Niemand macht Ziegel wie sie – doch jetzt ist Schluss

Die Tonkünstler von Bardonnex

Christian Egg

Die Arbeiter der Ziegelei in Bardonnex GE geben alles, um den Traditionsbetrieb zu retten. Aber eine Immobilienfirma stellt sich quer.

NAHE AM KUNSTHANDWERK: Christian Marchand (links) und Philippe Calame-Rosset produzieren in Bardonnex nicht einfach Ziegel, sondern ein Stück Kulturgeschichte. (Foto: Olivier Vogelsang)

Arbeiter Philippe Calame-Rosset (42) sagt es mit Stolz: Eine «Schweinearbeit» sei es gewesen, «une grosse cochonnerie». Für das Zwiebeldach des Turms eines alten Mietshauses in Genf mussten er und seine Kollegen die Ziegel herstellen. «Stundenlang haben wir gepröbelt, bis wir es raushatten.» Sein Kollege Christian Marchand (58) ergänzt: «Fast jede Reihe hatte wieder eine andere Form: lang, kurz, gebogen, konkav, konvex – am Schluss haben wir jeden Ziegel numeriert, damit die Dachdecker wussten, was sie zu tun hatten.»

Ihr Betrieb, die Ziegelei in Bardonnex südwestlich von Genf, lieferte mehr als siebzig Jahre lang die Ziegel für die historischen Gebäude in der Region (siehe Kasten rechts). Calame-Rosset und Marchand erzählen begeistert: vom Ton, von den Färbemischungen aus Eisenoxid oder Mangan, vom einzigartigen Brennofen aus den 1960er Jahren. «Es ist eine Industriearbeit», sagt Marchand, «aber nahe am Kunsthandwerk.» Und sie wissen: Solche Ziegel herstellen, das kann sonst fast niemand mehr.

Doch seit Ende 2020 ist der Ofen kalt. Die Besitzerin, die Gasser Ceramic mit Sitz in Rapperswil BE, hat den Stecker gezogen. Weil das Werk nicht mehr rentiere. 16 Arbeiter haben die Kündigung erhalten. Die berühmten gelben und roten Bardonnex-Ziegel sollen künftig in Rapperswil hergestellt werden. Als «Ziegel vom Typ Bardonnex».

«BSCHISS»

Für Yves Peçon ist das «ein Bschiss». Der 68jährige Architekt, der 30 Jahre für den Genfer Denkmalschutz gearbeitet hat, kämpft für das Kulturerbe der Bardonnex-Ziegel. Als Ziegeleiunternehmer Rudolf ­Gasser im vergangenen Sommer die Schliessung bekanntgab, gründete Peçon zusammen mit Gleichgesinnten ein Aktionskomitee. Man trommelt viel Geld zusammen: Vier Millionen Franken von der Stiftung des Rolex-Gründers Hans Wilsdorf. Plus zwei Millionen vom Kanton Genf in Form einer Bestellung auf Vorrat von vier Millionen Ziegeln. Peçon: «Allein damit wäre die Fabrik fast zwei Jahre ausgelastet.»

Firmenchef Gasser schlägt die Angebote aus. Alain Clémence, emeritierter Professor für Sozialpsychologie und jetzt Sekretär des Komitees: «Das ist mir bis heute ­unverständlich.» Doch das Komitee gibt nicht auf. Jetzt ist es bereit, den Betrieb selber weiterzuführen. Als Genossenschaft und mit den bisherigen Arbeitern. Clémence: «Rudolf Gasser fand die Idee originell. Wir waren am Verhandeln und hätten wohl eine Lösung gefunden.»

Doch jetzt stellt sich die Immobilienfirma Agramat quer. Ihr gehört der Boden, auf dem die Fabrik steht. Und sie will von der Genossenschaft nichts wissen. Als diese Ende Februar im Agramat-Büro gleich neben der Ziegelei einen Brief überreichen will, lässt die Fima das Gelände abriegeln und droht mit rechlichen Schritten.

DAS VERSPRECHEN GEBROCHEN

Bitter für die Arbeiter: Agramat ist die Firma ihres ehemaligen Patrons. Claude Morandi, Ziegelfabrikant in vierter Generation, verkaufte 2010 zwar den Betrieb in Bardonnex an Gasser. Arbeiter Calame-Rosset erinnert sich: «Er kam zu uns und sagte: Macht euch keine Sorgen, die Ziegelei bleibt. Denn unsere Familie behält den Boden.» Doch Claude Morandi starb 2015. Jetzt leitet sein Schwiegersohn die Geschicke der Firma. Und der schreibt work: «Hätten wir nicht auf eine Miete verzichtet und der Fabrik unseren Ton gratis zur Verfügung gestellt, sie hätte schon lange schliessen müssen. Es gibt keine wirtschaftliche Realität mehr für diese Art Ziegel.» Und Agramat hat bereits Pläne für das Gelände: Lager- und Logistikflächen oder das Aufbereiten von Baustellenabfall.

Philippe Calame-Rosset arbeitete 20 Jahre in der Ziegelei, Christian Marchand sogar 36. Jetzt sind beide auf Stellensuche. «Das ist das Schlimmste», sagt Marchand, bevor er sich verabschiedet, «nach all den Jahren wirst du rausgeschmissen wie ein Schuft.»

Kulturerbe: Ziegel fürs Schloss Chillon

Es sind nicht irgendwelche Ziegel, die in Bardonnex entstanden sind. Sie sind ein Stück Kulturgeschichte. Sie decken das Schloss Chillon, das Genfer Rathaus und das Collège Calvin, eine der ältesten öffentlichen Schulen der Welt. Im Kanton Waadt schreiben mehrere Gemeinden vor, dass Dächer mit gelben Bardonnex-Ziegeln gebaut werden müssen – wegen des einheit­lichen Ortsbildes. Sogar im nahe gelegenen Frankreich setzten Schlossherren auf ­Bardonnex-Qualität, etwa beim Château de Ripaille am Südufer des Lac Léman. ­Arbeiter Christian Marchand erinnert sich: «Für die Ziegel dort gab es keine Standards. Am Schluss haben wir vier verschiedene Ziegel gemacht, dazu alle in unterschiedlichen Längen.»

SCHUTZ. Damit dieses Know-how nicht verloren geht, soll die Fabrik jetzt unter Schutz gestellt werden. Der Schweizer Heimatschutz gab dafür bereits grünes Licht – entscheiden muss aber der Kanton Genf. Zwar kann der Heimatschutz die Eigentümer nicht verpflichten, den Betrieb wiederaufzunehmen. Aber sie dürfen die Fabrik auch nicht abreissen. Arbeiter Philippe Calame-Rosset sagt: «Ich hoffe, dass Agramat dann keine andere Möglichkeit mehr sieht, als uns die Produktion wieder zu erlauben.» Und sein Kollege Christian Marchand sagt: «Solange die Fabrik noch steht, lebt die Hoffnung.»

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