Hilferuf von Gewerkschafterin Phyo Sandar (38) aus Myanmar:

«Unterstützt die Sanktionen gegen das Militärregime!»

Johannes Supe

Im Februar putschte sich das Militär von Myanmar an die Macht. Seither kämpfen auch die Gewerkschaften gegen das tödliche Regime. Dafür setzen sie sogar ihr Leben aufs Spiel. So wie Phyo Sandar.

TODESMUTIGE DEMONSTRIERENDE: Drei Finger als Zeichen des Protests gegen die blutige Militärdiktatur in Myanmar. (Foto: Getty)

Sandar ist stellvertretende Generalsekretärin des Gewerkschaftsbundes von Myanmar (CTUM). Seine diversen Verbände zählen etwa 65’000 Mitglieder in verschiedenen Branchen. Die Gewerkschafterin engagiert sich bereits seit 2006 in der Gewerkschaftsbewegung. Auch trat sie in den vergangenen Wahlen als Kandidatin an. Jetzt muss sie im Untergrund leben. work hat mit ihr gesprochen.

work: In Myanmar spielen sich ­unfassbare Szenen ab. Am Morgen des 1. Februar ­verhinderte das Militär den Antritt der neu bestimmten Regierung. Seitdem herrscht im Land wieder eine Militär­diktatur. Was ist da passiert?
Phyo Sandar: Nach den langen Jahren der Militärdiktatur befand sich Myanmar auf dem Weg zur Demokratie. Im November 2020 fanden Wahlen statt. Die Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) gewann sie deutlich, denn viele in Myanmar lieben die Partei und ihre Leitung um Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Sie wollen einfach eine Partei, die vom Militär unabhängig ist. Doch das Militär und die von ihm gestützten Parteien anerkannten das Ergebnis nicht, sie sprachen von Wahlbetrug. Das war ihr Vorwand, um zu putschen – so, wie sie es schon im Jahr 1988 getan hatten.

Wurde Aung San Suu Kyis Partei auch von den Gewerkschaften unterstützt?
Nein, denn wir mussten lernen, dass sich die NLD nicht für die Arbeiterinnen und Arbeiter einsetzt und eine Politik für die Firmenbesitzer macht. Deshalb sind wir unabhängig von der NLD zur Wahl angetreten. Doch wir stehen seit Jahren für die Demokratie ein und haben deshalb die gewählte Regierung grundsätzlich begrüsst.

«Mehr als 850 Menschen sind den
Militärs schon zum Opfer gefallen …

Das Militär um General Min Aung Hlaing liess die Regierung unter Hausarrest ­setzen und macht ihr nun den Prozess.
Im Land gilt der Ausnahmezustand. Bereits am 1. Februar begann das, was wir die «Supreme Revolution», also die «höchste Revolution», nennen. Die Gewerkschaften forderten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft auf, zu streiken. Wir haben auch grosse Massendemonstrationen organisiert. Millionen Menschen beteiligten sich an den Streiks! Da entschied das Militär, uns nicht länger gewähren zu lassen.

Und reagierte mit Gewalt?
Anfangs ignorierten sie die Streiks in der Privatwirtschaft. Dann forderte das Militär die Staatsangestellten per Brief auf, wieder an ihre Arbeit zurückzukehren. Das Regime versprach sogar Beförderungen. Doch die Streikenden liessen sich nicht beirren. Das Militär erliess Sonderverordnungen – doch wir ignorierten sie. Sie schossen mit Wasserwerfern in die Demonstrationen, doch wir streikten weiter. Dann kam Tränengas, kamen Gummigeschosse und schliesslich die scharfe Munition. Mittlerweile setzen sie bei Demonstrationen Heckenschützen ein und töten Menschen per Kopfschuss. Nachts stürmen sie die Wohnungen der Anführerinnen und Anführer. Manchmal bringen sie dann im Morgengrauen Leichensäcke zurück. Mehr als 850 Menschen sind ihnen schon zum Opfer gefallen. Mehr als 4000 liess das Militär inhaftieren, gegen 3000 weitere gibt es Haftbefehle.

Auch Sie werden gesucht. Trotzdem befinden Sie sich weiterhin in Myanmar, allerdings im Untergrund.
Uns Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter verfolgt das Regime wegen Anstiftung zu öffentlicher Unruhe. Am 14. Mai warf das Militär den Spitzen der Gewerkschaften Hochverrat vor. Darauf stehen hohe Haftstrafen, sogar eine lebenslange Haft ist möglich. Heute morgen (das Interview fand am 13. Juni statt, Red.) wurden die Wohnungen leitender Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter durchsucht. Sie sind auch in das Haus meiner Eltern eingedrungen – doch die haben wir zum Glück anderweitig untergebracht.

… mehr als 4000 liessen sie
inhaftieren.»

Können Sie das Land noch verlassen?
Nein. Die lange Grenze zu Thailand ist geschlossen und wird bewacht. Aber es gibt einige Orte, auf die das Militär keinen Zugriff hat. Orte, an denen sich bewaffnete ethnische Minderheiten festgesetzt haben. Dort haben auch wir Unterschlupf. Doch das Militär lässt diese Gegenden manchmal bombardieren.

