Klima der Angst beim Genfer Luxusuhren-Konzern

Was ist bloss bei Patek Philippe los?

Jérôme Béguin

Sie wollten den Albtraum öffentlich machen, den sie erlebt haben: Zusammen mit der Unia erhoben ­sieben Patek-Mitarbeitende an ­einer Medienkonferenz ihre ­Stimmen.

PATEK PHILIPPE: Mitarbeitende des Luxusuhren-Konzerns berichten von Druck, Mobbing und Rassismus. (Foto: Keystone)

Es war ihr Traum gewesen, bei Patek anheuern zu können, erzählt Uhrenarbeiterin Gabriela M.* Doch seit dem ersten Arbeitstag habe sie gelitten. Ein paar Kollegen hätten sie offenbar als Prügelfrau auserkoren und nicht aufgehört, sie zu plagen. «Ich sagte mir, dass es das Beste sei, diese Kollegen nicht zu beachten und mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich erzielte gute Resultate, aber ich wurde nur noch mehr zu ihrer Zielscheibe.» Irgendwann schaffte M. es nicht mehr. Sie ist mit einer «schweren Depression» krank geschrieben.

«Was wir bei Patek erleben, schlägt alles.»

SPIESSRUTENLAUFEN

Druck und Stress haben auch drei Mitarbeitende aus einer anderen Abteilung erlebt. Carla T.* erzählt: «Man verlangte immer mehr von uns, und wir mussten chrampfen wie die Irren. Irgendwann ertrugen wir das nicht mehr, weder physisch noch psychisch.» Also wenden sich die drei Uhrenabeiterinnen hilfesuchend an die Personalkommission. Louise F.* erinnert sich: «Als Antwort erhielten wir einen Rüffel: Wir sollten uns gefälligst nicht immer beklagen!» Doch der Arbeitsdruck nahm nicht ab.

Dann, eines Tages, lädt die HR-Abteilung zu einer Mitarbeitenden-Versammlung zwecks Aussprache. Alle sollen frei her­aus ansprechen, was sie auf dem Herzen ­haben. Carla T. tut es. Mit Folgen: «Kurz nach der Versammlung kam man mich am Arbeitsplatz holen mit der Aufforderung, ich solle meine Sachen packen.» Das war während der Nachmittagspause. Und vor aller Augen muss sie «diesen 180 Meter langen Gang hinausgehen, ein Spiessrutenlauf». Doch damit nicht genug: Ihr Foto sei anschliessend ausgehängt worden mit der Information, Mitarbeiterin T. sei entlassen worden, weil sie die Regeln der Firma nicht respektiert habe.

RASSISTISCHE SPRÜCHE

Qualität, Kooperation, Engagement, Offenheit und Respekt. Das sind die deklarierten Werte von Patek Philippe. Reden wir also vom Respekt. Oder besser vom Nichtre­spekt, den Mitarbeiter Ali S.* von Seiten seiner ­Arbeitskollegen erlebte. Er erzählt: «Sie traktierten mich mit islamfeindlichen und rassistischen Sprüchen.» S. wendet sich an seinen Vorgesetzten, und dieser schickt ihn nach Hause. Man wolle das untersuchen. Zwei Wochen später wird ihm das Resultat mitgeteilt: Die ganze Equipe erhält eine Verwarnung, S. inklusive. Dieser weigert sich, zu unterschreiben – und muss gehen. Vergeblich verlangt die Unia danach seine Wiedereinstellung, seine Verlegung innerhalb der Firma oder eine gütliche Trennung. Da kann Unia-Juristin Emma Lidén nur den Kopf schütteln: «Ein Opfer rassistischer Diskriminierung im Rahmen einer Untersuchung zu entlassen ist inakzeptabel!» Lidén sind inzwischen drei weitere, ähnlich gelagerte Fälle zugetragen worden. Unia-Mann Alejo Patiño: «Die Arbeitsbedingungen in der Uhrenindustrie sind schwierig. Aber was wir bei Patek erleben, schlägt alles.» Alle Vermittlungsversuche und Vorschläge der Unia seien zurückgewiesen worden.

LÜCKEN IN DER PRÄVENTION

Der Gewerkschaft blieb nichts anderes übrig, als das Genfer Arbeitsinspektorat einzuschalten. Dieses stellt schliesslich fest, dass Patek «Lücken in der Prävention psychosozia­ler Risiken mit Auswirkungen auf die Gesundheit der Belegschaft» habe. Und verlangt Verbesserungen. Patek reagiert darauf mit einer Information an alle Mitarbeitenden: Man wolle «für ein positives und re­spektvolles Arbeitsklima für alle sorgen». Weiterbildungen seien geplant. Und die Direktion ermuntert die Mitarbeitenden, «zu reden und zu handeln»: «Ob Sie das Opfer von Belästigungen sind oder Zeuge, wir werden Sie unterstützen!»

Die Unia hat einstweilen eine Strafanzeige wegen rassistischer Diskriminierung und zwei Klagen wegen missbräuchlicher Kündigungen eingereicht. Und es könnten weitere folgen.

Der Artikel erschien zuerst am 16. Juni 2021 in der Westschweizer Unia-Zeitung «L’Evénement syndical».

* Namen geändert


Das sagt Patek Philippe:«Schwierige Entscheidung»

Einen Tag nach der Pressekonferenz schickt die Patek-Direktion eine Information an die ganze Belegschaft: «Tatsächlich sind gewisse Mitarbeitende entlassen worden, weil sie unsere Werte nicht respektiert haben. Aber niemandem ist je gekündigt worden, weil er uns auf Fälle von Belästigungen aufmerksam gemacht hat.» Eine Entlassung sei immer eine «schwierige Entscheidung», die so menschlich wie möglich gefällt werde.

Was den Fall rassistischer Diskriminierung anbelange, habe die Direktion «eine lange und minutiöse interne Untersuchung» in Gang gesetzt. «Diese zeigte, dass es in einer kleinen Equipe tatsächlich Probleme gegeben hat, weshalb diese auch verwarnt wurde.» Der Mitarbeiter, der die Vorwürfe erhoben habe, habe sich geweigert, bei den Vorschlägen zur Verbesserung des Arbeitsklimas mitzumachen und vor allem: «Er ist nicht zur Arbeit erschienen, und das war auch der Entlassungsgrund.»

Gerne hätte die Westschweizer Unia-Zeitung «L’Evénement syndical» von Patek Philippe Antworten auf konkrete Fragen erhalten, doch die Medienstelle hat bisher nicht auf die Anfrage reagiert.

ZUGANG ZUR FIRMA. In der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» beschuldigte Patek-Pa­tron Thierry Stern die Unia, das Leiden von Mitarbeitenden zu instrumentalisieren: «Schon immer wollte sich die Gewerkschaft Zugang zu unserem Unternehmen verschaffen. Und ich denke, dass sie das nun via diese Fälle versuchen will.» Ein absurder Vorwurf für Unia-Mann Alejo Patiño: «Wir wollen in allen Betrieben präsent sein, bei Patek nicht mehr als anderswo. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als zu intervenieren, weil sich so viele Mitarbeitende mit Problemen bei uns gemeldet haben.» Obwohl Patek den Uhren-GAV unterzeichnet habe, halte es die ­Uhrenfirma nicht so mit der Sozialpartnerschaft: «Man verweigert uns den Zutritt zum Betrieb, und Patek hat uns sogar mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gedroht, als wir uns auf dem Parkplatz aufhielten, um Flugblätter zu verteilen.»

 

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