Sie tun alles, um einen Mindestlohn von 23 Franken zu verhindern:

Bebbi-Bonzen bocken

Jonas Komposch

Im Basler Wirtschafts-Establishment liegen die Nerven blank, weil der Stadtkanton einen Mindestlohn einführen könnte. Nun schreit es schon: Kommunismus!

(Fotos: Bâloise.com / burckhardt.com / SVP-Basel / Oettinger Davidoff / Xing / cvp-bl.ch)

SCHON 21 FRANKEN SIND IHNEN ZU VIEL:

    1. Andreas Burckhardt: Verwaltungsrats­präsident des Bâloise-Versicherungskonzerns, Jahreshonorar:
      1,32 Millionen Franken, Vorstandsmitglied Economiesuisse.
    2. Teddy Burckhardt: CEO der Werkzeugfabrik Burckhardt of Switzerland AG, Vorstand des Arbeitgeberverbands Basel, Lohn: geheim.
    3. Joel Thüring: SVP-Kantonsrat, Politberater, Lohn: geheim.
    4. Beat Hauenstein: CEO des Tabakkonzerns Oettinger Davidoff AG, Lohn: geheim, Firmenumsatz 2019: 453 Millionen Franken, Vermögen der Eigentümerfamilien Ryhiner und Schaffner: rund 1,5 Milliarden Franken.
    5. Walter Fux: Personalchef Lonza Group AG, Lohn: geheim, Firmengewinn 2019: 763 Millionen Franken, Lohn des Lonza-CEO von 2019: 4,75 Millionen Franken.
    6. Elisabeth Schneider-Schneiter: CVP-Nationalrätin, Juristin, Präsidentin Basler Handelskammer, Vorstandsmitglied Economiesuisse, Lohn: geheim (140’000 Franken beträgt die Jahresentschädigung für ein Nationalratsmandat im Schnitt).

Wenn die Stimmberechtigten es wollen, wird Basel-Stadt bald zum Pionierkanton und wird den ersten gesetzlichen Mindestlohn der Deutschschweiz einführen. 23 oder 21 Franken pro Stunde soll er betragen. Ersteres fordert eine Initiative von Gewerkschaften und Links­parteien. Zweiteres sieht ein Gegenvorschlag vor, den das Basler Kantons­parlament am 13. Januar beschlossen hat. Dies mit viel Ach und Krach. Denn die rechte Ratsmehrheit von SVP bis GLP ist aus Prinzip gegen jede gesetzliche Lohn­untergrenze.

Doch zehn abtrünnige Bürgerliche verfolgten eine andere Strategie. Sie befanden, Mindestlöhne seien momentan derart beliebt, dass Fundamentalopposition unklug sei. Zur Sabotage des Gewerkschaftsvorschlags eigne sich daher ein Gegenvorschlag mit einem Mindestlöhnli und diversen Ausnahmeregelungen besser. Mit den Stimmen dieser Abweichler und jener der Linken, die aus taktischen Gründen für beide Vorlagen votierten, kam der Gegenvorschlag schliesslich durch. Und ein Mindestlohn damit ein gutes Stück näher. Deshalb liegen beim Basler Wirtschaftsestablishment die Nerven blank.

SCHNEIDER POLTERT

Zum Beispiel bei CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Auf Twitter empörte sie sich: «Während der Bundesrat den Lockdown verkündet, beschliesst das Basler Parlament Mindestlöhne.» Das ist zwar Humbug – nur die Stimmbevölkerung kann den Mindestlohn dereinst beschliessen – doch was kümmert das die Juristin? Lieber poltert sie: «Wer soll das bezahlen?» Ein ­anderer Twitterer weiss Rat: «Sie könnten doch mit gutem Beispiel vorangehen, sich mit 21 Franken begnügen und allen zeigen: Hey Leute, das reicht völlig zum Leben!» Antwort: «Und meine Steuerrechnung bezahlen Sie?» Konter: «Bei 21 Franken Stundenlohn werden Sie keine Steuern bezahlen müssen.» Darauf die Nationalrätin lapidar: «Eben.» So viel zur volkswirtschaftlichen Logik Schneider-Schneiters, die notabene die Handelskammer beider ­Basel präsidiert und bei Economiesuisse im Vorstand sitzt, beim grössten Lobbyverband des helvetischen Unternehmertums.

Basel-Stadt könnte zum Pionierkanton in der
Deutschschweiz werden.

