Revision der Quellensteuer-Verordnung:

Maurer plagt Migrantinnen und Migranten

Johannes Supe

Plötzlich haben erwerbs­lose Migranten bis zu 500 Franken weniger im Portemonnaie. Pro Monat! Dahinter steckt die Eidgenössische ­Steuerverwaltung.

ABGESTEMPELT: Arbeitslose ohne Niederlassungsbewilligung müssen massiv mehr Quellensteuer abgeben. (Foto: Keystone)

Zum Beispiel Giuseppe I.*: Der Vater von drei Kindern im Alter zwischen einem und zehn Jahren lebt im Tessin. Und ist arbeitslos. Dennoch zahlt er Quellensteuer wie fast alle Lohnabhängigen in der Schweiz, die keine Niederlassungsbewilligung haben. Sie bezahlen ihre Steuern nicht nachträglich, sondern der Staat zieht sie ihnen direkt vom Einkommen ab. Im letzten Dezember zahlte Giuseppe 8.65 Franken. Einen Monat später, im Januar 2021, verlangte die Steuerverwaltung plötzlich 238.05 Franken von ihm. Genauso erging es auch Rika L.*, die mit ihren zwei Kindern in Graubünden lebt und zurzeit auf Stellensuche ist. Ihre Abzüge erhöhten sich auf einen Schlag von unter 40 Franken auf über 600 Franken. Was ist passiert?

Sogar das Seco ist über die Steuererhöhungen gar «nicht erfreut».

BEHÖRDENLOGIK

Im Januar 2021 trat die revidierte Quellensteuerverordnung mit einem Paukenschlag in Kraft. Mit der Revision wollte die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) das Verfahren optimieren. Nur: Was der Behörde das Rechnen vereinfacht, macht ausgerechnet migrantischen Erwerbslosen mit Kindern das Leben schwer.

Bisher wurden auch bei migrantischen Erwerbslosen die Kinderabzüge an die Steuern angerechnet. Doch diese Mühe will sich die Steuerverwaltung nicht mehr machen und tut jetzt schlicht so, als gäbe es keine Kinderabzüge. Das Resultat ist drastisch: Wo 2020 nur geringe Quellensteuerabzüge anfielen, sind es nun mehrere Hundert Franken. Möglich werden solche Sprünge durch den neu eingeführten «Tarifcode G», unter den die Erwerbslosen fallen. Die Überlegung des Amts: Zwar wird zunächst nicht berücksichtigt, ob die Besteuerten Anrecht auf Kinderabzüge haben, aber am Ende des Jahres können sie sich das zu viel abgezogene Geld vom Kanton zurückerstatten lassen. Es ist die Denkweise einer Behörde. Kinder müssen aber auch während des Jahres ernährt, gekleidet und versorgt werden – und nicht erst nach zwölf Monaten. Kommt dazu, dass die Steuerverwaltung gleich ein zweites Mal zugeschlagen hat. Denn neu sollten die quellenbesteuerten Erwerbslosen anhand des versicherten Betrags – also ihres früheren Lohns – statt des wirklich ­erhaltenen, niedrigeren Arbeitslosengeldes besteuert werden. Auch Kolleginnen und Kollegen mit mehreren Jobs trifft es hier. Zu viel des Schlechten, wie auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fand. Im Fe­bruar intervenierte er bei der Steuerverwaltung. Mit Erfolg. Wenigstens diese zu viel gezahlten Beträge sollen bis Mai zurückerstattet werden.

SVP-Bundesrat Maurer, hat das Vorhaben im April 2018 abgenickt.

UNGEWOLLTE AUSWIRKUNGEN

Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das die Arbeitslosenkasse bei der Anwendung der Verordnung unterstützt, ist man über die Auswirkungen der Revision entsetzt. Oder, wie es das Seco auf Anfrage von work formuliert: «Das Seco hat die durch die Revision entstandenen Erhöhungen zur Kenntnis genommen und ist über die dadurch verursachten Umstände und Aufwände bei den betroffenen Steuerpflichtigen und den Vollzugsstellen nicht erfreut.» Pikant: Letztlich verantwortlich für die verheerende Änderung ist SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der das Vorhaben im April 2018 abgenickt hatte.

ZU EINSEITIG VEREINFACHT

Die Steuerverwaltung selbst spricht gegenüber work davon, dass «der gewählte Ansatz» von Teilen der Revision «zu einseitig in Richtung Vereinfachung ging». Man arbeite nun an «Lösungen für die mittel- und langfristige Zukunft». Gedachter Zeitraum: 2022. Ob schliesslich eine Revision der Revision der Quellensteuerverordnung nötig ist, sei noch unklar.

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