Nach 15 Jahren an der Spitze der Unia-Rechtsabteilung

Philip Thomas nimmt den Hut

Oliver Fahrni

Unia-Chefjurist Philip Thomas (60) tritt ab, um ein grosses ­Ver­sprechen wahrzumachen, das er seinem Vater gegeben hatte.

TSCHÜSS! Philip Thomas hat die Unia 15 Jahre lang durch die wilden ­juristischen Gewässer und ihre kapitalistischen Klippen geführt. (Foto: ZVG)

Am 30. November kam die Nachricht von Philip Thomas. Es sei Zeit, Abschied zu nehmen, schrieb er: «Ich werde mich inskünftig ganz der Musik widmen.»

Wir staunten. Der Leiter der Unia-Rechtsabteilung war noch lange nicht reif für seine Pensionierung. Und alle im Haus mögen den freundlichen und witzigen Mann, er hat die Unia 15 Jahre lang durch die wilden juristischen Gewässer und ihre kapitalistischen Klippen geführt. Und dabei manchem Arbeitgeber, Richter und Advokaten den Marsch geblasen. Doch nun Musik? Wer in diesem Moment vermutete, Philip wolle sich aufs ­Altenteil setzen und ein bisschen Hausmusik machen, irrte. Ihn treibt ein Versprechen an, das er ­seinem Vater im Sommer 2019 nach einem Abendessen in Lugano gegeben hatte. Als Peter Thomas im letzten Mai 94jährig starb, schien es für Philip Zeit, «mein Versprechen wahrzumachen».

Kaum war die Unia geboren, stand eine 16-Millionen-Franken-Klage ins Haus. Das war brenzlig!

LEICHTFÜSSIGER SCHWERARBEITER

Vater Peter Thomas war, wie die «Süddeutsche Zeitung» in ihrem Nachruf schrieb, «der Mann für die grossen Träume» und «einer der grössten Kom­ponisten populärer Musik». Von ihm stammt die tausendfach gehörte Melodie zur «Raumpatrouille» (Raumschiff Orion). Wenn Kino- oder TV-Serien zu Strassenfegern wurden, hatte Peter ­Thomas sie in Ton gesetzt: Stücke der ­Autoren Francis Durbridge oder Edgar ­Wallace. Oder die Figuren Jerry Cotton, Derrick, der Kommissar und der Alte. Eine seiner «Kommissar»-Melodien stand vier Wochen lang an der Spitze der deutschen Charts. Er hat für die Sängerinnen Zarah Leander und Juliette Gréco komponiert und für ungezählte andere Stars, für Schlager und Musicals. Daneben fand er Zeit, Erotik- und Horrorstreifen zu vertonen, Klangexperimente anzustellen, als Bandleader zu touren.

Kurzum: Philips Vater hat den Soundtrack zum Nachkriegsdeutschland geschrieben. Swing geht auch in Berlin. Inzwischen haben ihn DJs und Soundbastler aus aller Welt und auch Filmemacher wie Quentin Tarantino entdeckt.

Diesen Nachlass, das hat er dem Vater versprochen, will Philip nun neu zu Gehör bringen. Ein immenses Unterfangen zwischen Bergen von Tonträgern und Bibliotheken von Notenblättern. Also eine Aufgabe so richtig nach Philip Thomas’ Mass. Wer ihn bei seiner Arbeit in der Unia erlebt hat, weiss, dass er sie mit der Höflichkeit aller echten Schwerarbeiter anpacken wird: leichtfüssig, klaglos, froh.

SCHLAFLOSE NÄCHTE

Kaum war die Unia geboren, stand 2005 eine 16-Millionen-Franken-Klage ins Haus. Das war brenzlig! Eine Verurteilung hätte die Unia sogleich in existen­tielle Nöte gebracht. Der CEO von Boillat-Swissmetal in Reconvilier BE drohte, die Gewerkschaft finanziell zu vernichten, weil sie den langen, harten Streik der Arbeitenden gegen die spekulative Zerstörung ihrer Fabrik unterstützte. Am Ende wurde die Klage abgewendet.