Und was machen die Kapitalisten?
Viele kollaborieren mit dem Militär. Einige Fabriken sammeln sogar die Daten der Streikenden und geben sie dann an die Militärs weiter, einschliesslich der Adressen.

Wie soll es weitergehen?
Wir kämpfen um die Demokratie, indem wir Streiks und friedliche Demonstrationen organisieren. Andere Gruppen bereiten den Übergang zum bewaffneten Kampf vor. Und die gewählte Regierung, die es ins Exil geschafft hat, stellt eine eigene Armee auf. Bei uns gehen viele davon aus, dass wir über kurz oder lang Bürgerkrieg in Myanmar haben werden. Diesen Kampf werden wir allerdings nicht allein gewinnen können, nicht ohne internationale Unterstützung.

Welche Unterstützung würde helfen?
Das Militärregime darf auf gar keinen Fall ­anerkannt werden. Es darf weder in der Uno-Generalversammlung noch in anderen internationalen Organisationen Einsitz nehmen. Wir Gewerkschaften fordern unsere Kolleginnen und Kollegen im Ausland auch dazu auf, Sanktionen gegen das Militärregime und auch die Wirtschaft des Landes zu unterstützen. Dieser Schritt ist uns nicht leichtgefallen, denn wir wissen, dass Sanktionen uns alle treffen werden. Aber so wie es heute ist, sind die Arbeiterinnen und ­Arbeiter rechtlos.

Und bitte, macht euren Regierungen klar, dass sie aufhören sollen, weiterhin Waffen ans Militär zu verkaufen.

Unia unterstützt Streikfonds

Die Unia solidarisiert sich mit den Demonstrierenden in Myanmar und unterstützt ihren Streikfonds. rebrand.ly/streikfonds


Myanmar:  Noch ein Putsch

MYANMAR: Das Land in Südostasien hat 51,5 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen. Von 1886 bis 1948 war es Teil des britischen Kolonial­reiches. (Grafik: Getty Images)

Seit sich das Militär unter Armeechef Min Aung Hlaing am 1. Februar an die Macht geputscht hat, erlebt Myanmar eine Welle der Gewalt und Repression. Schon wieder: Das Land in Südostasien (ehemals Burma), das unter anderem an Thailand, Indien und China angrenzt, stand schon von 1926 bis 2010 unter Militärherrschaft.

Jetzt sind Präsident Win Myint und Staatsrätin Aung San Suu Kyi, zuvor faktische Regierungschefin, in Haft. Suu Kyi, Tochter des Nationalhelden Aung San, hatte mit ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) bei den Wahlen im November ein überragendes Mandat für eine zweite Amtszeit gewonnen. Der Putsch erfolgte just an dem Tag, als sich das neue Parlament konstituieren sollte.

Die Militärs stellten Suu Kyi, langjährige Ikone der Freiheitsbewegung aus früheren Diktaturzeiten und Friedensnobelpreisträgerin, unter Anklage. Am 14. und 15. Juni liefen mit Zeugenvernehmungen nun die ersten beiden Prozesstage des Gerichtsverfahrens gegen die gestürzte Regierungschefin. Beobachter sprechen von einem Schauprozess. Allein in einem Anklagepunkt drohen der 75jährigen bis 14 Jahre Haft.

Das Land stand schon von 1926
bis 2010 unter Militärherrschaft.

ZIVILER WIDERSTAND. Massenhaft gehen nun die Menschen gegen die Suspendierung der noch jungen Demokratie auf die Strasse. Die Junta lässt Soldaten und Polizisten mit scharfer Munition auf Demonstrierende schiessen. Die Menschenrechtsvereinigung Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) hat schon mehr als 850 Tote gezählt, darunter auch Kinder. Die Zahl der Verhafteten liegt bei über 4000. Selbst Todesgefahr und massive Einschüchterungen halten die Menschen aber nicht davon ab, weiter für ihre Grundrechte einzutreten. Das betrifft nicht nur die Wirtschaftsmetropolen Yangon, Mandalay und die Hauptstadt Naypyidaw, sondern auch viele kleine Provinzstädte. Schulen und Universitäten sind nur bedingt arbeitsfähig, weil ein Grossteil der Mitarbeitenden sich der Zivilen Widerstandsbewegung (CDM) angeschlossen hat und entlassen wurde. Das Klinikpersonal war unter den ersten, die schon im Februar streikten (siehe Interview links). Und selbst einige einfache Soldaten und rangniedrige Offiziere sind zur Demokratiebewegung übergelaufen – andere wagen diesen Schritt aus Sorge um ihre Familien nicht.

ZEHNTAUSENDE AUF DER FLUCHT. Im Vielvölkerstaat, dessen Verfassung 135 ethnische Minderheiten anerkennt, sind auch Kämpfe der Armee und Rebellengruppen erneut aufgeflammt. Zehntausende Menschen flüchteten vor Bombardements der Luftwaffe. Untergetauchte Parlamentsabgeordnete haben eine Regierung der Nationalen Einheit (NUG) gebildet. Am 7. Juni wurde aber der Vertreter der Junta beim China-Asean-Aussenministertreffen in Chongqing hofiert. Menschenrechtsgruppen werfen dem Zehn-Staaten-Block und der Führung von Beijing ­Untätigkeit vor.

Südostasien-Experte Thomas Berger

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