Das Trio infernale der Pandemie-Bekämpfung:

Gewerbeverband, Gastrosuisse und die Kantone

Clemens Studer

Diese drei Akteure haben mit dafür gesorgt, dass wir in einer zweiten heftigen Coronawelle stecken.

DREIBLATT: Gewerbeverbandspräsident Hans-Ulrich Bigler (l.), Gastrosuisse-Chef Casimir Platzer und die Kantone. (Fotos: Keystone)

Als Corona in die Schweiz kam, übernahm der Bundesrat die Verantwortung. Natürlich passierten Fehler, was bei einer Pandemie mit einem bisher unbekannten Virus in der Natur der Sache liegt. Trotzdem ist die Schweiz verhältnismässig gut durch die erste Welle gekommen. Doch dann tauchten ideologisch verblendete (oder vielleicht einfach auch nicht so schlaue) Verbandsfunktionäre und eitle Kantonspolitikerinnen und -politiker auf. Nicht zuletzt deshalb steckt unser Land jetzt in einer heftigen zweiten Pandemiewelle.

Ein Blick auf drei Hauptakteure:

DER GEWERBEVERBAND: Das A und O jeder Pandemiebekämpfung ist die Reduktion von Kontakten. Darum sind Ladenschliessungen ein wirksames Mittel. Das ist wissenschaftlich unbestritten. Aber nicht für rechte Ideologen wie Gewerbeverbandspräsident Hans-Ulrich Bigler. Der vom Zürcher Volk aus dem Nationalrat abgewählte rechtsflüglige FDP-Politiker drängte auf eine Haurucköffnung im Frühsommer. Drohte während des Lockdowns den Grossverteilern Coop und Migros mit Klagen, weil die noch Blumenerde und Grabkerzen verkauften. Die aktuell gültigen Regeln sind eine direkte Folge von Biglers Wüten im Frühling. Darum können jetzt Blumen gekauft werden, aber keine Bücher. Schreibblöcke und Filzstifte, aber keine Schulsäcke. ­Motorsägen und Unterhosen, aber keine Hemden. Irr? Ja, und die Gewerblerinnen und Gewerbler sind zu Recht sauer. Nur sollten sie nicht auf den Bundesrat sauer sein, sondern auf ihren Verbandspräsidenten. Sauer könnten sie auch sein, weil die Öffnungszwängerei des Gewerbeverbandes sie um Entschädigungen gebracht hat, wie sie Unternehmen in den Nachbarländern kennen. Unterdessen fordert auch Bigler umfassendere Entschädigungen. Das hätte Bigler schneller und einfacher haben können, wenn er im Frühling pragmatische Verbandspolitik im Sinne seiner Mitglieder gemacht hätte, statt ideologisch verblendet zu wüten. Gewerblerinnen und Gewerblern in der Krise kann es niemand verargen, wenn sie im Rahmen ihrer Sparmassnahmen auch bei den Mitgliederbeiträgen die Konsequenzen ziehen.

DIE GASTROSUISSE: Die Gastro- und Eventbranche gehört zu den von der Pandemiebekämpfung am härtesten getroffenen Wirtschaftszweigen. Verschärft wurde ihr Elend nicht zuletzt durch die verfehlte Politik ihres Branchenverbandes Gastrosuisse. Präsident Casimir Platzer ist Hotelier im Berner Oberland (10-Quadratmeter-Kammer ab 90 Franken). Vielleicht fehlt ihm auch deswegen das Verständnis für die realen Bedürfnisse der urbanen und halburbanen Gastronomie. Denn hätte er im Frühsommer nicht im Gleichschritt mit dem Gewerbeverband für eine Haurucköffnung gewütet, wären die meisten Wirtinnen und Wirte, Clubbetreibenden und Event-Gastronomen besser dran. Immerhin scheint er unterdessen begriffen zu haben, dass die Berufskolleginnen und -kollegen seiner Verbandsmitglieder in den Nachbarländern besser dran sind. Mit Entschädigungen von bis 80 Prozent des Vorjahresumsatzes. Darum fordert er jetzt auch höhere Entschädigungen. Das hätte Platzer schneller und einfacher haben können, wenn er im Frühling pragmatische Verbandspolitik im Sinne seiner Mitglieder gemacht hätte, statt ideologisch verblendet zu wüten. Gastronominnen und Gastronomen in der Krise kann es niemand verargen, wenn sie im Rahmen ihrer Sparmassnahmen auch bei den Mitgliederbeiträgen die Konsequenzen ziehen.

DIE KANTONE: Schwer beleidigt gaben sich auch viele kantonale Regierungsmitglieder über die Führungsrolle des Bundesrates im Frühling. Vehement forderten sie «mehr Verantwortung». Und nahmen sie dann nicht wahr. Gingen in den Sommerschlaf und ignorierten im Herbst die anrollende zweite Welle. Folgen unter anderem: Das Contact-Tracing funktioniert faktisch flächendeckend nicht. Die Impf-Infrastruktur steht trotz monatelanger Vorlaufzeit nicht. Die Härtefall-Gelder des Bundes sind grösstenteils noch nicht ­ausbezahlt. Die Spitäler sind am Anschlag. Dafür werden Partikularinter­essen wie jene der Bergbahnen und der Jodlerclubs grosszügig bedient mit fatalen Folgen für die Pandemiebekämpfung. Föderalismus als Blöderalismus.

Unterdessen möchten schon zwölf Kantone, dass der Bundesrat wieder die ausserordentliche Lage ausruft. Eine späte Einsicht nach Tausenden von unnötigen Ansteckungen und Hunderten unnötigen Toten. Aus dem Kanton kann niemand austreten. Aber die Corona-Versager bei der nächsten Gelegenheit abwählen können alle.

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