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Neues Buch rückt Sexarbeit in ein anderes Licht: «Ich bin gerne Sexarbeiterin»

Patricia D'Incau

Warum arbeiten Frauen als Sexarbeiterinnen? Darüber wird heftig diskutiert. Meistens ohne die Sexarbeiterinnen selbst danach zu fragen. Ein neues Buch lässt sie jetzt zu Wort kommen.

VICTORIA: «Es war ein bewusster Entscheid, in die Sexarbeit einzusteigen.» (Foto: Yoshiko Kusano)

Nicht über Sexarbeiterinnen reden, sondern mit ihnen. Sexarbeit nicht romantisieren, aber auch nicht dramatisieren: Das ist der Anspruch, den das Buch «Ich bin Sexarbeiterin» stellt. An Politik, Medien und Gesellschaft.

Denn diese kennen für Sexarbeiterinnen gemeinhin nur zwei Rollen: entweder Geächtete oder Opfer. Also, wie es zu Beginn des Buchs heisst: Als Frauen, «deren Dienste in Anspruch genommen werden, die Steuern und Abgaben zahlen, denen aber durch Verachtung oder Mitleid selten auf Augenhöhe begegnet wird».

Dabei gibt es verschiedene Gründe, warum eine Frau Sexarbeiterin wird. Adrienn wurde es, weil sie zu Hause in Ungarn mit vierzig auch nach monatelanger Suche keine Stelle mehr fand. Die 25jährige Victoria, weil sie von ihrer Arbeit in einem Warenhaus in England nicht leben konnte. Sie sagt: «Es war ein bewusster Entscheid, in die Sexarbeit einzusteigen.» Die US-Amerikanerin Lady Kate, weil sie der Liebe wegen um jeden Preis in der Schweiz bleiben wollte. Und Charizma und Emma arbeiten Teilzeit als Sexarbeiterinnen. Charizma spricht für beide, wenn sie sagt: «Sex habe ich schon immer geliebt, und dafür noch bezahlt zu werden war wie ein Bonus für mich.»

Die prekären Arbeitsbedingungen haben mehr mit Ungleichheit als mit der Sexbranche zu tun.

ÖKONOMISCHER ZWANG

Sexarbeit aus Liebe zu Sex – das dürfte die Ausnahme sein. Doch das Buch zeigt: Auch das gibt es. Wobei gleichzeitig klar wird, dass die meisten Frauen Sexarbeit aus einem ökonomischen Zwang heraus machen. Trotzdem sehen sich die zehn Porträtierten in der Mehrheit nicht einfach als Opfer der Umstände. Sondern stellen klar: Den Entscheid, im Sexgewerbe zu arbeiten, haben sie selbst gefällt – und zwar sehr bewusst.

Damit setzen die Frauen einen Kontrapunkt in einer emotional aufgeladenen Diskussion, die immer wieder aufbricht: Nämlich, dass Sexarbeit nicht auf Freiwilligkeit basieren könne. Dass sie frauenverachtend sei und deshalb verboten gehöre.

Diese Position vertritt etwa die Frauenzentrale Zürich. Sie verlangt ein Prostitutionsverbot nach schwedischem Vorbild. Aktuell sind in der Schweiz sowohl der Verkauf als auch der Kauf von Sex erlaubt. Auch nach dem schwedischen Modell dürfen Sexarbeiterinnen weiter legal ihren Service anbieten. Die Freier hingegen machen sich strafbar. Die Denkweise dahinter: Gibt es keine Nachfrage mehr, dann wird die Prostitution verschwinden. Und keine Frau «muss» mehr als Sexarbeiterin tätig sein.

Einen ganz anderen Ansatz vertreten verschiedene andere Frauenorganisationen. Darunter jene, die täglich mit Sexarbeiterinnen in Kontakt sind. Wie die Anlaufstellen Xenia in Bern, die FiZ in Zürich oder Lysistrada in Solothurn. Der Tenor: Ein Sexkaufverbot wird weder die Prostitution beseitigen, noch verbessert es die Situation der Sexarbeiterinnen. Im Gegenteil: «So wird das Gewerbe in die Illegalität abgedrängt.» Und spielt sich alles im Verborgenen ab, könnten sich Sexarbeiterinnen schlechter gegen Ausbeutung und Gewalt wehren. Auch der Kampf gegen Menschenhandel würde erschwert.

Diese Position hielten die Organisationen schon im gemeinsamen Appell «Sexarbeit ist Arbeit» fest. Und jetzt eben im Buch «Ich bin Sexarbeiterin», das sie gemeinsam herausgegeben haben. Damit ist das Buch nicht nur ein Portraitband, sondern auch ein politisches Manifest.

DISKRIMINIERENDE GESETZE

Die Autorinnen plädieren dafür, das Sexgewerbe nicht als einen in sich abgeschlossenen Kosmos zu betrachten. Sondern als Teil eines politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geflechts. Denn die prekären Bedingungen im Sexgewerbe haben mehr mit fehlenden Chancen, diskriminierenden Gesetzen und globaler Ungleichheit zu tun als mit der Branche. Zum Beispiel können Sexarbeiterinnen auch in der Schweiz, wo Sexarbeit erlaubt ist, nicht immer zur Polizei, wenn sie Gewalt oder Ausbeutung erfahren. Weil bis zu 90 Prozent Migrantinnen sind. Und da ist es oft das Ausländergesetz und die Frage um den legalen Aufenthaltsstatus, die die Frauen erpressbar machen. Und nicht die Sexarbeit an sich.

Bisher konnten Sexarbeiterinnen hierzulande nicht einmal ihren Lohn einklagen, obwohl ihre Arbeit legal ist. Weil Prostitution als sittenwidrig galt. Und ein Vertrag zwischen einer Sex­arbeiterin und einem Freier deshalb rechtlich nicht verbindlich war.

Doch das Bundesgericht hat dort jüngst einen wichtigen Schritt getan: Es verurteilte einen Freier, der eine Sex­arbeiterin nicht bezahlt hatte. Das Argument der Sittenwidrigkeit liess das Gericht nicht mehr gelten. Damit können Sexarbeitende künftig endlich ihren Lohn einklagen. Ein grosser Erfolg. Und: eine jener Verbesserungen, die es braucht.

Appell Sexarbeit-ist-Arbeit.ch: Ich bin Sexarbeiterin. Portraits und Texte. Mit Fotografien von Yoshiko Kusano. Limmatverlag, Zürich 2020, 160 Seiten, CHF 32.–.

Virtuelle Lesungen mit Diskussion: Die Buchautorinnen und Sexarbeiterinnen diskutieren zusammen mit Expertinnen. Moderation: Helene Aecherli. Am 25. März, 21. April und 25. Mai, jeweils um 20 Uhr. Live im «Virtuellen Kosmos»: www.virtuellerkosmos.ch.

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