KLAGELIED DER CEO

Auch bei anderen brannten die ­Sicherungen durch. Bei Andreas Burckhardt etwa, seinerseits Verwaltungsratspräsident des Bâloise-Versicherungskonzerns, nebenbei Vorstandsmitglied von Economie­suisse und des Basler Arbeitgeberverbands. Er verriet dem Radio SRF, dass Mindestlöhne «Staatswirtschaft» seien. Und dass eine solche nur «ans Ende» führen könne, was man ja «in der DDR gesehen» habe. Und überhaupt – Gewerkschaftsinitiative und Gegenvorschlag seien «eine Wahl zwischen Pest und Cholera». So jammert einer, dessen Jahreslohn eine Million übersteigt und dessen Familie seit Jahrhunderten zu den reichsten und einflussreichsten der Stadt gehört. Schon am 8. Januar hatte Burckhardt versucht, die Parlamentsmitglieder per Bittbrief zu überzeugen. Jedes Mindestlohngesetz sei abzulehnen, da es «unser erfolgreiches sozialpartnerschaft­liches System» gefährde und eine «besorgniserregende Entwicklung» in Gang setze. Mitunterzeichnet hatten den Brief die CEO der Werkzeugfabrik Burckhardt of Switzerland AG, des Architekturbüros Herzog & de  Meuron, der Privatklinik Merian Iselin, des Hafenlogistikers Ultra-Brag, des Tabakkonzerns Oettinger Davidoff AG sowie der Personalchef des Chemiekonzerns Lonza. Ihren Klagebrief schlossen die Herren rhetorisch: «Wir fragen uns, wo das hinführt.» Die Antwort wusste und gab gerne der SVP-Nachwuchsparlamentarier Joel Thüring: «Die Vorbereitungsarbeiten zur Umbenennung unserer Stadt in Karl-Marx-Stadt sind bereits im Gange.» Wohlan dann!


Ob in der EU oder in Grossbritannien:Konservative setzen auf Mindestlöhne

Annegret Kramp-Karrenbauer (l.) und Ursula von der Leyen. (Foto: Keystone)

Innovative Ideen und schlagende Argumente sucht man bei den Basler Rechtsparteien derzeit vergebens. Um einen fairen Mindestlohn zu verhindern, greifen sie zu altbackener Rhetorik und malen den roten Teufel an die Wand (siehe oben). Andere Bürgerliche sind da schon wesentlich weiter. Etwa der britische Premier Boris Johnson. Seine konservative Tory-Partei war stets gegen gesetzliche Lohnuntergrenzen – bis sie 1998 Realität wurden. Heute sagt Johnson: «Mindestlöhne ergeben ökonomisch Sinn.» Zum gleichen Schluss kam die konservative deutsche CDU-Frau Ursula von der Leyen. Als frischgebackene Präsidentin der EU-Kommission sagte sie 2019: «Innerhalb der ersten 100 Tage meiner Amtszeit werde ich ein Rechtsinstrument vorschlagen, mit dem sichergestellt werden soll, dass jeder Arbeitnehmer in unserer Union einen gerechten Mindestlohn erhält.» Von der Leyen lieferte. Künftig soll der Mindestlohn in jedem EU-Land 60 Prozent des jeweiligen mittleren Lohnniveaus betragen.

«Angemessene ­Mindestlöhne sind ein wichtiges Signal.»

Dann kam die Coronakrise, und viele sahen von der Leyens Vorhaben gescheitert. Doch die CDUlerin hält an ihrem Ziel fest und stellte Ende 2020 klar: «Angemessene Mindestlöhne sind ein wichtiges Sig­nal, dass die Würde der Arbeit auch in Krisenzeiten unantastbar sein muss.» Zuvor schon hatte sich ihre Parteikollegin Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Unternehmerverbände gewehrt. Diese forderten eine Einfrierung oder gar Absenkung des deutschen Mindestlohns. Dieser beträgt 9 Euro 50. Auch US-Präsident Joe Biden setzt in seinem jüngst präsentierten Wiederaufbauplan auf den Mindestlohn. Biden will ihn landesweit auf 15 Dollar verdoppeln und so das von Trump und Corona gebeutelte Land kurieren.

DIE BESTE WAFFE. Biden, die CDU und die britischen Tories – sie haben die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Bedeutung gesetzlicher Lohnuntergrenzen erkannt. Dass sie keine sozialistischen Absichten hegen, dürften selbst die Basler Rechtsparteien begreifen. Falls nicht, hilft womöglich der Blick nach Frankreich. Dort trat das «Salaire minimum» bereits 1950 in Kraft, wozu der damalige Ministerpräsident René ­Pleven stolz erklärte: «Der Mindestlohn ist die beste Waffe gegen die Ausbreitung des Kommunismus.»

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