Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Vier Frauen brechen das Schweigen

«Sie sind aber ein flottes Stück!»

Jérôme Béguin

Sarah Meyer, Claire Huguet, ­Sophie Benoit und Maria ­Martelli: drei Gastro-Mitarbeitende und eine Pflegeheim-Mitarbeiterin wollen sich ­Übergriffe im Job nicht länger bieten lassen.

DAS INAKZEPTABLE NICHT AKZEPTIEREN: Sarah Meyer, Claire Huguet und Maria Martelli vor dem Eingang der Unia in Genf. (Foto: Jérôme Béguin)

Maske und Unia-Kappe tief im Gesicht, sind sie bereit, hinzustehen und von ihren Erlebnissen zu berichten, öffentlich, an einer Pressekonferenz. Was sie durchgemacht haben, plagt sie noch heute. Sarah Meyer *, Mitarbeiterin bei einer Genfer Fastfoodkette, sagt es so: «Alle akzeptierten dort das Inakzeptable.» Bald fiel die Mutter zweier kleiner Kinder ins Depressive, bald überkam sie die grosse Wut. «Ich bekam sogar Pro­bleme mit meinem Partner, denn erst mochte ich ihm gar nichts erzählen, als ich aber nicht mehr konnte, erzählte ich es ihm doch. Er wollte den Geschäftsführer verprügeln gehen.» Das aber wollte Sarah Meyer nicht. Schliesslich ging sie zur Unia.

«Kam ich geschminkt zur Arbeit, fragten die Typen mich, für welchen von ihnen ich es denn getan hätte.»

VORGESETZTER MUSS GEHEN

Als Meyer den Imbiss am ersten Arbeitstag betrat, spürte sie es sofort: «Es war wie in einer rechtlosen Zone.» Der Geschäftsführer stellte vor allem junge, gut aussehende Frauen an. Meyer: «Um genügend Arbeitsstunden zu bekommen, mussten wir bei den männlichen Vorgesetzten immer Bittibätti machen, mussten charmieren, mussten verführerisch tun.» Und die durften den Mitarbeiterinnen alles sagen, was ihnen grad so in den männlichen Sinn kam. Die ganze Palette sexueller Belästigungen mit Worten. Zum Beispiel begrüsste der Geschäftsführer Meyer mit: «Du bist aber ein flottes Stück!»

Ein unerträgliches Klima. Und eine fast ausweglose Situation. Dennoch nahm Meyer allen Mut zusammen und beschloss, sich zu wehren. Mit Erfolg! Nach der Intervention der Unia kassierte der Geschäftsführer eine Verwarnung, ein Vorgesetzter wurde gefeuert, und die anderen müssen sich neuerdings benehmen. Sarah Meyer staunte nicht schlecht: «Die sind seither wie umgedrehte Handschuhe, das ist genial, dank der Unia!»

Weniger Glück als Meyer hatte Pflegeheim-Mitarbeiterin Maria Martelli*. Denn beim tätlichen sexuellen Übergriff in einer abgelegenen Ecke im Flur, den sie erleiden musste, gab’s keine Zeugen. Er, der übergriffige Arbeitskollege, ist deshalb immer noch dort. Und sie, das Opfer, muss nun Beweise liefern. Und wurde auf eine andere Abteilung «strafversetzt». Als wäre sie die Täterin.

JEDEN TAG DIESE SPRÜCHE!

Bereits während des Anstellungsgesprächs warnte Claire Huguets Chef sie vor ihren künftigen Arbeitskollegen: Sie seien zwar etwas heavy, aber liebenswürdige Typen. Tatsächlich erlebte die Fastfood-Mitarbeiterin dann ein Arbeitsklima, wo sexuelle Belästigungen zum Alltag gehören. Huguet: «Kam ich zum Beispiel geschminkt zur Arbeit, fragten sie mich, für welchen von ihnen ich es denn getan hätte.» Alle Mitarbeiterinnen standen unter ständiger Beobachtung der ­Kollegen, sie mussten dauernd Kommentare über ihr Äusseres über sich ergehen lassen oder unerwünschte Berührungen. Huguet dachte, dass sie das nicht aushalten würde, aber sie brauchte den Job. Den Lohn. Also ging sie vermehrt auf Distanz, begann sich zu wehren. Plötzlich wurde sie jetzt als Feministin gehänselt. Doch die Belästigungen gingen weiter. Irgendwann wurde sie krank. Kündigte. So, wie auch Arbeitskollegin Sophie Benoit *. Noch heute mag sie nicht mit aufs Foto.

Benoit hatte bisher stets gedacht, sie sei eine starke Frau. Schliesslich machte sie Militär. Und schliesslich hatte sie auch schon Arbeitskollegen bremsen müssen. Doch diesmal war alles anders: Drei Monate lang wurde sie von gleich drei Männern belästigt. Täglich! Benoit: «Sie fragten mich jeden Morgen, was mein Freund und ich eigentlich so im Bett machten. Oder als ich Rückenweh hatte, da wollten sie mich massieren.» Ein Kollege sagte ihr ebenfalls täglich, eines Tages werde sie sich gewaltig in ihn verlieben, sie werde schon sehen.

Sophie Benoit sagte ihnen, sie sollten damit aufhören. Vergeblich! Irgendwann brach Benoit ein, meldete sich krank und rief den Direktor an, um ihm alles zu erzählen. Der meinte, es handle sich da wohl um Missverständnisse, und gab indirekt ihr die Schuld.

Benoit und Huguet gingen schliesslich gemeinsam zur Unia. Diese intervenierte. Jetzt läuft in diesem Restaurant eine externe Untersuchung. Die Unia Genf bleibt dran. Umso mehr, als seit der Me-Too-Kampagne viel mehr Frauen die Gewerkschaft aufsuchen würden, sagt Unia-Frau Aros. Frauen, die Ähnliches ­erlebt haben wie Sarah, Claire, Maria und Sophie.

Dieser Artikel erschien zuerst in L’Evénement Syndical

* Name geändert.

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