Der neue US-Präsident ist gewählt – aber der alte will nicht weg:

Hey Joe!

Michael Stötzel

Die meisten von uns atmen auf: der besinnungslose Egomane, Rassist, Frauenverachter, Sexprotz, der orange Irre Donald Trump muss raus aus dem Weissen Haus. Welch eine Wohltat! Doch so schnell werden wir ihn leider nicht los.

WAHL-KRIMI. Nach Tagen des Zitterns und Zählens steht fest: Joe Biden hat gewonnen. Auch wenn eher langweilig und wenig inspirierend, offenbar genau der Richtige, um Donald Trump zu stürzen. (Foto: Keystone)

Er ist nicht der Verlierertyp und brüllt, tobt und droht: «Sie wollen mir meine Wahl klauen!» Als wärs aus einem Lehrbuch über Wahnsinn. Trump schickt seine Anwälte los und hetzt seine Fans auf. Überall sieht er, sehen sie, nur Betrug. Und greifen schon mal zu den Waffen. Gibt’s noch Tote? Gar Bürgerkrieg? Im Land, wo alles möglich ist, ist auch das wohl möglich. Der Amerikanischen (Alb-)Traum. Aber immerhin: Die Welt hat Trump überlebt, zumindest vorläufig.

Ganz offensichtlich war der eher bedächtige, langweilige und wenig inspirierende Joe Biden der richtige Kandidat, um ihn zu stürzen. Auch, weil er begriff, dass er eine Frau als Vizepräsidentin brauchte, eine Hoffnungsträgerin und erst noch eine Afroamerikanerin. Es ist allerdings kein berauschender Sturz. Eher ein Schubsen, nach tagelanger, zäher Auszählerei. Gut möglich, dass die Sehnsucht nach «normalen» Verhältnissen eine Rolle gespielt hat. Wahrscheinlich hatte Trump doch zu viele (Corona-)Tote am Gurt. Auch wenn in ersten Nachwahlbefragungen die Pandemie überraschenderweise nur eine zweitrangige Rolle gespielt hat. Spätere Analysen, die auch diejenigen berücksichtigen, die vorzeitig oder per Brief gewählt haben, werden in dieser Frage vielleicht Klarheit schaffen – sofern die Umfrageinstitute dann besser arbeiten als vor den Wahlen.

Offensichtlich hat Biden auch viele Wählerinnen und Wähler gewonnen, die bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2016 aufgrund der verbreiteten Unbeliebtheit der damaligen demokratischen Kandidatin Hillary Clinton 2016 überhaupt nicht zur Wahl gegangen sind. Die massiv gestiegene Gesamtzahl jener, die gewählt haben, spricht dafür. Eher fraglich ist jedenfalls, inwieweit Biden Trump-Wählerinnen und -Wähler zurückgewonnen hat. Das hatte er sich gerade im sogenannten Rostgürtel (die alten Industriestaaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania) als Ziel gesetzt. Zumindest im Bundesstaat Pennsylvania ist ihm das aber nicht gelungen, sagt John King, der Zahlen-Magier von des TV-Senders CNN. Denn auch dort hat Trump mehr Stimmen erhalten als 2016. Biden allerdings viel mehr. Der Anteil von Trumps Gefolgschaft ist also kleiner geworden, nicht aber ihre Zahl. Auch darum ist Joe Biden als Nachfolger Trumps sicher nicht zu beneiden. Zu viel ist aufzuräumen, zu kitten.

Biden hat auch viele Wählerinnen und Wähler gewonnen, die 2016 nicht zur Wahl gegangen sind.

Was ist nun von Biden zu erwarten?

Biden legte für US-amerikanische Verhältnisse die progressivste politische Plattform seit Jahren vor. Das ist das Ergebnis seiner Bemühungen, den linken und den gemässigten Flügel seiner Partei zu vereinen. Offenbar war aber auch allen klar, dass es angesichts der Entwicklung der letzten Jahre — Gesundheit, Arbeits- und Umweltschutz, Bildung – kein Zurück zur Vor-Trump-Zeit geben kann.

