Historische Verblendung:

Wie einst im Mai

Oliver Fahrni

Frankreichs Präsident Macron feiert Napoleon. Also sich selbst.

Nase an Nase: Napoleon I. und Emmanuel Macron. (Foto: Reuters)

Als er im ägyptischen Dendera das Antlitz der Liebesgöttin Hathor erblickte, sagte General Napoleon, nun wolle er auf dem Rücken von Elefanten bis nach Indien reiten wie Alexander der Grosse. Keiner zu klein für grosse Ambitionen! Doch der Ägyptenfeldzug stockte, die Bevölkerung von Kairo revoltierte, und Napoleon setzte sich nächtens von seiner Armee heimlich nach Frankreich ab. Nur einen Monat später, am 9. November 1799, stürzte er im Auftrag der Banker und der alten Herrscherfamilien in Paris die Republik. Und machte der Französischen Revolution ein Ende. Danach überzog er ganz Europa mit Krieg, Massaker und Vergewaltigung (3 bis 7 Millionen Tote), führte die Sklaverei wieder ein, gab Frankreich eine zentralistische Verwaltung, ein patriarchalisches Familienrecht, erstickte die Aufstände in Haiti und anderswo im Blut und kürte sich eigenhändig zum Kaiser Napoleon I.

Helden sind nützlich, auch wenn sie Schurken sind.

EIN ALTER TRICK

Den 200. Todestag dieses Mannes feierte Frankreichs Präsident ­Emmanuel Macron nun mit der Nationalhymne Marseillaise, einer Kranznieder­legung und einer fiebrigen Rede vor Offizierskadetten. Historiker hatten abgeraten. Ein zu dunkles Kapitel der Geschichte! In Paris gibt es keine Rue Napoléon. Doch was kümmert Macron schon die historische Wahrheit? Er ist ein Politiker in Not. Seine neoliberalen «Reformen» haben Millionen Franzosen in existentielle Schwierigkeiten versetzt. Seine Covid-Politik ist ein Desaster. Und sein Präsidialregime wird täglich autoritärer. In elf Monaten aber sind Neuwahlen. Da soll die Rehabilitierung des Völkerschlächters und brachialen Modernisierers Europas, der uns nebenbei auch noch die deutsche Romantik und den deutschen Nationalismus einbrockte, nun etwas Glanz und Legitimität auf Macron abstrahlen. Ein alter Trick. Erinnerungspolitik ist Teil der politischen Propaganda. Heldinnen und Helden sind nützlich, auch wenn sie Schurkinnen und Schurken waren. Macron sprach über sich selbst, als er sagte: «In jedem von uns ist ein Stück von ihm.» Und: «Sein Leben beweist, dass ein einzelner Mann den Gang der Geschichte verändern kann» (Ich, Ich!).

APPLAUS VON LE PEN

Die extreme Rechte und die Rechtsextremen feierten die Weisswaschung von Putsch-Kaiser Napoleon lauthals mit. Er ist ihr Idol. Das sagt etwas über den aktuellen Zustand der Republik. Am 21. April haben 20 ultrarechte Generäle a. D. und Hunderte von Offizieren die ­Armee öffentlich zum Putsch aufgerufen. Marine Le Pen, Chefin des Front national, applaudierte. Die Neofaschistin ist derzeit die aussichtsreichste Gegenkandidatin Macrons für die Wahlen im Mai 2022.


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