Tag der Arbeit: Wird er dieses Jahr physisch oder digital?

Raus zum 1. Mai, wenn immer möglich!

Johannes Supe

Der Tag der Arbeit steht an. Die Gewerkschaften ­wollen zurück in den öffentlichen Raum. Doch der Weg dahin ist steinig.

TAG DER ARBEIT: Unia-Chefin Vania Alleva (links) am 1. Mai 2019, zusammen mit SP-Co-Chefin Mattea Meyer. (Foto: Unia)

Für Unia-Präsidentin Vania Alleva ist die Sache klar: «Wir werden alles daransetzen, dass der 1. Mai wieder physisch stattfindet. Es ist der Tag der Arbeitnehmenden, und es ist wichtig, dass wir für unsere Rechte zusammenstehen – ganz wortwörtlich.» Selbstverständlich stehe die Gesundheit an oberster Stelle, für jede Aktion werde es ausgefeilte Schutzkonzepte geben. «Innerhalb der behördlichen Regelungen gibt es weiterhin Möglichkeiten, für die Anliegen der Arbeitnehmenden auf die Strasse zu gehen. Und das wollen wir auch tun», sagt die Unia-Chefin zu work.

Die deutlichen Worte von Alleva fallen in eine unsichere Zeit für die Gewerkschaften. Selbst kurz vor dem 1. Mai ist in vielen Orten noch nicht sicher, wie genau der traditionelle Tag der Arbeit angegangen wird. Einig sind sich die meisten Verbände darin, dass sie zurück in den öffentlichen Raum wollen.

«Wir wollen nicht, dass der diesjährige 1. Mai wieder nur virtuell im Netz abläuft»

KREATIVE AKTIONEN

Um das Ringen um den jetzigen 1. Mai besser zu verstehen, hilft ein Blick zurück auf den vergangenen. 2020 wurden auch die Gewerkschaften von der Geschwindigkeit der Pandemie und vom Lockdown getroffen. Matthias Preisser, der im Zentralsekretariat des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) arbeitet, erinnert sich: «Wir hatten bereits die Plakate, alles war auf einen regulären 1. Mai ausgerichtet. Dann kam der Lockdown. In knapp einem Monat mussten wir alles über den Haufen werfen.»

Was folgte, war für den SGB ungewohnt. Üblich ist, dass der 1. Mai von den Gewerkschaften vor Ort organisiert wird, teils auch von kantonalen Gewerkschaftsbünden. Der SGB hingegen hilft bei der Infrastruktur. Doch 2020 übernimmt die Zentrale den Lead: Anstelle der abgesagten Veranstaltungen wird eine digitale Sendung produziert. Tausende schalten sich am 1. Mai zu. Für den SGB ist es ein Erfolg. Dennoch weiss auch Mitorganisator Preisser, dass es nicht bei reinen Online­veranstaltungen bleiben kann: «Es fehlt etwas. Für die Gewerkschaften ist es Tradition, sich an diesem Tag die Strasse zu nehmen. Wir wollen an den Brennpunkten präsent sein.»

Ein Jahr später bleibt zwar die Pandemie bestehen, doch die Gewerkschaften sind besser gerüstet. Unia-Chefin Alleva sagt: «Wir wollen nicht, dass der diesjährige 1. Mai wieder nur virtuell im Netz abläuft.» Vom Normalfall sei man noch weit entfernt. Viel eher müssten kleinere und kreativere Aktionen ins Auge gefasst werden.

MAXIMAL 15 PERSONEN ERLAUBT

So wird es zum Beispiel in Zürich sein. In vergangenen Jahren fanden hier die grössten Demonstrationen statt, oft mit weit über 10’000 Teilnehmenden. Doch am 13. April erklärt der Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich (GBKZ) endgültig: Einen Umzug mit Schlusskundgebung wird es in diesem Jahr nicht ­geben.

