Arbeitgeber mobilisieren und Errungenschaften wie die Rente mit 60 auf dem Bau verteidigen können. Darauf kann die Unia stolz sein.

Bleiben wir für einen Moment bei der Rente mit 60 im Bauhaupt­gewerbe. Erreicht wurde sie durch einen Streik im Jahr 2002. Das war vor der Gründung der Unia. So einen Erfolg gab es seitdem nicht wieder.
Solche historischen Fortschritte erreichen wir leider nicht jedes Jahr. Und machen wir uns nichts vor, den Gewerkschaften weht ein scharfer Wind entgegen. Viele Arbeitgeber würden uns am liebsten ganz los werden. Wir befinden uns strategisch in der Defensive. Und die Finanz- und Wirtschafts-krise, die wir seit 2008 erleben, macht unsere Abwehrkämpfe nicht einfacher.

Allerdings ist auch die Unia nicht ohne Fehler. Wir müssen viel Energie aufbringen, um uns auf gemeinsame Ziele zu einigen. Und so sind wir auch im Dienstleistungsbereich noch nicht da, wo wir gerne wären.

«Wir müssen über­prüfen, inwiefern die Sektoren heute noch sinnvoll sind.»

Die Unia besteht aus 13 Regionen, 4 Interessengruppen und 4 Sektoren. Alle mit vielen Untergruppen. Ist es da überhaupt möglich, rasch zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen?
Unsere Struktur ist sehr komplex und manchmal nur schwer zu verstehen. Sie bildet die Vielfalt der Unia ab, die auch eine Stärke ist. Hier müssen wir im Rahmen von Unia 2.0 miteinander diskutieren, wie wir die Einheit der Organisation und die Rolle der Miliz in der Unia stärken können.

Sind die Mitglieder denn noch nicht gut genug eingebunden?
Die Unia wird von ihren Mitgliedern getragen, und wir können stolz auf unsere Mitgliederdemokratie sein. Aber nicht immer gelingt es uns, die Kolleginnen und Kollegen, die in ihren Betrieben oder in ihrer Region eine Schlüsselrolle spielen, auch in die entscheidenden Gremien bei uns einzubinden. Wenn wir hier besser werden, können wir viele Kräfte freisetzen. Entscheidend wird sein, die Führungsgremien der Unia umzugestalten. Der Zentralvorstand (ZV), in dem strategische Entscheide getroffen werden, müsste beispielsweise noch stärker werden.

Derzeit wird er zum Teil aus Mitgliedern, zum Teil aus hauptamtlichen Funktionärinnen und Funktionären gebildet. Wie wäre es zum Beispiel mit einem ZV, der nur aus Mitgliedern besteht?
Meiner Meinung nach müssten wir genau dorthin. Aber nun stehen offene Diskussionen an, einen Beschluss treffen wir erst am Ende – und zwar per Kongressentscheid.

Welche weiteren Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie für die Unia-Struktur?
Die Regionen sind sehr unterschiedlich aufgestellt, und die Ansprüche der Sektoren sind nicht einfach zu vereinbaren. Das ist unvermeidlich, aber die Art und Weise des Funktionierens und die Prioritäten in der Unia gehen zu weit auseinander. Deshalb sollten wir überdenken, wie die Regionen und die Branchen in unseren nationalen Führungsgremien zu gemeinsamen Entschlüssen kommen.

Braucht es die Sektoren überhaupt noch? Formal sollen sie verschiedene Branchen zusammenfassen. Aber einiges erscheint willkürlich, etwa die Zuteilung der Reinigung zum Sektor Bau.
Die Sektoren sind ein Produkt der ­Fusion, ihre Struktur orientierte sich auch an den früheren Einzelgewerkschaften. Wir müssen also überprüfen, inwiefern diese Struktur heute noch sinnvoll ist. Überhaupt sollten wir mit Unia 2.0 versuchen, das heute in der Unia verbreitete «Silo-Denken» zu überwinden: Man bezieht sich vor allem auf den eigenen Bereich und verliert die Arbeit in den anderen Bereichen aus den Augen. Wenn wir grosse Ziele erreichen wollen, etwa die Erschliessung des Dienstleistungsbereichs, hilft uns diese Denkweise nicht weiter.

Sie selbst kommen aus der Unia-Vorgängerin GBI. Wünschen Sie sich manchmal die kleinere, auf den Bau fixierte Gewerkschaft zurück?
Natürlich war es in der GBI einfacher, sich auf etwas zu einigen. Aber es gab ja Gründe für die Fusion. Der Rückzug auf die alten Gewerkschaftshochburgen ist einfach nicht genug. Die Unia ist ganz anders, weiblicher, vielfältiger. Sie gibt mir das Gefühl, dass wir wirklich mitten im Leben stehen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir uns nicht selbst mit den hohen Anforderungen, die wir an uns stellen, überfordern.

Macht Ihnen das auch Sorge, wenn Sie an Unia 2.0 denken? Zu hohe Erwartungen an das Projekt?
Ein wenig schon. Wenn wir es gut machen, wird die Unia am Ende mehr Dynamik entwickeln, und wir kommen schneller in unserer Gewerkschaftsarbeit voran. Aber wir müssen realistisch bleiben: Die Unia wird nicht «perfekt» werden. Und das Wesentlichste an der Gewerkschaft ist nicht ihre Struktur, sondern ihre Arbeit draussen, auf dem Terrain und für die Mitglieder.

Welche Unia für welche Zukunft?

Die grösste Gewerkschaft der Schweiz befragt ihre Mitglieder. Diskussion in offenen Online-
Konferenzen:

Die Termine
7. 9. Mobilisierungs- und Streikfähigkeit
9. 9. Profil gender­bewusste ­Organisation
15. 9. Inklusion und Diversität
21. 9. Interprofessionelles Selbstverständnis
24. 9. Gewerkschaftliche Wüsten erschliessen
28. 9. Anspruch als politische Akteurin
1. 10. Internationale Gewerkschaftsarbeit
6. 10. Professionelle Führungs- und Arbeitsweise
11. 10. Mitglieder­entwicklung
14. 10. Bildungsangebot
20. 10. Ressourcenver­schiebung auf Terrain
26. 10. Vertretung der Sprachregionen

Jeweils 18 Uhr – 20.30 Uhr

Infos und Anmeldung unter: unia.ch/Unia2.0

1 Kommentar

  1. Beat Hubschmid

    Die Übernahme unserer Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) damals, war der grösste Klau gegenüber uns Handwerker und Handwerkerinnen in der jüngeren Geschichte. Die Unia ist heute die Vpod 2.0, und vertritt in keinster Weise unsere Interessen (Mann/Frau stelle sich vor, man klaue die Interessenverbände des Staatspersonals, Polizei, Lehrerdenschaft, Landwirtschaft etc.? Der Aufstand/Bürgerkrieg wäre uns sicher!)!
    Damals noch haben „die Worte gestimmt“ und“die Werke gedeiht“ (Konfuzius). Heute räubern die Sozialisten/Kapitalisten über die Leiharbeiterschaft (Mit der Wende wurde die Uni-Linke frech und frecher…).

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