Gesundheitspolitik: Biden will die Gesundheitsreform Obamas von 2010, an deren Konzeption er als damaliger Vizepräsident beteiligt war, ausbauen. Kernstück ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger eine Krankenversicherung abschliessen müssen, sofern sie nicht durch ihre Arbeitgebenden versichert waren. Biden will nun eine günstige staatliche Alternative als Option zu privaten Krankenversicherungen schaffen. Er will zudem die Medikamentenpreise deckeln und Corona-Tests sollen kostenfrei werden.

Schliesslich will er zumindest die Folgen des Drogengebrauchs mildern. Wer mit Stoff zum Eigengebrauch erwischt wird, soll künftig nicht mehr eingesperrt werden, sondern an einem Entziehungsprogramm teilnehmen.

Mindestlohn: Landesweit gilt heute ein Mindestlohn von mindestens 7 Dollar 50. Er soll auf 15 Dollar angehoben werden. Einige Bundesstaaten haben ihn bereits erhöht. Andererseits hat eine Studie des Massachusetts Institut of Technology (MIT) bereits 2018 vorgerechnet, dass ein existenzsichernder Mindestlohn in den Grossstädten an der Ostküste zwischen 16 und 18 Dollar liegen müsste.

Klimaschutz: Die USA sollen bis 2050 CO2-neutral werden. Dazu will Biden 2 Billionen Dollar investieren. Bis 2035 soll die Elektrizität CO2-frei produziert werden. Die USA werden zum Pariser Klimaabkommen zurückkehren, das 2017 von Trump gekündigt worden war. Bei der Fertigung von E-Autos sollen 1 Millionen neu Arbeitsplätze entstehen.

Einwanderung: 11 Millionen illegale Migrantinnen und Migranten sollen erleichtert eingebürgert werden.

Steuern: Trumps Steuerreform von 2017 will Biden teilweise wieder rückgängig machen. Die Körperschaftssteuer, die vom Ertrag juristischer Personen, also etwa Kapitalgesellschaften abgezogen wird, und die unter Trump von 35 auf 21 Prozent gesenkt wurde, soll wieder auf 28 Prozent angehoben werden. Zur Bekämpfung von Steuertricks sollen Grossunternehmen eine Unternehmenssteuer von mindestens 15 Prozent zahlen.

Zur Aussenpolitik hat Joe Biden sich in letzter Zeit wenig geäussert. Offensichtlich spielte sie im Wahlkampf praktisch keine Rolle. Zu erwarten ist, dass er zu professioneller Diplomatie zurückkehren wird, sicher gegenüber den Alliierten, wahrscheinlich auch gegenüber China und dem Iran. Inhaltlich scheint er in einigen der umstrittenen Fragen nicht so weit weg von Trump zu sein. Dazu gehören die Konfrontationspolitik gegenüber China und gegenüber Westeuropa die Forderung, mehr für die Rüstung auszugeben. Eher überraschend wäre eine grössere Veränderung der Nahostpolitik.

Hier aber kommt das eigentliche Problem seiner Zeit im Weissen Haus. Die Demokratische Partei hatte darauf gesetzt, dass in einer «blauen Welle» nicht nur Trump, sondern auch seine ihm mittlerweile fanatisch ergebene Republikanische Partei untergehen würde. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Partei hat sich unter seiner Führung in den Kongresswahlen leider sehr gut gehalten. Die Demokraten werden zwar im Repräsentantenhaus ihre Mehrheit halten können, von ihrem erhofften Sturm auf den Senat blieb aber nicht mal ein laues Lüftchen. Und die Zahl derjenigen ist gewachsen, die es als Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler – wahrscheinlich zu Recht – verstehen, sich an Biden zu rächen. So bleibt abzuwarten, was er gegen den Kongress und gegen die Trump-Hälfte im Land von seinem Land überhaupt durchsetzen kann.

Vielleicht ein Hoffnungsschimmer: Trump selbst könnte ohne den Schutz der Präsidentschaft aufgrund der gewaltigen Schulden seines Firmenimperiums gewaltig an die Kasse kommen. Das täte uns gut und könnte seinem Ansehen schaden.

1 Kommentar

  1. Dominik Rieder

    @Steuern:
    Kann zuerst ja im Bundesstaat Delaware – seinem Heimatstaat – aufräumen. gilt weltweit als Steueroase trotz US-Bashing der angeblichen Steueroase Schweiz.

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