Yves Defferrard (55): Kandidat für die Unia-Geschäftsleitung

«Das Wichtigste ist schnell reagieren»

Christian Egg

Yves Defferrard verrät das ­Geheimnis eines erfolgreichen Arbeitskampfes. Und warum die Credit Suisse daran schuld ist, dass er Gewerkschafter wurde.

VOM STROMER ZUM STREIK-PROFI: Wird Yves Defferrard in die Geschäftsleitung der Unia gewählt, wäre er schon bald der neue Chef des Industriesektors. (Foto: Unia)

45 Stellen streichen und nach China verlagern: das war der Plan des Industriekonzerns Bosch für seine Tochterfirma Sapal in Ecublens VD. Doch der Sapal-Arbeiter Mike Nista, Präsident der Personalkommission, greift zum Telefon. Und ruft Yves Defferrard an, damals Unia-Industriesekretär im Kanton Waadt. Zusammen mobilisieren die beiden die Mitarbeitenden im Betrieb und verhandeln mit den Bosch-Chefs. Am Schluss gehen 12 Stellen verloren. Statt 45.

«Defferrards Erfahrung als
Arbeiter wird ein grosses Plus sein.»

IMMER UNTERWEGS

Das war 2010. Die Stellen seien bis heute geblieben, sagt Nista, der Anfang Mai in Pension ging. Während zweier Wochen sei Yves Defferrard jeden Tag bei der Sapal gewesen. Er habe «ein grosses Talent für Kommunikation und für Verhandlungen», sagt Nista. Manchmal hätten sie bis zwei Uhr morgens verhandelt. Der ehemalige Personalkommissionspräsident lacht: «Und die meisten Verhandlungserfolge hatten wir zwischen Mitternacht und zwei Uhr.»
«Typisch Defferrard!» sagt der oberste Gewerkschafter, Pierre-Yves Maillard. Vier Jahre war Maillard der Vorgesetzte von Defferrard. Bei der Waadtländer Sektion der Gewerkschaft Smuv, einer Vorgängerorganisation der Unia. Einzigartig an Defferrard sei gewesen, «dass er fast nie in seinem Büro war. Sondern immer unterwegs in den Betrieben.»

Das war auch nötig. In den 2000er Jahren gab es in der Industrie eine Welle von Massenentlassungen. Immer wieder schellte bei Industriesekretär Defferrard das Telefon. Das Wichtigste sei dann, schnell zu reagieren, sagt er: «Wenn man drei Tage wartet, haben die Chefs schon gegen die Gewerkschaft Stimmung gemacht. Du musst sofort eine Personalversammlung einberufen und den Mitarbeitenden zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen.»

Lohnt es sich immer zu kämpfen? Absolut, sagt Defferrard. Niederlagen gebe es nämlich nur dann, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entschieden, nichts zu unternehmen. Defferrard: «Aber wenn sie bereit sind, sich zu wehren, das zeigen meine Erfahrungen, dann ist das Resultat immer besser, als wenn wir nichts gemacht hätten.»

Etwa bei Novartis. 2011 will der Pharmakonzern die Fabrik in Nyon schliessen und die 320 Stellen nach Deutschland auslagern. Doch die Belegschaft, unterstützt von Defferrard, erreicht mit einem Warnstreik den Zugang zu allen wichtigen Unterlagen der Firma. Und erarbeitet einen Rettungsplan. Novartis krebst zurück. Anderthalb Jahre später schafft der Konzern am Standort mehrere Hundert zusätzliche Arbeitsplätze. Gewerkschafter Defferrard freut’s: «Von solchen Ergebnissen träumt man als Gewerkschafter!»

IM DEUTSCHKURS

Defferrard machte eine Lehre als Elektriker. Reiste danach monatelang mit dem Rucksack durch die Welt – Asien, USA, Indien, Afrika – und liess sich dann zum Informatiker weiterbilden. Fünf Jahre arbeitet er bei der Firma Cerberus, die Brandmelder installiert. Er ist dort in der Personalkommission und erlebt eine Restrukturierung nach der anderen: «Zuerst hat unser Patron den Betrieb an die Credit Suisse verkauft, die baute Stellen ab. Nur ein Jahr später verkaufte sie uns an die Elektrowatt.» Zusammen mit dem Smuv setzt sich Defferrard für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen ein. Doch nach dem vierten Personalabbau in fünf Jahren hat er die Nase voll und wechselt in die Gewerkschaft: «Eigentlich verdanke ich es der Credit Suisse, dass ich Gewerkschafter wurde.»

Das ist Defferrard jetzt seit über zwanzig Jahren. Zuletzt fünf Jahre als Leiter der Unia-Region Waadt. All seine Erfahrungen möchte er jetzt in die Unia-Geschäftsleitung einbringen. Dort würde er verantwortlich sein für den Industriesektor.

Der Vater von zwei erwachsenen Töchtern und ehemalige Schlagzeuger in einer Progressive-Rockband hat allerdings ein Handicap: «Ich habe seit der Schule kaum mehr Deutsch geredet.» Defferrard besucht jetzt einen Deutschkurs, und im Sommer geht er zwei Monate nach Deutschland. Er sagt: «Aber wenn du im Alter von 55 Jahren in einer Sprache wieder bei null anfängst, ist es schwierig.»

MAILLARDS WUNSCH

Unia-Vizepräsident Aldo Ferrari, auch er ein Weggefährte Defferrards, ist trotzdem überzeugt, dass er der Richtige ist für die Unia-Geschäftsleitung: «Kaum jemand weiss so gut wie er, wie man die Leute in einem Betrieb organisiert. Das und seine Erfahrung als Arbeiter wird ein grosses Plus sein für den Industriesektor der Unia.»

Ähnlich äussert sich auch SGB-Chef Maillard. Der hat aber noch einen Wunsch an die Adresse seines ehemaligen Mitarbeiters: «Dass er auch als Mitglied der Geschäftsleitung so wenig wie möglich im Büro ist. Sondern auf dem Terrain, bei den Teams der Gewerkschaft.»


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