Wie das glückte, erzählt Philip Thomas nicht. Er macht nicht gern viel Aufhebens um seine Person. Etwas «holprig» sei die erste Zeit der Unia schon gewesen, kann man ihm gerade noch entlocken. In seiner lächelnden Diskretion würde er nie sagen, dass die Verschmelzung von GBI und Smuv zur Grossgewerkschaft Unia nicht nur ein politischer und gewerkschaftlicher Kraftakt war, sondern auch ein juristischer Brocken. Und die Angriffe der Arbeitgeber begannen sofort. Da kann schon mal Hektik eintreten. Wie in jener Nacht 2008, als ein Anruf vom Gotthard kam. Seit Monaten tobte der Konflikt um die Arbeitsbedingungen auf der Neat-Baustelle. Jetzt wollten die Arbeitenden die riesige Bohrmaschine abstellen. Ein Millionenschaden drohte. Philip musste die rechtlichen Folgen abschätzen. Heikel. Schliesslich gab er grünes Licht, aber es kostete ihn ein paar Nächte Schlaf.

ROTE SOCKE

Die Rolle von Gewerkschaftsjuristinnen und -juristen wird gerne unterschätzt. Sie geben nicht nur Rat in arbeitsrechtlichen Fragen (im work etwa in der Rubrik «Das offene Ohr»). Sie begleiten GAV-Verhandlungen, treiben die rechtliche Sicherung und Verbesserung der sozialen Errungenschaften wie etwa der begrenzten Arbeitszeit, führen Schlichtungen und Prozesse bis vors Bundesgericht.

Im besten Fall mit günstigem Ausgang. Wie etwa 2010 bei der Micarna gegen den Grossverteiler Migros, wo es vor dem obersten Gericht schliesslich gelang, die Sonntagsarbeit beim Hühnerschlachter zu verhindern und die irre Arbeitskadenz zu senken.

Eine simple Juristerei ist das nie. Dar­um müssen Gewerkschaftsjuristen dauernd abwägen, wie weit man zu weit gehen darf. Es sei wie beim Fussball, sagt Philip, den sie zu Hause «die rote Socke» nannten. Er bewundere die Persönlichkeit der jungen Stürmer und ihre Metamorphose, wenn sie in einem Arbeitskonflikt zu Kämpfern werden. Er und sein Team, sagt er, stehen dann als Goalie im Tor. «Wir müssen die Zwischentöne finden, nicht nur juristisch, es braucht das persönliche Gespräch, eine ganze Klaviatur von Schattierungen.» Vor allem, weil die Arbeitgeber juristisch aufgerüstet haben und inzwischen beim geringsten Konflikt schon die High-End-Anwaltsfirmen auffahren, jene mit den 600 Franken Stundenhonorar. «Die sozialen Beziehungen werden immer mehr justizialisiert.»

Darum seien für seine Arbeit immer das gemeinsame Ziel und das Wohlwollen der Organisation bestimmend gewesen: «Die Wertschätzung meiner Arbeit habe ich mir jetzt in den Rucksack für den nächsten Lebensabschnitt gepackt.»

DER DOPPELTE THOMAS

Erst jetzt ist ihm, zwischen Berlin und Bern pendelnd, die ganze Bedeutung des väterlichen Werkes aufgegangen. Vieles hatte er zu Hause nicht mitbekommen. «Der Vater war einfach der Mann, der auf dem Klavier spielte. Aber immer auch ein Vater.»

Spontan haben sich bei Philip jetzt viele Fans von Peter Thomas gemeldet. Schon im November ist der Soundtrack zum Bruce-Lee-Film «The Big Boss» als CD-Neuauflage erschienen. Aus dem Alten soll Neues werden, hörbar für ein junges Publikum. Der DJ Mike Candys hat eben das Musical «Wodka für die Königin»­ (Zarah Leander) neu gemixt.

Wodka für Philip!

Peter Thomas, der Youtube-Channel: rebrand.ly/youtube-peter-thomas
Auf Spotify: rebrand.ly/spotify-peter-thomas

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