1x1 der Wirtschaft

Corona-Pandemie verschärft weltweit die Ungleichheit

David Gallusser

David Gallusser ist Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB)

Neben Revolutionen, Kriegen und dem Scheitern von Staaten sind Seuchen für den österreichischen Historiker Walter Scheidel die vierte zerstörerische Kraft, die im Laufe der Geschichte Ungleichheit verringern konnte. Der Pest im Mittelalter fiel bis zu ein Drittel der Bevölkerung Westeuropas zum Opfer. In der Folge fehlten Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden. Die Überlebenden konnten dadurch höhere Löhne durchzusetzen. Die Ungleichheit sank.

(Quelle: Martínez et al. (2021): S. 14.)

HÖHERES RISIKO. Corona verursacht zwar auch Leid, gehört aber nicht zu Scheidels tödlichen Gleichmachern. Im Gegenteil: Seit einem Jahr vergrössert die Pandemie die Gräben zwischen ­unten und oben. Eine neue Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH zeigt das eindrücklich für die Schweiz. Beschäftigte mit den tiefsten Einkommen sind am stärksten von Arbeits­losigkeit und Kurzarbeit betroffen, weil sie häufiger in Branchen wie dem Gastgewerbe oder dem Detailhandel arbeiten, wo derzeit nur eingeschränkt oder gar nicht gewirtschaftet wird. Der Erwerbsausfall zwingt Haushalte mit tiefem Einkommen, den Gürtel enger zu schnallen. Reiche Haushalte können hingegen mehr Geld zur Seite legen, weil es derzeit weniger Möglichkeiten zum Konsumieren gibt.

HUNGER UND MANGELERNÄHRUNG. Die Corona-Ungleichheit hört aber nicht beim Erwerbsausfall auf. Beschäftigte mit tiefen Einkommen sind auch stärker dem Virus ausgesetzt, da sie eher Kundenkontakt haben und weniger im Homeoffice arbeiten.
Auch weltweit dürfte Corona die Ungleichheit verschärfen. Die Pandemie wütet zwar bisher am stärksten in Europa und Nordamerika. Aller Voraussicht nach werden Länder im Süden noch länger mit der Krankheit zu kämpfen haben, weil ihnen Ressourcen für wirtschaftliche Hilfen und Zugang zu den Impfstoffen fehlen. Die Gräben, die ­Corona aufreisst, werden sich nicht allzu bald schliessen. Für Arbeitslose in den hart getroffenen Branchen wird es längerfristig schwierig, wieder im Erwerbsleben Fuss zu fassen. Die Schulschliessungen könnten viele Kinder aus Haushalten mit tiefen Einkommen ein Leben lang zurückbinden. Und bei den Ärmsten der Welt führen die Einkommens­ausfälle zu Hunger und Mangelernährung, was wiederum ihren Kindern die Zukunft verbaut.

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