GBKZ-Präsident Markus Bischoff erklärt: «Öffentliche Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen sind in Zürich einfach nicht erlaubt», Und weiter: «Und da es unser eigenes Anliegen ist, den Gesundheitsschutz streng einzuhalten, konnten wir nicht länger an der Demonstration festhalten.» Stattdessen habe man nun fünf verschiedene kleinere Veranstaltungen organisiert. So wird etwa die Unia auf den Arbeitskampf der Schreinerinnen und Schreiner für einen neuen GAV aufmerksam machen, die Syndicom auf die Situation des Post-Personals, und der VPOD wird eine Kundgebung für einen starken Service public abhalten. Bischoff sagt: «Uns war es wichtig, wieder draussen zu sein. Beim 1. Mai geht es auch um den Zusammenhalt der Menschen, und da ist es wichtig, einander wieder begegnen zu können.»

Schwierig für die Gewerkschaften sind die sehr unterschiedlichen Regelungen, die in den jeweiligen Kantonen gelten. Während es in Baselland keine Limite für politische Veranstaltungen gibt, lässt das Tessin sie praktisch gar nicht zu. Im Kanton Bern dürfen ­hingegen höchstens 15 Personen an einer Kundgebung teilnehmen. Den Organisationen in kleineren Orten stellen sich damit teils unüberwindbare Herausforderungen. So musste das 1.-Mai-Komitee von Interlaken die von ihm geplante Veranstaltung in einer Aula schliesslich absagen. Es teilte am 16. April mit: «Die geltenden Corona-Massnahmen für den Veranstaltungsbereich lassen eine Feier in angemessenem Rahmen leider nicht zu.» Zuvor hatte man versucht, mit den Behörden eine Lösung zu finden – erfolglos.

Ähnliche Erfahrungen musste auch der Gewerkschaftsbund Thun machen. Sein Konzept für einen «1.-Mai-Markt» wurde rundweg abgelehnt. Zwar findet am Morgen bereits ein Wochenmarkt am von den Gewerkschaften favorisierten Platz statt. Doch der habe einen «kommerziellen Charakter» und könne entsprechend bewilligt werden, so die Behörden. Für einen politischen «Markt mit Veranstaltungscharakter» gelte das aber nicht. Zu Redaktionsschluss (am 21. April) liefen die Gespräche mit der Stadt noch.

AUFBRUCH. Das diesjährige 1. Mai-Plakat. (Foto: SGB)

ABSCHLUSS AUF DEM BUNDESPLATZ

Auch Johannes Wartenweiler, Sekretär des städtischen und kantonalen Gewerkschaftsbunds von Bern, musste bereits erleben, wie hart die Ämter sein können. «Als wir 2020 zu fünft ein Plakat am Bundesplatz hochhalten wollten, kam sofort die Kantonspolizei», erinnert er sich. Die Beziehung zum Gemeinderat – so heisst in Bern die Stadtregierung – sei aber konstruktiv. Wartenweiler sagt: «Und wir sollten uns auch nicht in Spiegelfechtereien ergehen. Die Märkte haben ihre Bewilligungen, wir eben nicht. Rechthaberei bringt uns da nicht weiter.»

Und so hat der Gewerkschaftsbund in Bern in diesem Jahr umgeschwenkt. «Wir werden nicht wie früher bis zu 2000 Leute auf die Strasse bringen. Und wir wollen das derzeit auch nicht», so Wartenweiler. Stattdessen gibt es gut ein Dutzend kleinerer Stände über die Stadt verteilt – vom westlich gelegenen Bümpliz bis zum zentralen Helvetiaplatz. An einer Abschlussversammlung auf dem Bundesplatz werde schliesslich eine kleine Delegation der Parteien und Gewerkschaften teilnehmen. Wichtig sei, dass am 1. Mai wieder etwas stattfinde.

Zeit für die soziale Wende: Aufruf & Programm zum 1. Mai

Hunderttausende waren und sind von Entlassungen betroffen oder müssen Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Die tiefsten Löhne haben in der Coronakrise am stärksten gelitten. Um die ungerechte Einkommensverteilung offensiv zu bekämpfen, braucht es einen Aufschwung für die Arbeitnehmenden – mit Vollbeschäftigung, besseren Löhnen und einer sozialeren Altersvorsorge. Es ist Zeit für die soziale Wende!

Das Programm aus der ganzen Schweiz auf: www.mai 2021.ch/programm

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