Frankreich: Krisengewinnler, Suppenküchen und eine Neofaschistin:

Wenn der Emmanuel mit der Marine…

Oliver Fahrni

Präsident ­Emmanuel ­Macron probt in Frankreich ein ­politisches Regime nach der ­Demokratie: den autoritären ­Neoliberalismus. Und dazu braucht er Marine Le Pen.

VORHANG AUF FÜR EIN GEFÄHRLICHES PAAR: Präsident Macron möchte, dass ihm bei seiner Wiederwahl im April 2022 die Chefin der rechtsradikalen, rassistischen und antisozialen Partei Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, gegenüberstehe. (Foto: Getty)

Frankreich hätte da zwar noch ein paar Probleme. In den Vorstädten grassiert Hunger, fast 9 Millionen Menschen überleben nur dank Suppenküchen. Die Arbeitslosigkeit ist explodiert. Und Covid-19 läuft gerade wieder aus dem Ruder, trotz abendlicher Ausgangssperre.

Jetzt enthüllten Medien, dass französische Krisengewinnler dem Land im vergangenen Jahr an die 100 Milliarden Euro entzogen haben, indem sie ihr Geld nach Luxemburg schafften. So geht der Separatismus der Reichen und der Konzerne.

Doch, bizarr, das öffentliche Gespräch scheint sich einzig um das seltsame Paar Emmanuel Macron und Marine Le Pen zu drehen. Emmanuel möchte, dass ihm bei seiner Wiederwahl im April 2022 Marine gegenüberstehe. Sie ist die Chefin der rechtsradikalen, rassistischen und antisozialen Partei Rassemblement National (RN, früher Front National). Es soll ein Remake von 2017 werden: Damals verhalf die Furcht vor der neofaschistischen Machtübernahme Macron als «kleinerem Übel» zum Wahlsieg.

Also bespielt auch er rechtsex­treme Themen, um Le Pen in Stellung zu bringen: Islam, Migration, Kopftuch, Unsicherheit, Hass auf die Intellektuellen. Besonders schwerzufallen scheint ihm das nicht, an manchen Tagen tönt er schon wie Donald Trump.

Macron ist ein Zerstörer des sozialen Staates, ein Demokratie- und Menschenverächter.

SCHLAPPE FÜHRERIN

So kam es am 11. Februar zu einer bizarren Szene. Der Präsident liess seinen Innenminister Gérald Darmanin zu bester Sendezeit mit Le Pen debattieren. Die beiden bemühten sich, Debatte zu spielen, aber eigentlich passte kein Blatt zwischen sie. Irgendwann motzte Darmanin dann doch, Marine Le Pen sei in Sachen Islam «wohl etwas schlapp geworden. Sie soll Vitamine nehmen.» Macrons Innenminister hatte die RN-Führerin rechts überholt. Eiligst versuchte das Elysée, die Sache zurechtzubiegen. Zu spät. Die Banalisierung der Neo­faschistin, die sich gutbürgerlich schönheuchelt, war geglückt.

Mag sein, Darmanin hat den Befehl des Chefs etwas weit ausgelegt. Wahrscheinlicher ist: Da hatte sein inneres Ich gesprochen. Darmanin, ein stramm rechter Katholik, ist Macrons Mann fürs Grobe. Und Teil einer reaktionären Viererbande an der Spitze der Regierung um Premier­minister Jean Castex. Regelmässig ­befiehlt Darmanin brutale Polizeieinsätze und deckt auch die rassistischen Übergriffe der Ordnungskräfte. Demonstrationen werden zwar noch bewilligt, aber sogleich erstickt. So wie die grosse Pariser Kundgebung gegen ein neues Sicherheitsgesetz im letzten Dezember. Diese Einschüchterung, diese Angst vor Verletzung, wirkt. Macron will nun etwa unter Gefängnisstrafe stellen, wer die prügelnden Polizisten filmt oder fotografiert (Artikel 24). Das gilt auch für Medienleute.

Vielleicht wird das Gesetz dieser Tage mit einer anderen umstrittenen Vorlage zusammengelegt, dem Gesetz gegen Separatismus. Niemand weiss das so genau, denn Macron regiert fast durchgehend mit Notstandsverordnungen, Dekreten, einem kleinen Sicherheitsrat.

Nicht etwa auf die flüchtenden Krisengewinnler zielt das Separatismusgesetz, sondern auf Dschihadisten. Zumindest vordergründig. Sein Anlass ist die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty durch einen jungen Franko-Tschetschenen im Oktober 2020. Tatsächlich aber stellt der Entwurf nicht nur sämtliche Musliminnen und Muslime unter Generalverdacht (immerhin die zweite Religion im Land). Er weckt breiten Widerstand, weil Macron mit dem Gesetz die autonome Organisation der Gesellschaft in Vereinen, Nichtregierungsorganisationen usw. unter strikte Regeln stellen will.

MENSCHEN, DIE NICHTS SIND

Was treibt den früheren Investmentbanker Macron eigentlich dazu, Frankreich gerade jetzt so zu spalten? Wer Macron verfolgt, weiss: Der Präsident ist ein knallharter Neoliberaler, ein Zerstörer des sozialen Staates, ein Demokratie- und Menschenverächter. Im Wahlkampf 2017 sagte er: «In jedem Bahnhof begegnet man erfolgreichen Menschen und Menschen, die nichts sind.» Solche Sätze sagt er immer wieder. Nur: Was derzeit in Frankreich geschieht, ist nicht allein Ma­crons dürftiger moralischer Ausstattung geschuldet. Das gründet tiefer.

In Pariser Salons wird derzeit ein programmatischer Text des Nazi-Juristen Carl Schmitt hoch gehandelt. Schmitt hatte 1932 vor deutschen Arbeitgebern gesagt, die liberale Ökonomie der freien Märkte brauche einen autoritären Staat, der bereit sei, jeden sozialen Widerstand zu brechen und die Politik, also alles Soziale, von der Wirtschaft fernzuhalten. Schmitts Kontrahent, der Denker Hermann Heller prägte darauf den Begriff «autoritärer Liberalismus». Heller, Sozialist und Jude, starb 1933 im Exil.

Dass der Kapitalismus mit der Demokratie nicht vereinbar ist, weil er das Problem einer gerechten Verteilung nicht lösen kann und will, haben die neoliberalen Vordenker Friedrich von Hayek und Milton Friedman in zahllosen Reden und Schriften festgehalten. Macron ist stark von der Finanzkrise 2008 geprägt und ihr gelehriger Schüler. Der Aufstand der Gelbwesten, der Widerstand der Gewerkschaften, der Pflegenden und der Studentinnen und Studenten haben ihn darin bestätigt, dass demokratische Gesellschaften aus Sicht des Kapitals nicht regierbar sind. Das beklagt er häufig und aggressiv, Kritik erträgt er nicht. Deshalb irrt, wer die autoritäre Wende des Franzosen für reines Wahlkalkül hält. Emmanuel Macron probt gerade eine neue Form eines politischen Regimes in Westeuropa: den autoritären Neoliberalismus.

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